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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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stehen hätten, wäre ihrem völligen Ruin gleich ge¬
kommen. Um diesem vorzubeugen, hätten sie nur ein
Mittel gekannt und es zu ergreifen einstimmig be¬
schlossen: Das Verlassen ihrer Stellungen an der Grenze
mit der Erklärung, dieselben erst dann wieder beziehen
zu wollen, wenn der französische Kriegsschatzmeister die
Rückstände ausgeglichen habe. Die Kunde vom Tode
des Herzogs hätte sich glücklicherweise nicht bestätigt;
aber nachdem der Schritt einmal gethan gewesen, hätten
sie vorgezogen, statt ihn zurückzuthun, auch dem von
ihnen Allen hochverehrten Herzog Heinrich gegenüber
auf ihrem Entschlusse zu beharren, bis ihre gerechte
Forderung befriedigt sei.

Als dieser davon gehört, habe er ihnen den Kriegs¬
schatzmeister Lasnier mit einer kleinen Abschlagszahlung,
der unbedeutenden Summe von dreiunddreißigtausend
Livres, zugesendet und zugleich die Weisung, ohne Ver¬
zug ihre früheren Stellungen an der Grenze wieder zu
beziehen . . . .

"Was moralisch unmöglich war", brach Guler los,
"da dieser kleine Bösewicht uns mit Gift und Galle
überschüttete und die unglaubliche Drohung ausstieß,
er wolle uns den Bauch zertreten!" . . . .

"Passer sur le ventre", spottete Jenatsch, "das
ist unendlich unschuldiger, als es klingt. Du scheinst

ſtehen hätten, wäre ihrem völligen Ruin gleich ge¬
kommen. Um dieſem vorzubeugen, hätten ſie nur ein
Mittel gekannt und es zu ergreifen einſtimmig be¬
ſchloſſen: Das Verlaſſen ihrer Stellungen an der Grenze
mit der Erklärung, dieſelben erſt dann wieder beziehen
zu wollen, wenn der franzöſiſche Kriegsſchatzmeiſter die
Rückſtände ausgeglichen habe. Die Kunde vom Tode
des Herzogs hätte ſich glücklicherweiſe nicht beſtätigt;
aber nachdem der Schritt einmal gethan geweſen, hätten
ſie vorgezogen, ſtatt ihn zurückzuthun, auch dem von
ihnen Allen hochverehrten Herzog Heinrich gegenüber
auf ihrem Entſchluſſe zu beharren, bis ihre gerechte
Forderung befriedigt ſei.

Als dieſer davon gehört, habe er ihnen den Kriegs¬
ſchatzmeiſter Lasnier mit einer kleinen Abſchlagszahlung,
der unbedeutenden Summe von dreiunddreißigtauſend
Livres, zugeſendet und zugleich die Weiſung, ohne Ver¬
zug ihre früheren Stellungen an der Grenze wieder zu
beziehen . . . .

„Was moraliſch unmöglich war“, brach Guler los,
„da dieſer kleine Böſewicht uns mit Gift und Galle
überſchüttete und die unglaubliche Drohung ausſtieß,
er wolle uns den Bauch zertreten!“ . . . .

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[253/0263] ſtehen hätten, wäre ihrem völligen Ruin gleich ge¬ kommen. Um dieſem vorzubeugen, hätten ſie nur ein Mittel gekannt und es zu ergreifen einſtimmig be¬ ſchloſſen: Das Verlaſſen ihrer Stellungen an der Grenze mit der Erklärung, dieſelben erſt dann wieder beziehen zu wollen, wenn der franzöſiſche Kriegsſchatzmeiſter die Rückſtände ausgeglichen habe. Die Kunde vom Tode des Herzogs hätte ſich glücklicherweiſe nicht beſtätigt; aber nachdem der Schritt einmal gethan geweſen, hätten ſie vorgezogen, ſtatt ihn zurückzuthun, auch dem von ihnen Allen hochverehrten Herzog Heinrich gegenüber auf ihrem Entſchluſſe zu beharren, bis ihre gerechte Forderung befriedigt ſei. Als dieſer davon gehört, habe er ihnen den Kriegs¬ ſchatzmeiſter Lasnier mit einer kleinen Abſchlagszahlung, der unbedeutenden Summe von dreiunddreißigtauſend Livres, zugeſendet und zugleich die Weiſung, ohne Ver¬ zug ihre früheren Stellungen an der Grenze wieder zu beziehen . . . . „Was moraliſch unmöglich war“, brach Guler los, „da dieſer kleine Böſewicht uns mit Gift und Galle überſchüttete und die unglaubliche Drohung ausſtieß, er wolle uns den Bauch zertreten!“ . . . . „Passer sur le ventre“, ſpottete Jenatſch, „das iſt unendlich unſchuldiger, als es klingt. Du ſcheinſt

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/263>, abgerufen am 22.11.2024.