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Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759.

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Der grossen und seligen
JEsu müssen ihnen öfters eine verrückte
oder verwirrte Einbildung seyn. Was ist
der Grund solcher unglückseliger Urtheilen?
Kein anderer, als dieser: Menschen, denen es
an der Salbung von oben fehlet, können
nicht tiefer sehen, als so weit ihre leiblichen
Augen reichen, und ihre Vernunft kann
nicht höher steigen, als in die Untersuchung
und Beurtheilung der Vorwürfe, die allein
in der Natur liegen. Gleichwie sie an aller
wahren Gnade in ihnen selbsten Mangel
haben, so können sie dieselbe unmöglich an
ihrem Nächsten sehen, oder davon urthei-
len. So finster aber solcher Menschen Ur-
theil von der Gnade ist, so jämmerlich ra-
then solche blinde und leidige Tröster ihren
eigenen und anderen Seelen, wenn diesel-
ben von der Gnade sollten ergriffen und zu
dem göttlichen Leben gebracht werden. Wie
öfters werden solche Unglückselige Werk-
zeuge, wodurch die Werke GOttes in an-
dern Seelen zerstöret, die Wege GOttes
verdächtig gemacht, und alle Arbeiten und
Bemühungen des heiligen Geistes fruchtlos
werden! Aber wie viele mahl verderben
solche arme Menschen ihre eigenen Seelen!
Wie manchen kennt man nicht! der sein
Creutz, unter welchem GOtt so gute Ab-
sichten heget, in einer lustigen Sünde, oder
Weltgesellschaft zu vergessen suchet, wie vie-

le

Der groſſen und ſeligen
JEſu muͤſſen ihnen oͤfters eine verruͤckte
oder verwirrte Einbildung ſeyn. Was iſt
der Grund ſolcher ungluͤckſeliger Urtheilen?
Kein anderer, als dieſer: Menſchen, denen es
an der Salbung von oben fehlet, koͤnnen
nicht tiefer ſehen, als ſo weit ihre leiblichen
Augen reichen, und ihre Vernunft kann
nicht hoͤher ſteigen, als in die Unterſuchung
und Beurtheilung der Vorwuͤrfe, die allein
in der Natur liegen. Gleichwie ſie an aller
wahren Gnade in ihnen ſelbſten Mangel
haben, ſo koͤnnen ſie dieſelbe unmoͤglich an
ihrem Naͤchſten ſehen, oder davon urthei-
len. So finſter aber ſolcher Menſchen Ur-
theil von der Gnade iſt, ſo jaͤmmerlich ra-
then ſolche blinde und leidige Troͤſter ihren
eigenen und anderen Seelen, wenn dieſel-
ben von der Gnade ſollten ergriffen und zu
dem goͤttlichen Leben gebracht werden. Wie
oͤfters werden ſolche Ungluͤckſelige Werk-
zeuge, wodurch die Werke GOttes in an-
dern Seelen zerſtoͤret, die Wege GOttes
verdaͤchtig gemacht, und alle Arbeiten und
Bemuͤhungen des heiligen Geiſtes fruchtlos
werden! Aber wie viele mahl verderben
ſolche arme Menſchen ihre eigenen Seelen!
Wie manchen kennt man nicht! der ſein
Creutz, unter welchem GOtt ſo gute Ab-
ſichten heget, in einer luſtigen Suͤnde, oder
Weltgeſellſchaft zu vergeſſen ſuchet, wie vie-

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[124/0176] Der groſſen und ſeligen JEſu muͤſſen ihnen oͤfters eine verruͤckte oder verwirrte Einbildung ſeyn. Was iſt der Grund ſolcher ungluͤckſeliger Urtheilen? Kein anderer, als dieſer: Menſchen, denen es an der Salbung von oben fehlet, koͤnnen nicht tiefer ſehen, als ſo weit ihre leiblichen Augen reichen, und ihre Vernunft kann nicht hoͤher ſteigen, als in die Unterſuchung und Beurtheilung der Vorwuͤrfe, die allein in der Natur liegen. Gleichwie ſie an aller wahren Gnade in ihnen ſelbſten Mangel haben, ſo koͤnnen ſie dieſelbe unmoͤglich an ihrem Naͤchſten ſehen, oder davon urthei- len. So finſter aber ſolcher Menſchen Ur- theil von der Gnade iſt, ſo jaͤmmerlich ra- then ſolche blinde und leidige Troͤſter ihren eigenen und anderen Seelen, wenn dieſel- ben von der Gnade ſollten ergriffen und zu dem goͤttlichen Leben gebracht werden. Wie oͤfters werden ſolche Ungluͤckſelige Werk- zeuge, wodurch die Werke GOttes in an- dern Seelen zerſtoͤret, die Wege GOttes verdaͤchtig gemacht, und alle Arbeiten und Bemuͤhungen des heiligen Geiſtes fruchtlos werden! Aber wie viele mahl verderben ſolche arme Menſchen ihre eigenen Seelen! Wie manchen kennt man nicht! der ſein Creutz, unter welchem GOtt ſo gute Ab- ſichten heget, in einer luſtigen Suͤnde, oder Weltgeſellſchaft zu vergeſſen ſuchet, wie vie- le

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Zitationshilfe: Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/176>, abgerufen am 28.04.2024.