Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite

Thaten der Gnade. I. Stück.
tung geben, und mache uns treue! dem
Winke deiner Gnade zu folgen.

Diese Stimme richtete ihr verwunde-
tes und nach JEsu so innig sehnendes Herz
in einer süssen Verwunderung auf. Jhr
Geist wurde durch eine kindliche und gehei-
me Freude belebet. Sie dachte bey sich selb-
sten, das ist die Stimme deines Freundes!
Siehe! er kommt. Alle auch die innersten
Seelenkräfte vereinigten sich, um aufzu-
stehen, und dem ankommenden Bräutigam
der Seele entgegen zu gehen, ihn mit denen
Armen des Glaubens und der Liebe anzu-
fassen, und in den Genuß seiner Seligkei-
ten und die Gemeinschaft seiner theuren Lie-
be zu tretten.

Je herrlicher und erhabener aber JE-
sus in dem unaussprechlichen Reichthum
seines Erbarmens sich einer Seele offenba-
ret, desto demüthiger und niedriger, desto
zerschmelzter und zerbrochener wird sie in
der Liebe. So gienge es dieser Seele auch,
sie sanke gleichsam in einer mit der zärtlich-
sten Liebe vermischten Beugung und Scham
vor JEsu nieder, und schüttete ihr, durch
die Liebesstrahlen Christi mit empfindlich-
ster Neigung erfülltes Herz aus. Mein
Heyland! (sprach sie) ist es möglich, daß du
eine so grosse Sünderin, eine so schnöde,
schändliche und undankbare Creatur, wie

ich

Thaten der Gnade. I. Stuͤck.
tung geben, und mache uns treue! dem
Winke deiner Gnade zu folgen.

Dieſe Stimme richtete ihr verwunde-
tes und nach JEſu ſo innig ſehnendes Herz
in einer ſuͤſſen Verwunderung auf. Jhr
Geiſt wurde durch eine kindliche und gehei-
me Freude belebet. Sie dachte bey ſich ſelb-
ſten, das iſt die Stimme deines Freundes!
Siehe! er kommt. Alle auch die innerſten
Seelenkraͤfte vereinigten ſich, um aufzu-
ſtehen, und dem ankommenden Braͤutigam
der Seele entgegen zu gehen, ihn mit denen
Armen des Glaubens und der Liebe anzu-
faſſen, und in den Genuß ſeiner Seligkei-
ten und die Gemeinſchaft ſeiner theuren Lie-
be zu tretten.

Je herrlicher und erhabener aber JE-
ſus in dem unausſprechlichen Reichthum
ſeines Erbarmens ſich einer Seele offenba-
ret, deſto demuͤthiger und niedriger, deſto
zerſchmelzter und zerbrochener wird ſie in
der Liebe. So gienge es dieſer Seele auch,
ſie ſanke gleichſam in einer mit der zaͤrtlich-
ſten Liebe vermiſchten Beugung und Scham
vor JEſu nieder, und ſchuͤttete ihr, durch
die Liebesſtrahlen Chriſti mit empfindlich-
ſter Neigung erfuͤlltes Herz aus. Mein
Heyland! (ſprach ſie) iſt es moͤglich, daß du
eine ſo groſſe Suͤnderin, eine ſo ſchnoͤde,
ſchaͤndliche und undankbare Creatur, wie

