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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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nicht einmal zu Gunsten eines Sohnes oder --
Schwiegersohnes," schloß Herr Fortunatus mit trübem
Lächeln.

"Gott genade uns, welch' ein Unwetter!" rief
Fräulein Amantia, unter diesem Schreckensruf ein
zartes Erröthen verbergend, und wirklich hatte sich der
Sturm draußen verdoppelt und seine Stöße, welche
die Gitterverzierungen am Fenster wegzureißen drohten,
ließen das feste Haus erbeben und die Gläser auf der
Tafel leise klingen. Es öffnete sich die Thür, eine er¬
schrockene Magd erschien und berichtete, der alte Glocken¬
thurm zu Sankt Luzi sei, nachdem man ihn einige
Male habe schwanken sehen, in dem Unwetter krachend
zusammengestürzt, gerade als der Oberst Jenatsch mit
seinem Gefolge durch das Thor eingeritten.

"Das ist nicht ohne Bedeutung," sagte ernst Herr
Fortunatus, während die Männer ans Fenster traten.
"Wir wissen aus Tito Livio und haben auch hier die
Erfahrung öfter gemacht, daß die Natur mit der Ge¬
schichte in geheimem Zusammenhange steht, große Be¬
gebenheiten vorausfühlt und mit ihren Schrecknissen
ankündigt und begleitet."

Unter andern Umständen hätte wohl der Bürger¬
meister diese abergläubische Bemerkung mit einem feinen
Lächeln beantwortet, diesmal aber konnte er sich eines

nicht einmal zu Gunſten eines Sohnes oder —
Schwiegerſohnes,“ ſchloß Herr Fortunatus mit trübem
Lächeln.

„Gott genade uns, welch' ein Unwetter!“ rief
Fräulein Amantia, unter dieſem Schreckensruf ein
zartes Erröthen verbergend, und wirklich hatte ſich der
Sturm draußen verdoppelt und ſeine Stöße, welche
die Gitterverzierungen am Fenſter wegzureißen drohten,
ließen das feſte Haus erbeben und die Gläſer auf der
Tafel leiſe klingen. Es öffnete ſich die Thür, eine er¬
ſchrockene Magd erſchien und berichtete, der alte Glocken¬
thurm zu Sankt Luzi ſei, nachdem man ihn einige
Male habe ſchwanken ſehen, in dem Unwetter krachend
zuſammengeſtürzt, gerade als der Oberſt Jenatſch mit
ſeinem Gefolge durch das Thor eingeritten.

„Das iſt nicht ohne Bedeutung,“ ſagte ernſt Herr
Fortunatus, während die Männer ans Fenſter traten.
„Wir wiſſen aus Tito Livio und haben auch hier die
Erfahrung öfter gemacht, daß die Natur mit der Ge¬
ſchichte in geheimem Zuſammenhange ſteht, große Be¬
gebenheiten vorausfühlt und mit ihren Schreckniſſen
ankündigt und begleitet.“

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meiſter dieſe abergläubiſche Bemerkung mit einem feinen
Lächeln beantwortet, diesmal aber konnte er ſich eines

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[380/0390] nicht einmal zu Gunſten eines Sohnes oder — Schwiegerſohnes,“ ſchloß Herr Fortunatus mit trübem Lächeln. „Gott genade uns, welch' ein Unwetter!“ rief Fräulein Amantia, unter dieſem Schreckensruf ein zartes Erröthen verbergend, und wirklich hatte ſich der Sturm draußen verdoppelt und ſeine Stöße, welche die Gitterverzierungen am Fenſter wegzureißen drohten, ließen das feſte Haus erbeben und die Gläſer auf der Tafel leiſe klingen. Es öffnete ſich die Thür, eine er¬ ſchrockene Magd erſchien und berichtete, der alte Glocken¬ thurm zu Sankt Luzi ſei, nachdem man ihn einige Male habe ſchwanken ſehen, in dem Unwetter krachend zuſammengeſtürzt, gerade als der Oberſt Jenatſch mit ſeinem Gefolge durch das Thor eingeritten. „Das iſt nicht ohne Bedeutung,“ ſagte ernſt Herr Fortunatus, während die Männer ans Fenſter traten. „Wir wiſſen aus Tito Livio und haben auch hier die Erfahrung öfter gemacht, daß die Natur mit der Ge¬ ſchichte in geheimem Zuſammenhange ſteht, große Be¬ gebenheiten vorausfühlt und mit ihren Schreckniſſen ankündigt und begleitet.“ Unter andern Umſtänden hätte wohl der Bürger¬ meiſter dieſe abergläubiſche Bemerkung mit einem feinen Lächeln beantwortet, diesmal aber konnte er ſich eines

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/390>, abgerufen am 18.05.2024.