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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876.

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in Eurer Gegenwart von dem Inhalte des Schreibens
Kenntniß zu nehmen."

Jenatsch winkte bejahend und Wertmüller vertiefte
sich eine geraume Weile in den Brief, erst um sich
Haltung zu geben, denn das eigenmächtige Thun des
Hauptmanns hatte ihn beleidigt, nach und nach mit
immer größerem Interesse.

"Eine gloriose Geschichte! Beim Jupiter, eine alte
Römerin!" rief er endlich aus. "Ich kann Euch das
nicht vorenthalten, obgleich Ihr eben, Hauptmann, mein
kameradschaftliches Vertrauen hinterlistig mißbraucht
habt! Um so weniger da Euch das Ereigniß so zu
sagen persönlich angeht, denn die Hauptrolle hat eine
Bündnerin! Mit den Worten dieser Krämerseele, -- ich
meine den Briefsteller, meinen langweiligen Vetter, --
mag ich es Euch freilich nicht mittheilen, es wäre Schade
darum! Erlaubt mir, Euch die seltene Historie frei
vorzutragen. Also:

In Mailand lebt, wie Euch nicht unbekannt sein
wird. Euer alter bissiger Herr Rudolf, der Planta von
Zernetz mit seinem gleichnamigen die brave Bärentatze
mit Unehren im Wappen führenden Sohne in den ärm¬
lichsten Umständen. Jener intriguirt und speist bei dem
Gubernatore und dieser treibt sich mit dessen Neffen
in den eines weiten Rufs genießenden Spielhäusern

in Eurer Gegenwart von dem Inhalte des Schreibens
Kenntniß zu nehmen.“

Jenatſch winkte bejahend und Wertmüller vertiefte
ſich eine geraume Weile in den Brief, erſt um ſich
Haltung zu geben, denn das eigenmächtige Thun des
Hauptmanns hatte ihn beleidigt, nach und nach mit
immer größerem Intereſſe.

„Eine glorioſe Geſchichte! Beim Jupiter, eine alte
Römerin!“ rief er endlich aus. „Ich kann Euch das
nicht vorenthalten, obgleich Ihr eben, Hauptmann, mein
kameradſchaftliches Vertrauen hinterliſtig mißbraucht
habt! Um ſo weniger da Euch das Ereigniß ſo zu
ſagen perſönlich angeht, denn die Hauptrolle hat eine
Bündnerin! Mit den Worten dieſer Krämerſeele, — ich
meine den Briefſteller, meinen langweiligen Vetter, —
mag ich es Euch freilich nicht mittheilen, es wäre Schade
darum! Erlaubt mir, Euch die ſeltene Hiſtorie frei
vorzutragen. Alſo:

In Mailand lebt, wie Euch nicht unbekannt ſein
wird. Euer alter biſſiger Herr Rudolf, der Planta von
Zernetz mit ſeinem gleichnamigen die brave Bärentatze
mit Unehren im Wappen führenden Sohne in den ärm¬
lichſten Umſtänden. Jener intriguirt und ſpeiſt bei dem
Gubernatore und dieſer treibt ſich mit deſſen Neffen
in den eines weiten Rufs genießenden Spielhäuſern

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[162/0172] in Eurer Gegenwart von dem Inhalte des Schreibens Kenntniß zu nehmen.“ Jenatſch winkte bejahend und Wertmüller vertiefte ſich eine geraume Weile in den Brief, erſt um ſich Haltung zu geben, denn das eigenmächtige Thun des Hauptmanns hatte ihn beleidigt, nach und nach mit immer größerem Intereſſe. „Eine glorioſe Geſchichte! Beim Jupiter, eine alte Römerin!“ rief er endlich aus. „Ich kann Euch das nicht vorenthalten, obgleich Ihr eben, Hauptmann, mein kameradſchaftliches Vertrauen hinterliſtig mißbraucht habt! Um ſo weniger da Euch das Ereigniß ſo zu ſagen perſönlich angeht, denn die Hauptrolle hat eine Bündnerin! Mit den Worten dieſer Krämerſeele, — ich meine den Briefſteller, meinen langweiligen Vetter, — mag ich es Euch freilich nicht mittheilen, es wäre Schade darum! Erlaubt mir, Euch die ſeltene Hiſtorie frei vorzutragen. Alſo: In Mailand lebt, wie Euch nicht unbekannt ſein wird. Euer alter biſſiger Herr Rudolf, der Planta von Zernetz mit ſeinem gleichnamigen die brave Bärentatze mit Unehren im Wappen führenden Sohne in den ärm¬ lichſten Umſtänden. Jener intriguirt und ſpeiſt bei dem Gubernatore und dieſer treibt ſich mit deſſen Neffen in den eines weiten Rufs genießenden Spielhäuſern

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/172>, abgerufen am 06.05.2024.