der Perücken und Reifröcke. Die Marmorwelt des Alterthums verwandelte sich unter den geschäftigen Händen der Friseurs von Paris, Leipzig und Berlin in ein Bedlam voll phantastischer Ungeheuer. Das waren die Gestalten, womit man den ganzen Raum, den die damalige Poesie einnahm, bevölkerte. Nichts schien poetisch, was nicht eine Beziehung auf die alte Mythologie hatte, die dennoch immer jeder neuen Pariser Mode huldigen mußte. Unter allen Dichtern des Alterthums, die man nachzuahmen wetteiferte, gelangte Horaz zum höchsten Ruhm. Ihm fühlten die Hofpoeten am nächsten sich verwandt. Man durfte ihn nur übersetzen, nur citiren, so fand man schon Beifall. In Frankreich war Batteux der Prophet dieses Geschmacks, in Deutschland sein Übersetzer Ramler. Daher nun jene Sündfluth von Oden, Elegien, poetischen Briefen und Satyren, die da¬ mals Deutschland unter ein schlammiges Wasser setzte. Da man nur nachahmte, und nichts Neues erfand, als etwa die moderne Anwendung alter Schmeiche¬ leien, so gab man sich auch wenig Mühe. Es war schon genug, nur die Alten zu citiren. Ein Oden¬ dichter durfte von seinem Helden nur sagen, er sey feurig wie Mars, schlau wie Merkur, schön wie Apoll, von seiner Heldin, sie sey jung wie Hebe, schlank wie Atalante, reizend wie Venus gewesen, und man fand die Schilderung entzückend. Selbst Wieland setzte seine Gemälde noch oft aus hundert Anspielungen und Citaten aus der Mythologie zusam¬
4 *
der Peruͤcken und Reifroͤcke. Die Marmorwelt des Alterthums verwandelte ſich unter den geſchaͤftigen Haͤnden der Friſeurs von Paris, Leipzig und Berlin in ein Bedlam voll phantaſtiſcher Ungeheuer. Das waren die Geſtalten, womit man den ganzen Raum, den die damalige Poeſie einnahm, bevoͤlkerte. Nichts ſchien poetiſch, was nicht eine Beziehung auf die alte Mythologie hatte, die dennoch immer jeder neuen Pariſer Mode huldigen mußte. Unter allen Dichtern des Alterthums, die man nachzuahmen wetteiferte, gelangte Horaz zum hoͤchſten Ruhm. Ihm fuͤhlten die Hofpoeten am naͤchſten ſich verwandt. Man durfte ihn nur uͤberſetzen, nur citiren, ſo fand man ſchon Beifall. In Frankreich war Batteux der Prophet dieſes Geſchmacks, in Deutſchland ſein Überſetzer Ramler. Daher nun jene Suͤndfluth von Oden, Elegien, poetiſchen Briefen und Satyren, die da¬ mals Deutſchland unter ein ſchlammiges Waſſer ſetzte. Da man nur nachahmte, und nichts Neues erfand, als etwa die moderne Anwendung alter Schmeiche¬ leien, ſo gab man ſich auch wenig Muͤhe. Es war ſchon genug, nur die Alten zu citiren. Ein Oden¬ dichter durfte von ſeinem Helden nur ſagen, er ſey feurig wie Mars, ſchlau wie Merkur, ſchoͤn wie Apoll, von ſeiner Heldin, ſie ſey jung wie Hebe, ſchlank wie Atalante, reizend wie Venus geweſen, und man fand die Schilderung entzuͤckend. Selbſt Wieland ſetzte ſeine Gemaͤlde noch oft aus hundert Anſpielungen und Citaten aus der Mythologie zuſam¬
4 *
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0085"n="75"/>
der Peruͤcken und Reifroͤcke. Die Marmorwelt des<lb/>
Alterthums verwandelte ſich unter den geſchaͤftigen<lb/>
Haͤnden der Friſeurs von Paris, Leipzig und Berlin<lb/>
