dem Brückenbogen durchgleitenden Gondeln, oder be¬ trachtete die Bettler, welche auf den Stufen des Domes lagerten und eben ihr Frühstück verzehrten. Ihm zu Häupten war an der Mauer, dem Halbrunde der Thürwölbung folgend, in colossalen schwarzen Lettern und italienischer Sprache zu lesen: Lorenz Fausch, Pa¬ stetenbäcker aus Bünden.
Aus den herrschaftlichen Gondeln, die an der Lan¬ dungstreppe des Campo anlegten, war schon manche zarte Dame gestiegen; manche zierliche Gestalt, umhüllt von den weichen Falten dunkler Seide und das Antlitz durch die sammetne Halbmaske vor der Kälte geschützt, war die Stufen hinauf über den Platz in die Kirche geglitten, ohne daß die Züge des Bündners sich im Mindesten verändert hätten. Jetzt aber ging etwas Seltsames auf dem ernsthaft gleichmüthigen Gesichte vor. Unter der Brücke war der wetterbraune, weißbärtige Kopf eines Ruderers zum Vorschein gekommen, der, aus seinen ungelenken Bewegungen zu schließen, mit der Lagune nicht vertraut war. Während sein Gefährte, der auf dem Hintertheile des Fahrzeuges stand, ein jugendlich behender, ein echter Gondoliere, dieses mit schlanker Ruderbewegung an die Mauer drückte, öffnete der Alte langsam die niedrige Gondelthüre und schickte sich an, einer nur leicht verschleierten, offen und groß
dem Brückenbogen durchgleitenden Gondeln, oder be¬ trachtete die Bettler, welche auf den Stufen des Domes lagerten und eben ihr Frühſtück verzehrten. Ihm zu Häupten war an der Mauer, dem Halbrunde der Thürwölbung folgend, in coloſſalen ſchwarzen Lettern und italieniſcher Sprache zu leſen: Lorenz Fauſch, Pa¬ ſtetenbäcker aus Bünden.
Aus den herrſchaftlichen Gondeln, die an der Lan¬ dungstreppe des Campo anlegten, war ſchon manche zarte Dame geſtiegen; manche zierliche Geſtalt, umhüllt von den weichen Falten dunkler Seide und das Antlitz durch die ſammetne Halbmaske vor der Kälte geſchützt, war die Stufen hinauf über den Platz in die Kirche geglitten, ohne daß die Züge des Bündners ſich im Mindeſten verändert hätten. Jetzt aber ging etwas Seltſames auf dem ernſthaft gleichmüthigen Geſichte vor. Unter der Brücke war der wetterbraune, weißbärtige Kopf eines Ruderers zum Vorſchein gekommen, der, aus ſeinen ungelenken Bewegungen zu ſchließen, mit der Lagune nicht vertraut war. Während ſein Gefährte, der auf dem Hintertheile des Fahrzeuges ſtand, ein jugendlich behender, ein echter Gondoliere, dieſes mit ſchlanker Ruderbewegung an die Mauer drückte, öffnete der Alte langſam die niedrige Gondelthüre und ſchickte ſich an, einer nur leicht verſchleierten, offen und groß
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dem Brückenbogen durchgleitenden Gondeln, oder be¬
trachtete die Bettler, welche auf den Stufen des Domes
lagerten und eben ihr Frühſtück verzehrten. Ihm zu
Häupten war an der Mauer, dem Halbrunde der
Thürwölbung folgend, in coloſſalen ſchwarzen Lettern
und italieniſcher Sprache zu leſen: Lorenz Fauſch, Pa¬
ſtetenbäcker aus Bünden.
Aus den herrſchaftlichen Gondeln, die an der Lan¬
dungstreppe des Campo anlegten, war ſchon manche
zarte Dame geſtiegen; manche zierliche Geſtalt, umhüllt
von den weichen Falten dunkler Seide und das Antlitz
durch die ſammetne Halbmaske vor der Kälte geſchützt,
war die Stufen hinauf über den Platz in die Kirche
geglitten, ohne daß die Züge des Bündners ſich im
Mindeſten verändert hätten. Jetzt aber ging etwas
Seltſames auf dem ernſthaft gleichmüthigen Geſichte vor.
Unter der Brücke war der wetterbraune, weißbärtige
Kopf eines Ruderers zum Vorſchein gekommen, der,
aus ſeinen ungelenken Bewegungen zu ſchließen, mit der
Lagune nicht vertraut war. Während ſein Gefährte,
der auf dem Hintertheile des Fahrzeuges ſtand, ein
jugendlich behender, ein echter Gondoliere, dieſes mit
ſchlanker Ruderbewegung an die Mauer drückte, öffnete
der Alte langſam die niedrige Gondelthüre und ſchickte
ſich an, einer nur leicht verſchleierten, offen und groß
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Meyer, Conrad Ferdinand: Georg Jenatsch. Leipzig, 1876, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_jenatsch_1876/128>, abgerufen am 27.11.2024.
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