ich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0115" n="63"/><fw place="top" type="header">Thaten der Gnade. <hi rendition="#aq">I</hi>. Stu&#x0364;ck.</fw><lb/>
tung geben, und mache uns treue! dem<lb/>
Winke deiner Gnade zu folgen.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e Stimme richtete ihr verwunde-<lb/>
tes und nach JE&#x017F;u &#x017F;o innig &#x017F;ehnendes Herz<lb/>
in einer &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;en Verwunderung auf. Jhr<lb/>
Gei&#x017F;t wurde durch eine kindliche und gehei-<lb/>
me Freude belebet. Sie dachte bey &#x017F;ich &#x017F;elb-<lb/>
&#x017F;ten, das i&#x017F;t die Stimme deines Freundes!<lb/>
Siehe! er kommt. Alle auch die inner&#x017F;ten<lb/>
Seelenkra&#x0364;fte vereinigten &#x017F;ich, um aufzu-<lb/>
&#x017F;tehen, und dem ankommenden Bra&#x0364;utigam<lb/>
der Seele entgegen zu gehen, ihn mit denen<lb/>
Armen des Glaubens und der Liebe anzu-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;en, und in den Genuß &#x017F;einer Seligkei-<lb/>
ten und die Gemein&#x017F;chaft &#x017F;einer theuren Lie-<lb/>
be zu tretten.</p><lb/>
        <p>Je herrlicher und erhabener aber JE-<lb/>
&#x017F;us in dem unaus&#x017F;prechlichen Reichthum<lb/>
&#x017F;eines Erbarmens &#x017F;ich einer Seele offenba-<lb/>
ret, de&#x017F;to demu&#x0364;thiger und niedriger, de&#x017F;to<lb/>
zer&#x017F;chmelzter und zerbrochener wird &#x017F;ie in<lb/>
der Liebe. So gienge es die&#x017F;er Seele auch,<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;anke gleich&#x017F;am in einer mit der za&#x0364;rtlich-<lb/>
&#x017F;ten Liebe vermi&#x017F;chten Beugung und Scham<lb/>
vor JE&#x017F;u nieder, und &#x017F;chu&#x0364;ttete ihr, durch<lb/>
die Liebes&#x017F;trahlen Chri&#x017F;ti mit empfindlich-<lb/>
&#x017F;ter Neigung erfu&#x0364;lltes Herz aus. Mein<lb/>
Heyland! (&#x017F;prach &#x017F;ie) i&#x017F;t es mo&#x0364;glich, daß du<lb/>
eine &#x017F;o gro&#x017F;&#x017F;e Su&#x0364;nderin, eine &#x017F;o &#x017F;chno&#x0364;de,<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;ndliche und undankbare Creatur, wie<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ich</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[63/0115] Thaten der Gnade. I. Stuͤck. tung geben, und mache uns treue! dem Winke deiner Gnade zu folgen. Dieſe Stimme richtete ihr verwunde- tes und nach JEſu ſo innig ſehnendes Herz in einer ſuͤſſen Verwunderung auf. Jhr Geiſt wurde durch eine kindliche und gehei- me Freude belebet. Sie dachte bey ſich ſelb- ſten, das iſt die Stimme deines Freundes! Siehe! er kommt. Alle auch die innerſten Seelenkraͤfte vereinigten ſich, um aufzu- ſtehen, und dem ankommenden Braͤutigam der Seele entgegen zu gehen, ihn mit denen Armen des Glaubens und der Liebe anzu- faſſen, und in den Genuß ſeiner Seligkei- ten und die Gemeinſchaft ſeiner theuren Lie- be zu tretten. Je herrlicher und erhabener aber JE- ſus in dem unausſprechlichen Reichthum ſeines Erbarmens ſich einer Seele offenba- ret, deſto demuͤthiger und niedriger, deſto zerſchmelzter und zerbrochener wird ſie in der Liebe. So gienge es dieſer Seele auch, ſie ſanke gleichſam in einer mit der zaͤrtlich- ſten Liebe vermiſchten Beugung und Scham vor JEſu nieder, und ſchuͤttete ihr, durch die Liebesſtrahlen Chriſti mit empfindlich- ſter Neigung erfuͤlltes Herz aus. Mein Heyland! (ſprach ſie) iſt es moͤglich, daß du eine ſo groſſe Suͤnderin, eine ſo ſchnoͤde, ſchaͤndliche und undankbare Creatur, wie ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/115
Zitationshilfe: Meyer, Johannes: Die grossen und seligen Thaten der Gnade. Zürich, 1759, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_wiedergebohrne_1759/115>, abgerufen am 25.11.2024.