Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

ganze Lehre beleuchtet. Steffens ging mehr von der
Geognosie, Wagner von der Chemie, Görres von
der Physiologie, Oken von der Anatomie, Schubert
von der Psychologie aus. Nothwendigerweise kann
auch nur immer eine Theilwissenschaft die andre er¬
klären, aber die Vergleichungen aller sind noch lange
nicht vollständig und genau ausgeführt worden.

Hat man einmal die Parallele zwischen Makro¬
kosmus und Mikrokosmus geahndet, so ist der Ver¬
gleichung ein unermeßliches Feld eröffnet, und jede
neue Entdeckung im Geist und Gemüth des Menschen
fordert auf, das correspondirende Äquivalent in der
Natur nachzuweisen, und umgekehrt. Darum ist die
Lehre nie zu schließen, und wird unzulänglich blei¬
ben, bis alles in der Natur wie im Geist erforscht
ist, also so lange, als die Menschen Menschen blei¬
ben, wenn auch die Formel des Parallelismus und
die Regel jenes allgemeinen Gegensatzes in der Na¬
tur an sich unumstößlich ist. Wir würden wahrschein¬
lich gar keine Wahrheit haben, wenn jede in jeder
Hinsicht ihre Anwendung erproben müßte. Hat der
Mensch Anlagen zu allem, und vermag sie doch nicht
alle und im höchsten Grade auszubilden, warum soll
er nicht unbestreitbare Wahrheiten sich zu eigen ma¬
chen können, die er doch nie im ganzen Umfang ih¬
rer Anwendbarkeit nachweisen kann.

Die Mängel der neuern Naturphilosophie werden
sich dahin bestimmen lassen. Ausgehend vom richtig¬
sten und einfachsten Grundsatz findet sie doch in der

ganze Lehre beleuchtet. Steffens ging mehr von der
Geognoſie, Wagner von der Chemie, Goͤrres von
der Phyſiologie, Oken von der Anatomie, Schubert
von der Pſychologie aus. Nothwendigerweiſe kann
auch nur immer eine Theilwiſſenſchaft die andre er¬
klaͤren, aber die Vergleichungen aller ſind noch lange
nicht vollſtaͤndig und genau ausgefuͤhrt worden.

Hat man einmal die Parallele zwiſchen Makro¬
kosmus und Mikrokosmus geahndet, ſo iſt der Ver¬
gleichung ein unermeßliches Feld eroͤffnet, und jede
neue Entdeckung im Geiſt und Gemuͤth des Menſchen
fordert auf, das correſpondirende Äquivalent in der
Natur nachzuweiſen, und umgekehrt. Darum iſt die
Lehre nie zu ſchließen, und wird unzulaͤnglich blei¬
ben, bis alles in der Natur wie im Geiſt erforſcht
iſt, alſo ſo lange, als die Menſchen Menſchen blei¬
ben, wenn auch die Formel des Parallelismus und
die Regel jenes allgemeinen Gegenſatzes in der Na¬
tur an ſich unumſtoͤßlich iſt. Wir wuͤrden wahrſchein¬
lich gar keine Wahrheit haben, wenn jede in jeder
Hinſicht ihre Anwendung erproben muͤßte. Hat der
Menſch Anlagen zu allem, und vermag ſie doch nicht
alle und im hoͤchſten Grade auszubilden, warum ſoll
er nicht unbeſtreitbare Wahrheiten ſich zu eigen ma¬
chen koͤnnen, die er doch nie im ganzen Umfang ih¬
rer Anwendbarkeit nachweiſen kann.

