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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Adel keinen Umgang pflog, das freilich konnte ihr Per¬
petua unmöglich verdenken, denn jene Alle waren Pro¬
testanten und gehörten zu der französischen Partei.
So war Lucretia völlig allein, warum denn verließ sie
ihren düstern einsamen Pfad nicht? Warum trat sie
nicht in die Gemeinschaft der demüthigen Töchter des
heiligen Dominicus?

Während die Schwester dergestalt diesen ihren
Lieblingsgedankengang durcheilte, drehte Lucretia schwei¬
gend ihre Spindel und verfolgte einen andern.

Sie fragte ihr Herz, wie es denn möglich sei,
daß Jürg in seiner wildesten blutigsten Zeit ihrem Ge¬
fühl und Verständnisse weniger fremd gewesen, als jetzt,
da er in den Räthen des Landes und im Heergefolge
des französischen Herzogs unter die Geachteten und
Angesehenen zählte.

Zweimal seit ihrer Heimkehr hatte sie Georg,
wenn sie zu Besuch bei ihrer Muhme in Chur war,
von ferne erblickt. Eines Abends stand sie neben dem
Lehnstuhle der alten Dame und schaute durch das eiserne
Laubwerk am Gitterkorb des Fensters, während der
Sonnenschein gradweise das Pflaster des Platzes ver¬
ließ und nur noch auf dem sprudelnden Wasser des
Marktbrunnens blitzte. Der Oberst schritt längs der
gegenüberstehenden Häuserreihe auf und nieder an der

Adel keinen Umgang pflog, das freilich konnte ihr Per¬
petua unmöglich verdenken, denn jene Alle waren Pro¬
teſtanten und gehörten zu der franzöſiſchen Partei.
So war Lucretia völlig allein, warum denn verließ ſie
ihren düſtern einſamen Pfad nicht? Warum trat ſie
nicht in die Gemeinſchaft der demüthigen Töchter des
heiligen Dominicus?

Während die Schweſter dergeſtalt dieſen ihren
Lieblingsgedankengang durcheilte, drehte Lucretia ſchwei¬
gend ihre Spindel und verfolgte einen andern.

Sie fragte ihr Herz, wie es denn möglich ſei,
daß Jürg in ſeiner wildeſten blutigſten Zeit ihrem Ge¬
fühl und Verſtändniſſe weniger fremd geweſen, als jetzt,
da er in den Räthen des Landes und im Heergefolge
des franzöſiſchen Herzogs unter die Geachteten und
Angeſehenen zählte.

Zweimal ſeit ihrer Heimkehr hatte ſie Georg,
wenn ſie zu Beſuch bei ihrer Muhme in Chur war,
von ferne erblickt. Eines Abends ſtand ſie neben dem
Lehnſtuhle der alten Dame und ſchaute durch das eiſerne
Laubwerk am Gitterkorb des Fenſters, während der
Sonnenſchein gradweiſe das Pflaſter des Platzes ver¬
ließ und nur noch auf dem ſprudelnden Waſſer des
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[284/0294] Adel keinen Umgang pflog, das freilich konnte ihr Per¬ petua unmöglich verdenken, denn jene Alle waren Pro¬ teſtanten und gehörten zu der franzöſiſchen Partei. So war Lucretia völlig allein, warum denn verließ ſie ihren düſtern einſamen Pfad nicht? Warum trat ſie nicht in die Gemeinſchaft der demüthigen Töchter des heiligen Dominicus? Während die Schweſter dergeſtalt dieſen ihren Lieblingsgedankengang durcheilte, drehte Lucretia ſchwei¬ gend ihre Spindel und verfolgte einen andern. Sie fragte ihr Herz, wie es denn möglich ſei, daß Jürg in ſeiner wildeſten blutigſten Zeit ihrem Ge¬ fühl und Verſtändniſſe weniger fremd geweſen, als jetzt, da er in den Räthen des Landes und im Heergefolge des franzöſiſchen Herzogs unter die Geachteten und Angeſehenen zählte. Zweimal ſeit ihrer Heimkehr hatte ſie Georg, wenn ſie zu Beſuch bei ihrer Muhme in Chur war, von ferne erblickt. Eines Abends ſtand ſie neben dem Lehnſtuhle der alten Dame und ſchaute durch das eiſerne Laubwerk am Gitterkorb des Fenſters, während der Sonnenſchein gradweiſe das Pflaſter des Platzes ver¬ ließ und nur noch auf dem ſprudelnden Waſſer des Marktbrunnens blitzte. Der Oberſt ſchritt längs der gegenüberſtehenden Häuſerreihe auf und nieder an der

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/294>, abgerufen am 22.11.2024.