Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

Natur selbst drei Gränzen, die sie niemals überschrei¬
ten, jenseits welcher sie ihren Grundsatz nicht mehr
anwenden kann, wenn sie gleich wohl weiß, daß in
diesem Jenseits noch die ganze Unendlichkeit hinter
einem Schleier für uns verborgen ist. Wir kennen
bereits diese Gränzen. Sodann wird der an sich
richtige Grundsatz auch auf das, was in der Natur
uns zugänglich ist, oft falsch oder mangelhaft ange¬
wendet, weil wir noch nicht genug empirische Kennt¬
nisse besitzen, oder weil die menschliche Berechnung
überhaupt dem Irrthum unterworfen ist. Es ist nicht
uninteressant in dieser Hinsicht die neuesten naturphi¬
losophischen Werke mit den ältern zu vergleichen,
z. B. Steffens Anthropologie mit den frühern Wer¬
ken andrer Philosophen, ja mit seinen eignen. Wie
manches nahm damals eine ganz andre Stelle ein,
als jetzt, wie viele neu entdeckte Mittelglieder haben
das getrennt, was man verbunden wähnte, und das
verbunden, worin man keine Verwandtschaft ahndete,
z. B. das Zusammenfallen des magnetischen, elektri¬
schen und galvanischen Prozesses. Neben den unver¬
schuldeten Irrthümern haben aber einige Naturphilo¬
sophen auch Fehler offenbart, die ihrem Leichtsinn
und ihrer Eitelkeit zugerechnet werden dürfen. Wie
hätte man auch hier nicht faseln sollen, wo so reich¬
lich Gelegenheit sich darbot. Die Naturphilosophie
hat es mit der Religion gemein, daß sie das Tiefste
und Heiligste, aber auch das Thörichtste im Men¬
schen hervorzurufen vermag.

Natur ſelbſt drei Graͤnzen, die ſie niemals uͤberſchrei¬
ten, jenſeits welcher ſie ihren Grundſatz nicht mehr
anwenden kann, wenn ſie gleich wohl weiß, daß in
dieſem Jenſeits noch die ganze Unendlichkeit hinter
einem Schleier fuͤr uns verborgen iſt. Wir kennen
bereits dieſe Graͤnzen. Sodann wird der an ſich
richtige Grundſatz auch auf das, was in der Natur
uns zugaͤnglich iſt, oft falſch oder mangelhaft ange¬
wendet, weil wir noch nicht genug empiriſche Kennt¬
niſſe beſitzen, oder weil die menſchliche Berechnung
uͤberhaupt dem Irrthum unterworfen iſt. Es iſt nicht
unintereſſant in dieſer Hinſicht die neueſten naturphi¬
loſophiſchen Werke mit den aͤltern zu vergleichen,
z. B. Steffens Anthropologie mit den fruͤhern Wer¬
ken andrer Philoſophen, ja mit ſeinen eignen. Wie
manches nahm damals eine ganz andre Stelle ein,
als jetzt, wie viele neu entdeckte Mittelglieder haben
das getrennt, was man verbunden waͤhnte, und das
verbunden, worin man keine Verwandtſchaft ahndete,
z. B. das Zuſammenfallen des magnetiſchen, elektri¬
ſchen und galvaniſchen Prozeſſes. Neben den unver¬
ſchuldeten Irrthuͤmern haben aber einige Naturphilo¬
ſophen auch Fehler offenbart, die ihrem Leichtſinn
und ihrer Eitelkeit zugerechnet werden duͤrfen. Wie
haͤtte man auch hier nicht faſeln ſollen, wo ſo reich¬
lich Gelegenheit ſich darbot. Die Naturphiloſophie
hat es mit der Religion gemein, daß ſie das Tiefſte
und Heiligſte, aber auch das Thoͤrichtſte im Men¬
ſchen hervorzurufen vermag.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0029" n="19"/>
Natur &#x017F;elb&#x017F;t drei Gra&#x0364;nzen, die &#x017F;ie niemals u&#x0364;ber&#x017F;chrei¬<lb/>
ten, jen&#x017F;eits welcher &#x017F;ie ihren Grund&#x017F;atz nicht mehr<lb/>
anwenden kann, wenn &#x017F;ie gleich wohl weiß, daß in<lb/>
die&#x017F;em Jen&#x017F;eits noch die ganze Unendlichkeit hinter<lb/>
