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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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und Ausbreitung ein wenig zu niedrig sey, und hat
ein höheres Interesse heroischer Liebe in den Lieb¬
schaften der Kinder, oder auch im Ehebruch der El¬
tern damit zu verweben gesucht. So ist denn die
Hauptgattung unserer Romane eine Mittelgattung
zwischen Liebes- und Familienroman.

Der Familienroman macht den Übergang vom
Liebesroman zum psychologischen. Vor der Hochzeit
liebt man, nach der Hochzeit beobachtet man mehr.
Der Roman trat förmlich aus dem Brautstand in
den Ehestand über, und zugleich kam in die Liebe
der große Bruch. Ein glücklicher Ehestand taugte
nur für die Idylle, der Ehebruch aber desto besser
für die Darstellung unzähliger psychologischer Erschei¬
nungen, die aus dem Mißverhältniß der Pflicht und
der Lust entspringen.

Im psychologischen Roman hat sich der
Verstand bereits von den subjectiven lyrischen Auf¬
wallungen frei gemacht und stellt sich die Welt der
Erscheinungen ruhig betrachtend gegenüber. Wie der
eigentliche Liebesroman noch dem katholischen Mittel¬
alter verwandt ist, so gehört der psychologische schon
völlig dem protestantischen Zeitalter an und fällt in den
Anfang des sogenannten philosophischen Jahrhunderts.
Wir haben früher gesehn, wie die Philosophie bis
zu dem Wendepunkt, der mit Kant eintrat, mit Vor¬
bereitungen und namentlich psychologischen Untersu¬
chungen beschäftigt war. Die Engländer giengen
darin den Deutschen voran, obgleich sie uns nachher
weder erreichten, noch nachfolgten. Sie trieben aber

und Ausbreitung ein wenig zu niedrig ſey, und hat
ein hoͤheres Intereſſe heroiſcher Liebe in den Lieb¬
ſchaften der Kinder, oder auch im Ehebruch der El¬
tern damit zu verweben geſucht. So iſt denn die
Hauptgattung unſerer Romane eine Mittelgattung
zwiſchen Liebes- und Familienroman.

Der Familienroman macht den Übergang vom
Liebesroman zum pſychologiſchen. Vor der Hochzeit
liebt man, nach der Hochzeit beobachtet man mehr.
Der Roman trat foͤrmlich aus dem Brautſtand in
den Eheſtand uͤber, und zugleich kam in die Liebe
der große Bruch. Ein gluͤcklicher Eheſtand taugte
nur fuͤr die Idylle, der Ehebruch aber deſto beſſer
fuͤr die Darſtellung unzaͤhliger pſychologiſcher Erſchei¬
nungen, die aus dem Mißverhaͤltniß der Pflicht und
der Luſt entſpringen.

Im pſychologiſchen Roman hat ſich der
Verſtand bereits von den ſubjectiven lyriſchen Auf¬
wallungen frei gemacht und ſtellt ſich die Welt der
Erſcheinungen ruhig betrachtend gegenuͤber. Wie der
eigentliche Liebesroman noch dem katholiſchen Mittel¬
alter verwandt iſt, ſo gehoͤrt der pſychologiſche ſchon
voͤllig dem proteſtantiſchen Zeitalter an und faͤllt in den
Anfang des ſogenannten philoſophiſchen Jahrhunderts.
Wir haben fruͤher geſehn, wie die Philoſophie bis
zu dem Wendepunkt, der mit Kant eintrat, mit Vor¬
bereitungen und namentlich pſychologiſchen Unterſu¬
chungen beſchaͤftigt war. Die Englaͤnder giengen
darin den Deutſchen voran, obgleich ſie uns nachher
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[280/0290] und Ausbreitung ein wenig zu niedrig ſey, und hat ein hoͤheres Intereſſe heroiſcher Liebe in den Lieb¬ ſchaften der Kinder, oder auch im Ehebruch der El¬ tern damit zu verweben geſucht. So iſt denn die Hauptgattung unſerer Romane eine Mittelgattung zwiſchen Liebes- und Familienroman. Der Familienroman macht den Übergang vom Liebesroman zum pſychologiſchen. Vor der Hochzeit liebt man, nach der Hochzeit beobachtet man mehr. Der Roman trat foͤrmlich aus dem Brautſtand in den Eheſtand uͤber, und zugleich kam in die Liebe der große Bruch. Ein gluͤcklicher Eheſtand taugte nur fuͤr die Idylle, der Ehebruch aber deſto beſſer fuͤr die Darſtellung unzaͤhliger pſychologiſcher Erſchei¬ nungen, die aus dem Mißverhaͤltniß der Pflicht und der Luſt entſpringen. Im pſychologiſchen Roman hat ſich der Verſtand bereits von den ſubjectiven lyriſchen Auf¬ wallungen frei gemacht und ſtellt ſich die Welt der Erſcheinungen ruhig betrachtend gegenuͤber. Wie der eigentliche Liebesroman noch dem katholiſchen Mittel¬ alter verwandt iſt, ſo gehoͤrt der pſychologiſche ſchon voͤllig dem proteſtantiſchen Zeitalter an und faͤllt in den Anfang des ſogenannten philoſophiſchen Jahrhunderts. Wir haben fruͤher geſehn, wie die Philoſophie bis zu dem Wendepunkt, der mit Kant eintrat, mit Vor¬ bereitungen und namentlich pſychologiſchen Unterſu¬ chungen beſchaͤftigt war. Die Englaͤnder giengen darin den Deutſchen voran, obgleich ſie uns nachher weder erreichten, noch nachfolgten. Sie trieben aber

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/290>, abgerufen am 26.11.2024.