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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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Seite einer gravitätischen Magistratsperson, die jedes
Wort, das von seinen Lippen fiel mit begieriger Auf¬
merksamkeit anhörte und seine Aussprüche mit beistim¬
mendem Kopfnicken begleitete. Es schien sich um einen
schweren Rechtsfall zu handeln.

Ein andermal umgab den Obersten ein Kreis
französischer Edelleute, mit denen er nach der Mittags¬
tafel in schneller, lustiger Scherzrede sich erging. --
Immer aber klang es so hell von seinem Munde und
leuchtete es so geistvoll von seiner Stirn, daß er als
einer jener seltenen Günstlinge des Glückes erschien,
die sich alle Wege des Erfolges zu öffnen und zu ebnen
wissen und die das Vergangene und Unabänderliche
wie eine lästige Fessel abwerfen.

Ich weiß es jetzt -- gestand sie sich -- dieser
Freund von Jedermann ist nicht der Jürg mehr, den
ich liebte, -- nicht der scheu verwegene Knabe mit den
dunkeln verschwiegenen Augen, der mein Beschützer war,
-- nicht der zornig Dahinbrausende, der mein Glück
wie ein die Ufer zerreißender Wildbach in Trümmer
warf, -- nicht der Mann, gegen den ich in meinen
Racheträumen die Hand erhob, -- nicht der Traute,
den ich nach Jahren des Jammers auf dem Bernhardin
wieder zu erkennen glaubte und in die Arme schloß,
-- nein! es ist ein weltgewandter Höfling, ein berechnen¬

Seite einer gravitätiſchen Magiſtratsperſon, die jedes
Wort, das von ſeinen Lippen fiel mit begieriger Auf¬
merkſamkeit anhörte und ſeine Ausſprüche mit beiſtim¬
mendem Kopfnicken begleitete. Es ſchien ſich um einen
ſchweren Rechtsfall zu handeln.

Ein andermal umgab den Oberſten ein Kreis
franzöſiſcher Edelleute, mit denen er nach der Mittags¬
tafel in ſchneller, luſtiger Scherzrede ſich erging. —
Immer aber klang es ſo hell von ſeinem Munde und
leuchtete es ſo geiſtvoll von ſeiner Stirn, daß er als
einer jener ſeltenen Günſtlinge des Glückes erſchien,
die ſich alle Wege des Erfolges zu öffnen und zu ebnen
wiſſen und die das Vergangene und Unabänderliche
wie eine läſtige Feſſel abwerfen.

Ich weiß es jetzt — geſtand ſie ſich — dieſer
Freund von Jedermann iſt nicht der Jürg mehr, den
ich liebte, — nicht der ſcheu verwegene Knabe mit den
dunkeln verſchwiegenen Augen, der mein Beſchützer war,
— nicht der zornig Dahinbrauſende, der mein Glück
wie ein die Ufer zerreißender Wildbach in Trümmer
warf, — nicht der Mann, gegen den ich in meinen
Racheträumen die Hand erhob, — nicht der Traute,
den ich nach Jahren des Jammers auf dem Bernhardin
wieder zu erkennen glaubte und in die Arme ſchloß,
— nein! es iſt ein weltgewandter Höfling, ein berechnen¬

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[285/0295] Seite einer gravitätiſchen Magiſtratsperſon, die jedes Wort, das von ſeinen Lippen fiel mit begieriger Auf¬ merkſamkeit anhörte und ſeine Ausſprüche mit beiſtim¬ mendem Kopfnicken begleitete. Es ſchien ſich um einen ſchweren Rechtsfall zu handeln. Ein andermal umgab den Oberſten ein Kreis franzöſiſcher Edelleute, mit denen er nach der Mittags¬ tafel in ſchneller, luſtiger Scherzrede ſich erging. — Immer aber klang es ſo hell von ſeinem Munde und leuchtete es ſo geiſtvoll von ſeiner Stirn, daß er als einer jener ſeltenen Günſtlinge des Glückes erſchien, die ſich alle Wege des Erfolges zu öffnen und zu ebnen wiſſen und die das Vergangene und Unabänderliche wie eine läſtige Feſſel abwerfen. Ich weiß es jetzt — geſtand ſie ſich — dieſer Freund von Jedermann iſt nicht der Jürg mehr, den ich liebte, — nicht der ſcheu verwegene Knabe mit den dunkeln verſchwiegenen Augen, der mein Beſchützer war, — nicht der zornig Dahinbrauſende, der mein Glück wie ein die Ufer zerreißender Wildbach in Trümmer warf, — nicht der Mann, gegen den ich in meinen Racheträumen die Hand erhob, — nicht der Traute, den ich nach Jahren des Jammers auf dem Bernhardin wieder zu erkennen glaubte und in die Arme ſchloß, — nein! es iſt ein weltgewandter Höfling, ein berechnen¬

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/295>, abgerufen am 22.11.2024.