einem Schleier fu&#x0364;r uns verborgen i&#x017F;t. Wir kennen<lb/>
bereits die&#x017F;e Gra&#x0364;nzen. Sodann wird der an &#x017F;ich<lb/>
richtige Grund&#x017F;atz auch auf das, was in der Natur<lb/>
uns zuga&#x0364;nglich i&#x017F;t, oft fal&#x017F;ch oder mangelhaft ange¬<lb/>
wendet, weil wir noch nicht genug empiri&#x017F;che Kennt¬<lb/>
ni&#x017F;&#x017F;e be&#x017F;itzen, oder weil die men&#x017F;chliche Berechnung<lb/>
u&#x0364;berhaupt dem Irrthum unterworfen i&#x017F;t. Es i&#x017F;t nicht<lb/>
unintere&#x017F;&#x017F;ant in die&#x017F;er Hin&#x017F;icht die neue&#x017F;ten naturphi¬<lb/>
lo&#x017F;ophi&#x017F;chen Werke mit den a&#x0364;ltern zu vergleichen,<lb/>
z. B. Steffens Anthropologie mit den fru&#x0364;hern Wer¬<lb/>
ken andrer Philo&#x017F;ophen, ja mit &#x017F;einen eignen. Wie<lb/>
manches nahm damals eine ganz andre Stelle ein,<lb/>
als jetzt, wie viele neu entdeckte Mittelglieder haben<lb/>
das getrennt, was man verbunden wa&#x0364;hnte, und das<lb/>
verbunden, worin man keine Verwandt&#x017F;chaft ahndete,<lb/>
z. B. das Zu&#x017F;ammenfallen des magneti&#x017F;chen, elektri¬<lb/>
&#x017F;chen und galvani&#x017F;chen Proze&#x017F;&#x017F;es. Neben den unver¬<lb/>
&#x017F;chuldeten Irrthu&#x0364;mern haben aber einige Naturphilo¬<lb/>
&#x017F;ophen auch Fehler offenbart, die ihrem Leicht&#x017F;inn<lb/>
und ihrer Eitelkeit zugerechnet werden du&#x0364;rfen. Wie<lb/>
ha&#x0364;tte man auch hier nicht fa&#x017F;eln &#x017F;ollen, wo &#x017F;o reich¬<lb/>
lich Gelegenheit &#x017F;ich darbot. Die Naturphilo&#x017F;ophie<lb/>
hat es mit der Religion gemein, daß &#x017F;ie das Tief&#x017F;te<lb/>
und Heilig&#x017F;te, aber auch das Tho&#x0364;richt&#x017F;te im Men¬<lb/>
&#x017F;chen hervorzurufen vermag.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0029] Natur ſelbſt drei Graͤnzen, die ſie niemals uͤberſchrei¬ ten, jenſeits welcher ſie ihren Grundſatz nicht mehr anwenden kann, wenn ſie gleich wohl weiß, daß in dieſem Jenſeits noch die ganze Unendlichkeit hinter einem Schleier fuͤr uns verborgen iſt. Wir kennen bereits dieſe Graͤnzen. Sodann wird der an ſich richtige Grundſatz auch auf das, was in der Natur uns zugaͤnglich iſt, oft falſch oder mangelhaft ange¬ wendet, weil wir noch nicht genug empiriſche Kennt¬ niſſe beſitzen, oder weil die menſchliche Berechnung uͤberhaupt dem Irrthum unterworfen iſt. Es iſt nicht unintereſſant in dieſer Hinſicht die neueſten naturphi¬ loſophiſchen Werke mit den aͤltern zu vergleichen, z. B. Steffens Anthropologie mit den fruͤhern Wer¬ ken andrer Philoſophen, ja mit ſeinen eignen. Wie manches nahm damals eine ganz andre Stelle ein, als jetzt, wie viele neu entdeckte Mittelglieder haben das getrennt, was man verbunden waͤhnte, und das verbunden, worin man keine Verwandtſchaft ahndete, z. B. das Zuſammenfallen des magnetiſchen, elektri¬ ſchen und galvaniſchen Prozeſſes. Neben den unver¬ ſchuldeten Irrthuͤmern haben aber einige Naturphilo¬ ſophen auch Fehler offenbart, die ihrem Leichtſinn und ihrer Eitelkeit zugerechnet werden duͤrfen. Wie haͤtte man auch hier nicht faſeln ſollen, wo ſo reich¬ lich Gelegenheit ſich darbot. Die Naturphiloſophie hat es mit der Religion gemein, daß ſie das Tiefſte und Heiligſte, aber auch das Thoͤrichtſte im Men¬ ſchen hervorzurufen vermag.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/29
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/29>, abgerufen am 25.11.2024.