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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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und gemein, haben sie der niederländischen mit desto
mehr Glück sich zugewandt. Unsre meisten Romane
sind Familienromane, idyllische Gemälde des häusli¬
chen Glücks oder Unglücks. Da man einmal die
Wirklichkeit copiren will, findet man natürlich auch
mehr Originale von gemeinem Familienleben, als von
heroischer Liebe. Es fragt sich, ob das Unvermögen
der Romanschreiber das Streben nach treuer Copie,
oder ob dieses Streben jene trivialen Produkte ur¬
sprüngllch erzeugt hat? Ohne Zweifel hat beides sich
die Hand geboten. Allerdings können die meisten
Autoren, besonders aber die dichtenden Weiber, nichts
Besseres machen; doch haben auch große Dichter,
wie namentlich Göthe, dieses Jagen nach Natürlich¬
keit zur Mode gemacht, indem sie die Natur muster¬
haft nachahmten.

Unsre Familiengeschichten enthalten eine ziemliche
barocke Mischung von patriarchalischem Judenthum
und christlicher Romantik. Wie im alten Testament
sich alles nur um die Kinder Israel in Masse, um
den Samen Abrahams, Isaaks und Jakobs bewegt,
so daß das Interesse für irgend eine ausgezeichnete
Individualität immer unter dem für die Sippschaft
untergeht, so gelten auch in unsern Familiengemäl¬
den, wie in Göthes Hermann und Dorothea, Voßens
Louise, in den Romanen von Lafontaine und unzäh¬
ligen andern die einzelnen Personen nur als Glieder
einer Familie. Doch scheint man gefühlt zu haben,
daß jenes jüdische Interesse der bloßen Fortpflanzung

und gemein, haben ſie der niederlaͤndiſchen mit deſto
mehr Gluͤck ſich zugewandt. Unſre meiſten Romane
ſind Familienromane, idylliſche Gemaͤlde des haͤusli¬
chen Gluͤcks oder Ungluͤcks. Da man einmal die
Wirklichkeit copiren will, findet man natuͤrlich auch
mehr Originale von gemeinem Familienleben, als von
heroiſcher Liebe. Es fragt ſich, ob das Unvermoͤgen
der Romanſchreiber das Streben nach treuer Copie,
oder ob dieſes Streben jene trivialen Produkte ur¬
ſpruͤngllch erzeugt hat? Ohne Zweifel hat beides ſich
die Hand geboten. Allerdings koͤnnen die meiſten
Autoren, beſonders aber die dichtenden Weiber, nichts
Beſſeres machen; doch haben auch große Dichter,
wie namentlich Goͤthe, dieſes Jagen nach Natuͤrlich¬
keit zur Mode gemacht, indem ſie die Natur muſter¬
haft nachahmten.

Unſre Familiengeſchichten enthalten eine ziemliche
barocke Miſchung von patriarchaliſchem Judenthum
und chriſtlicher Romantik. Wie im alten Teſtament
ſich alles nur um die Kinder Iſrael in Maſſe, um
den Samen Abrahams, Iſaaks und Jakobs bewegt,
ſo daß das Intereſſe fuͤr irgend eine ausgezeichnete
Individualitaͤt immer unter dem fuͤr die Sippſchaft
untergeht, ſo gelten auch in unſern Familiengemaͤl¬
den, wie in Goͤthes Hermann und Dorothea, Voßens
Louiſe, in den Romanen von Lafontaine und unzaͤh¬
ligen andern die einzelnen Perſonen nur als Glieder
einer Familie. Doch ſcheint man gefuͤhlt zu haben,
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[279/0289] und gemein, haben ſie der niederlaͤndiſchen mit deſto mehr Gluͤck ſich zugewandt. Unſre meiſten Romane ſind Familienromane, idylliſche Gemaͤlde des haͤusli¬ chen Gluͤcks oder Ungluͤcks. Da man einmal die Wirklichkeit copiren will, findet man natuͤrlich auch mehr Originale von gemeinem Familienleben, als von heroiſcher Liebe. Es fragt ſich, ob das Unvermoͤgen der Romanſchreiber das Streben nach treuer Copie, oder ob dieſes Streben jene trivialen Produkte ur¬ ſpruͤngllch erzeugt hat? Ohne Zweifel hat beides ſich die Hand geboten. Allerdings koͤnnen die meiſten Autoren, beſonders aber die dichtenden Weiber, nichts Beſſeres machen; doch haben auch große Dichter, wie namentlich Goͤthe, dieſes Jagen nach Natuͤrlich¬ keit zur Mode gemacht, indem ſie die Natur muſter¬ haft nachahmten. Unſre Familiengeſchichten enthalten eine ziemliche barocke Miſchung von patriarchaliſchem Judenthum und chriſtlicher Romantik. Wie im alten Teſtament ſich alles nur um die Kinder Iſrael in Maſſe, um den Samen Abrahams, Iſaaks und Jakobs bewegt, ſo daß das Intereſſe fuͤr irgend eine ausgezeichnete Individualitaͤt immer unter dem fuͤr die Sippſchaft untergeht, ſo gelten auch in unſern Familiengemaͤl¬ den, wie in Goͤthes Hermann und Dorothea, Voßens Louiſe, in den Romanen von Lafontaine und unzaͤh¬ ligen andern die einzelnen Perſonen nur als Glieder einer Familie. Doch ſcheint man gefuͤhlt zu haben, daß jenes juͤdiſche Intereſſe der bloßen Fortpflanzung

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/289>, abgerufen am 26.11.2024.