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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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sich unbemerkt entfernt hatten. Doch auf des Obersten
herrisches Wort entzündeten sich die Lichter von Neuem
und beleuchteten den beginnenden Reigen. Aber die
Gäste waren andere geworden und die Feier schien sich
in eine wilde Lustbarkeit verwandeln zu wollen.

Bevor Waser die Treppe erreichte, war sein Auge
an einer großen Frauengestalt in dunkler venetianischer
Tracht haften geblieben, die dem Strome der forteilen¬
den, den Stufen zudrängenden Churerinnen allein ent¬
gegen schritt. Es war etwas in der eigenthümlichen
Haltung dieses edelgeformten Hauptes, in der traurigen
Gluth dieser durch die sammtene Halbmaske blickenden,
suchenden Augen, das ihn seltsam schaurig berührte.

Er sah ihr nach, wie sie, das Gewühl der Tan¬
zenden meidend, die Kammer der Justitia betrat. Diese
hohe, reiche Gestalt kannte er nicht, aber sie mußte
auch Jenatsch aufgefallen sein, denn der Oberst richtete
sogleich seinen Gang nach derselben Schwelle. Ob er
sie überschritt, das sah Waser nicht mehr, das Gedränge
auf der Treppe wurde jetzt so groß, daß der Bürger¬
meister seiner ganzen Würde und Vorsicht bedurfte,
um die verwirrte Amantia ungefährdet durch den Eng¬
paß zu bringen. Es war ein toller Maskenzug, der
die Treppe hinauf stürmte, wilde Gesellen unter der
Führung einer kolossalen Bärin, der ein großes Schild

ſich unbemerkt entfernt hatten. Doch auf des Oberſten
herriſches Wort entzündeten ſich die Lichter von Neuem
und beleuchteten den beginnenden Reigen. Aber die
Gäſte waren andere geworden und die Feier ſchien ſich
in eine wilde Luſtbarkeit verwandeln zu wollen.

Bevor Waſer die Treppe erreichte, war ſein Auge
an einer großen Frauengeſtalt in dunkler venetianiſcher
Tracht haften geblieben, die dem Strome der forteilen¬
den, den Stufen zudrängenden Churerinnen allein ent¬
gegen ſchritt. Es war etwas in der eigenthümlichen
Haltung dieſes edelgeformten Hauptes, in der traurigen
Gluth dieſer durch die ſammtene Halbmaske blickenden,
ſuchenden Augen, das ihn ſeltſam ſchaurig berührte.

Er ſah ihr nach, wie ſie, das Gewühl der Tan¬
zenden meidend, die Kammer der Juſtitia betrat. Dieſe
hohe, reiche Geſtalt kannte er nicht, aber ſie mußte
auch Jenatſch aufgefallen ſein, denn der Oberſt richtete
ſogleich ſeinen Gang nach derſelben Schwelle. Ob er
ſie überſchritt, das ſah Waſer nicht mehr, das Gedränge
auf der Treppe wurde jetzt ſo groß, daß der Bürger¬
meiſter ſeiner ganzen Würde und Vorſicht bedurfte,
um die verwirrte Amantia ungefährdet durch den Eng¬
paß zu bringen. Es war ein toller Maskenzug, der
die Treppe hinauf ſtürmte, wilde Geſellen unter der
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[398/0408] ſich unbemerkt entfernt hatten. Doch auf des Oberſten herriſches Wort entzündeten ſich die Lichter von Neuem und beleuchteten den beginnenden Reigen. Aber die Gäſte waren andere geworden und die Feier ſchien ſich in eine wilde Luſtbarkeit verwandeln zu wollen. Bevor Waſer die Treppe erreichte, war ſein Auge an einer großen Frauengeſtalt in dunkler venetianiſcher Tracht haften geblieben, die dem Strome der forteilen¬ den, den Stufen zudrängenden Churerinnen allein ent¬ gegen ſchritt. Es war etwas in der eigenthümlichen Haltung dieſes edelgeformten Hauptes, in der traurigen Gluth dieſer durch die ſammtene Halbmaske blickenden, ſuchenden Augen, das ihn ſeltſam ſchaurig berührte. Er ſah ihr nach, wie ſie, das Gewühl der Tan¬ zenden meidend, die Kammer der Juſtitia betrat. Dieſe hohe, reiche Geſtalt kannte er nicht, aber ſie mußte auch Jenatſch aufgefallen ſein, denn der Oberſt richtete ſogleich ſeinen Gang nach derſelben Schwelle. Ob er ſie überſchritt, das ſah Waſer nicht mehr, das Gedränge auf der Treppe wurde jetzt ſo groß, daß der Bürger¬ meiſter ſeiner ganzen Würde und Vorſicht bedurfte, um die verwirrte Amantia ungefährdet durch den Eng¬ paß zu bringen. Es war ein toller Maskenzug, der die Treppe hinauf ſtürmte, wilde Geſellen unter der Führung einer koloſſalen Bärin, der ein großes Schild

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/408>, abgerufen am 11.05.2024.