Die Maͤngel der neuern Naturphiloſophie werden
ſich dahin beſtimmen laſſen. Ausgehend vom richtig¬
ſten und einfachſten Grundſatz findet ſie doch in der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0028" n="18"/>
ganze Lehre beleuchtet. Steffens ging mehr von der<lb/>
Geogno&#x017F;ie, Wagner von der Chemie, Go&#x0364;rres von<lb/>
der Phy&#x017F;iologie, Oken von der Anatomie, Schubert<lb/>
von der P&#x017F;ychologie aus. Nothwendigerwei&#x017F;e kann<lb/>
auch nur immer eine Theilwi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft die andre er¬<lb/>
kla&#x0364;ren, aber die Vergleichungen aller &#x017F;ind noch lange<lb/>
nicht voll&#x017F;ta&#x0364;ndig und genau ausgefu&#x0364;hrt worden.</p><lb/>
        <p>Hat man einmal die Parallele zwi&#x017F;chen Makro¬<lb/>
kosmus und Mikrokosmus geahndet, &#x017F;o i&#x017F;t der Ver¬<lb/>
gleichung ein unermeßliches Feld ero&#x0364;ffnet, und jede<lb/>
neue Entdeckung im Gei&#x017F;t und Gemu&#x0364;th des Men&#x017F;chen<lb/>
fordert auf, das corre&#x017F;pondirende Äquivalent in der<lb/>
Natur nachzuwei&#x017F;en, und umgekehrt. Darum i&#x017F;t die<lb/>
Lehre nie zu &#x017F;chließen, und wird unzula&#x0364;nglich blei¬<lb/>
ben, bis alles in der Natur wie im Gei&#x017F;t erfor&#x017F;cht<lb/>
i&#x017F;t, al&#x017F;o &#x017F;o lange, als die Men&#x017F;chen Men&#x017F;chen blei¬<lb/>
ben, wenn auch die Formel des Parallelismus und<lb/>
die Regel jenes allgemeinen Gegen&#x017F;atzes in der Na¬<lb/>
tur an &#x017F;ich unum&#x017F;to&#x0364;ßlich i&#x017F;t. Wir wu&#x0364;rden wahr&#x017F;chein¬<lb/>
lich gar keine Wahrheit haben, wenn jede in jeder<lb/>
Hin&#x017F;icht ihre Anwendung erproben mu&#x0364;ßte. Hat der<lb/>
Men&#x017F;ch Anlagen zu allem, und vermag &#x017F;ie doch nicht<lb/>
alle und im ho&#x0364;ch&#x017F;ten Grade auszubilden, warum &#x017F;oll<lb/>
er nicht unbe&#x017F;treitbare Wahrheiten &#x017F;ich zu eigen ma¬<lb/>
chen ko&#x0364;nnen, die er doch nie im ganzen Umfang ih¬<lb/>
rer Anwendbarkeit nachwei&#x017F;en kann.</p><lb/>
        <p>Die Ma&#x0364;ngel der neuern Naturphilo&#x017F;ophie werden<lb/>
&#x017F;ich dahin be&#x017F;timmen la&#x017F;&#x017F;en. Ausgehend vom richtig¬<lb/>
&#x017F;ten und einfach&#x017F;ten Grund&#x017F;atz findet &#x017F;ie doch in der<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[18/0028] ganze Lehre beleuchtet. Steffens ging mehr von der Geognoſie, Wagner von der Chemie, Goͤrres von der Phyſiologie, Oken von der Anatomie, Schubert von der Pſychologie aus. Nothwendigerweiſe kann auch nur immer eine Theilwiſſenſchaft die andre er¬ klaͤren, aber die Vergleichungen aller ſind noch lange nicht vollſtaͤndig und genau ausgefuͤhrt worden. Hat man einmal die Parallele zwiſchen Makro¬ kosmus und Mikrokosmus geahndet, ſo iſt der Ver¬ gleichung ein unermeßliches Feld eroͤffnet, und jede neue Entdeckung im Geiſt und Gemuͤth des Menſchen fordert auf, das correſpondirende Äquivalent in der Natur nachzuweiſen, und umgekehrt. Darum iſt die Lehre nie zu ſchließen, und wird unzulaͤnglich blei¬ ben, bis alles in der Natur wie im Geiſt erforſcht iſt, alſo ſo lange, als die Menſchen Menſchen blei¬ ben, wenn auch die Formel des Parallelismus und die Regel jenes allgemeinen Gegenſatzes in der Na¬ tur an ſich unumſtoͤßlich iſt. Wir wuͤrden wahrſchein¬ lich gar keine Wahrheit haben, wenn jede in jeder Hinſicht ihre Anwendung erproben muͤßte. Hat der Menſch Anlagen zu allem, und vermag ſie doch nicht alle und im hoͤchſten Grade auszubilden, warum ſoll er nicht unbeſtreitbare Wahrheiten ſich zu eigen ma¬ chen koͤnnen, die er doch nie im ganzen Umfang ih¬ rer Anwendbarkeit nachweiſen kann. Die Maͤngel der neuern Naturphiloſophie werden ſich dahin beſtimmen laſſen. Ausgehend vom richtig¬ ſten und einfachſten Grundſatz findet ſie doch in der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/28
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/28>, abgerufen am 24.11.2024.