in ein Bedlam voll phantaſtiſcher Ungeheuer. Das<lb/>
waren die Geſtalten, womit man den ganzen Raum,<lb/>
den die damalige Poeſie einnahm, bevoͤlkerte. Nichts<lb/>ſchien poetiſch, was nicht eine Beziehung auf die<lb/>
alte Mythologie hatte, die dennoch immer jeder neuen<lb/>
Pariſer Mode huldigen mußte. Unter allen Dichtern<lb/>
des Alterthums, die man nachzuahmen wetteiferte,<lb/>
gelangte <hirendition="#g">Horaz</hi> zum hoͤchſten Ruhm. Ihm fuͤhlten<lb/>
die Hofpoeten am naͤchſten ſich verwandt. Man durfte<lb/>
ihn nur uͤberſetzen, nur citiren, ſo fand man ſchon<lb/>
Beifall. In Frankreich war <hirendition="#g">Batteux</hi> der Prophet<lb/>
dieſes Geſchmacks, in Deutſchland ſein Überſetzer<lb/><hirendition="#g">Ramler</hi>. Daher nun jene Suͤndfluth von Oden,<lb/>
Elegien, poetiſchen Briefen und Satyren, die da¬<lb/>
mals Deutſchland unter ein ſchlammiges Waſſer ſetzte.<lb/>
Da man nur nachahmte, und nichts Neues erfand,<lb/>
als etwa die moderne Anwendung alter Schmeiche¬<lb/>
leien, ſo gab man ſich auch wenig Muͤhe. Es war<lb/>ſchon genug, nur die Alten zu citiren. Ein Oden¬<lb/>
dichter durfte von ſeinem Helden nur ſagen, er ſey<lb/>
feurig wie Mars, ſchlau wie Merkur, ſchoͤn wie<lb/>
Apoll, von ſeiner Heldin, ſie ſey jung wie Hebe,<lb/>ſchlank wie Atalante, reizend wie Venus geweſen,<lb/>
und man fand die Schilderung entzuͤckend. Selbſt<lb/>
Wieland ſetzte ſeine Gemaͤlde noch oft aus hundert<lb/>
Anſpielungen und Citaten aus der Mythologie zuſam¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig">4 *<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[75/0085]
der Peruͤcken und Reifroͤcke. Die Marmorwelt des
Alterthums verwandelte ſich unter den geſchaͤftigen
Haͤnden der Friſeurs von Paris, Leipzig und Berlin
in ein Bedlam voll phantaſtiſcher Ungeheuer. Das
waren die Geſtalten, womit man den ganzen Raum,
den die damalige Poeſie einnahm, bevoͤlkerte. Nichts
ſchien poetiſch, was nicht eine Beziehung auf die
alte Mythologie hatte, die dennoch immer jeder neuen
Pariſer Mode huldigen mußte. Unter allen Dichtern
des Alterthums, die man nachzuahmen wetteiferte,
gelangte Horaz zum hoͤchſten Ruhm. Ihm fuͤhlten
die Hofpoeten am naͤchſten ſich verwandt. Man durfte
ihn nur uͤberſetzen, nur citiren, ſo fand man ſchon
Beifall. In Frankreich war Batteux der Prophet
dieſes Geſchmacks, in Deutſchland ſein Überſetzer
Ramler. Daher nun jene Suͤndfluth von Oden,
Elegien, poetiſchen Briefen und Satyren, die da¬
mals Deutſchland unter ein ſchlammiges Waſſer ſetzte.
Da man nur nachahmte, und nichts Neues erfand,
als etwa die moderne Anwendung alter Schmeiche¬
leien, ſo gab man ſich auch wenig Muͤhe. Es war
ſchon genug, nur die Alten zu citiren. Ein Oden¬
dichter durfte von ſeinem Helden nur ſagen, er ſey
feurig wie Mars, ſchlau wie Merkur, ſchoͤn wie
Apoll, von ſeiner Heldin, ſie ſey jung wie Hebe,
ſchlank wie Atalante, reizend wie Venus geweſen,
und man fand die Schilderung entzuͤckend. Selbſt
Wieland ſetzte ſeine Gemaͤlde noch oft aus hundert
Anſpielungen und Citaten aus der Mythologie zuſam¬
4 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/85>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.