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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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"Tete bleue", erscholl hinter Jenatsch eine fröh¬
liche Baßstimme, Du hast die rechte Thür verfehlt,
Herr Camerad! Drüben erwartet man Dich mit Un¬
geduld!" und ein gewaltiger Kriegsmann schob seinen
Arm unter den des Obersten Jenatsch und zog ihn ohne
Umstände in die Herrenstube hinüber, wo er mit lärmen¬
dem Willkomm empfangen wurde.

Der Oberst grüßte, aber ließ keinen seiner Kame¬
raden zu Worte kommen. "Vor Allem gebt mir über
Eines Auskunft, Herren", rief er ihnen entgegen,
"was ficht Euch an, daß Ihr Eure Stellungen an der
Grenze verlassen und Eure Regimenter im sichern
Domleschg aufgestellt habt? Dazu kann Euch der Her¬
zog nicht Ordre gegeben haben. Still, Guler, Dir
steigt das Blut zu Haupt! -- Gebt Ihr mir geneigten
Aufschluß, Graf Travers, Ihr seid der Ruhigste." --

Der Graf, ein noch jugendlicher Mann mit scharf
ausgeprägten italienischen Zügen und fester Feinheit
des Ausdrucks, erzählte, Alle hätten sie bei der Nach¬
richt vom Tode des Herzogs, dessen Ehre und Persön¬
lichkeit ihre einzige Bürgschaft gewesen, den gänzlichen
Verlust des rückständigen Soldes ihrer Regimenter be¬
fürchtet, der, wie Jenatsch wisse, eine Million Livres
übersteige. Dieser Verlust, für den sie bei ihren Sol¬
daten, wie der Contract einmal sei, persönlich einzu¬

Tête bleue“, erſcholl hinter Jenatſch eine fröh¬
liche Baßſtimme, Du haſt die rechte Thür verfehlt,
Herr Camerad! Drüben erwartet man Dich mit Un¬
geduld!“ und ein gewaltiger Kriegsmann ſchob ſeinen
Arm unter den des Oberſten Jenatſch und zog ihn ohne
Umſtände in die Herrenſtube hinüber, wo er mit lärmen¬
dem Willkomm empfangen wurde.

Der Oberſt grüßte, aber ließ keinen ſeiner Kame¬
raden zu Worte kommen. „Vor Allem gebt mir über
Eines Auskunft, Herren“, rief er ihnen entgegen,
„was ficht Euch an, daß Ihr Eure Stellungen an der
Grenze verlaſſen und Eure Regimenter im ſichern
Domleſchg aufgeſtellt habt? Dazu kann Euch der Her¬
zog nicht Ordre gegeben haben. Still, Guler, Dir
ſteigt das Blut zu Haupt! — Gebt Ihr mir geneigten
Aufſchluß, Graf Travers, Ihr ſeid der Ruhigſte.“ —

Der Graf, ein noch jugendlicher Mann mit ſcharf
ausgeprägten italieniſchen Zügen und feſter Feinheit
des Ausdrucks, erzählte, Alle hätten ſie bei der Nach¬
richt vom Tode des Herzogs, deſſen Ehre und Perſön¬
lichkeit ihre einzige Bürgſchaft geweſen, den gänzlichen
Verluſt des rückſtändigen Soldes ihrer Regimenter be¬
fürchtet, der, wie Jenatſch wiſſe, eine Million Livres
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[252/0262] „Tête bleue“, erſcholl hinter Jenatſch eine fröh¬ liche Baßſtimme, Du haſt die rechte Thür verfehlt, Herr Camerad! Drüben erwartet man Dich mit Un¬ geduld!“ und ein gewaltiger Kriegsmann ſchob ſeinen Arm unter den des Oberſten Jenatſch und zog ihn ohne Umſtände in die Herrenſtube hinüber, wo er mit lärmen¬ dem Willkomm empfangen wurde. Der Oberſt grüßte, aber ließ keinen ſeiner Kame¬ raden zu Worte kommen. „Vor Allem gebt mir über Eines Auskunft, Herren“, rief er ihnen entgegen, „was ficht Euch an, daß Ihr Eure Stellungen an der Grenze verlaſſen und Eure Regimenter im ſichern Domleſchg aufgeſtellt habt? Dazu kann Euch der Her¬ zog nicht Ordre gegeben haben. Still, Guler, Dir ſteigt das Blut zu Haupt! — Gebt Ihr mir geneigten Aufſchluß, Graf Travers, Ihr ſeid der Ruhigſte.“ — Der Graf, ein noch jugendlicher Mann mit ſcharf ausgeprägten italieniſchen Zügen und feſter Feinheit des Ausdrucks, erzählte, Alle hätten ſie bei der Nach¬ richt vom Tode des Herzogs, deſſen Ehre und Perſön¬ lichkeit ihre einzige Bürgſchaft geweſen, den gänzlichen Verluſt des rückſtändigen Soldes ihrer Regimenter be¬ fürchtet, der, wie Jenatſch wiſſe, eine Million Livres überſteige. Dieſer Verluſt, für den ſie bei ihren Sol¬ daten, wie der Contract einmal ſei, perſönlich einzu¬

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/262>, abgerufen am 25.11.2024.