Der Oberst schwieg und ließ seine dunkeln Blicke verächtlich über die undankbare Menge schweifen, die über einem Verschollenen und Todten die Gegenwart ihres Retters vergaß.
An dem obern Ende des Saales wurden die Lich¬ ter schon ausgelöscht und die geschmückten Frauen ließen sich von ihren Cavalieren zur Treppe geleiten. Herr Sprecher hatte, einer der Ersten, das Rathhaus verlassen. Besorglich legte sich eine Hand auf den Arm des Ober¬ sten und als er verstimmt sich umwandte, sah er in das fragende Gesicht des zürcherischen Bürgermeisters, der die in Thränen aufgelöste Amantia wegführte.
"Ich muß mit Dir reden! Heute noch, Jürg! Bleibst Du hier?" flüsterte Waser und, als Jenatsch ihm leicht zunickte: "So komm' ich wieder."
Jetzt reckte sich der Oberst zu seiner ganzen Höhe empor und sagte, das Haupt trotzig zurückwerfend, zu dem noch seiner Antwort harrenden Meyer, doch so, daß seine bebende Stimme durch den ganzen Saal klang: "Ich will mein Fest, Bürgermeister. Geht oder bleibt nach Eurem Belieben!" --
Verwirrung füllte den Saal, unheimliche Dämme¬ rung hatte sich zu verbreiten begonnen, in deren Schutz die meisten angesehenen Churer und fast alle Frauen
Der Oberſt ſchwieg und ließ ſeine dunkeln Blicke verächtlich über die undankbare Menge ſchweifen, die über einem Verſchollenen und Todten die Gegenwart ihres Retters vergaß.
An dem obern Ende des Saales wurden die Lich¬ ter ſchon ausgelöſcht und die geſchmückten Frauen ließen ſich von ihren Cavalieren zur Treppe geleiten. Herr Sprecher hatte, einer der Erſten, das Rathhaus verlaſſen. Beſorglich legte ſich eine Hand auf den Arm des Ober¬ ſten und als er verſtimmt ſich umwandte, ſah er in das fragende Geſicht des zürcheriſchen Bürgermeiſters, der die in Thränen aufgelöſte Amantia wegführte.
„Ich muß mit Dir reden! Heute noch, Jürg! Bleibſt Du hier?“ flüſterte Waſer und, als Jenatſch ihm leicht zunickte: „So komm' ich wieder.“
Jetzt reckte ſich der Oberſt zu ſeiner ganzen Höhe empor und ſagte, das Haupt trotzig zurückwerfend, zu dem noch ſeiner Antwort harrenden Meyer, doch ſo, daß ſeine bebende Stimme durch den ganzen Saal klang: „Ich will mein Feſt, Bürgermeiſter. Geht oder bleibt nach Eurem Belieben!“ —
Verwirrung füllte den Saal, unheimliche Dämme¬ rung hatte ſich zu verbreiten begonnen, in deren Schutz die meiſten angeſehenen Churer und faſt alle Frauen
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Der Oberſt ſchwieg und ließ ſeine dunkeln Blicke
verächtlich über die undankbare Menge ſchweifen, die
über einem Verſchollenen und Todten die Gegenwart
ihres Retters vergaß.
An dem obern Ende des Saales wurden die Lich¬
ter ſchon ausgelöſcht und die geſchmückten Frauen ließen
ſich von ihren Cavalieren zur Treppe geleiten. Herr
Sprecher hatte, einer der Erſten, das Rathhaus verlaſſen.
Beſorglich legte ſich eine Hand auf den Arm des Ober¬
ſten und als er verſtimmt ſich umwandte, ſah er in das
fragende Geſicht des zürcheriſchen Bürgermeiſters, der
die in Thränen aufgelöſte Amantia wegführte.
„Ich muß mit Dir reden! Heute noch, Jürg!
Bleibſt Du hier?“ flüſterte Waſer und, als Jenatſch
ihm leicht zunickte: „So komm' ich wieder.“
Jetzt reckte ſich der Oberſt zu ſeiner ganzen Höhe
empor und ſagte, das Haupt trotzig zurückwerfend, zu
dem noch ſeiner Antwort harrenden Meyer, doch ſo, daß
ſeine bebende Stimme durch den ganzen Saal klang:
„Ich will mein Feſt, Bürgermeiſter. Geht oder bleibt
nach Eurem Belieben!“ —
Verwirrung füllte den Saal, unheimliche Dämme¬
rung hatte ſich zu verbreiten begonnen, in deren Schutz
die meiſten angeſehenen Churer und faſt alle Frauen
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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/407>, abgerufen am 21.11.2024.
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