echt musikalisches Steigen und Fallen der Empfin¬ dung aus. Bald vernehmen wir bei Jean Paul die Klage und den tiefen Schmerz über die Schwäche der menschlichen Natur, über das irdische Elend, über das Laster und die Unnatur, besonders der verderb¬ ten geselligen Verhältnisse, und er schildert jede Art des modernen Jammers und der modernen Verrucht¬ heit mit den lebendigsten und wahrsten Farben und mit der innigsten Empfindung. Bald geht sein hei¬ ßer Schmerz in sanfte Wehmuth über und er rettet sein beleidigtes Zartgefühl in die Unschuldswelt, welche dicht an der wilden Heerstraße des Lebens noch immer ihre kleinen idyllischen Gärten baut. Er schildert unverdorbene Seelen, Kinder, reine Men¬ schen, das Land- und Stillleben. Doch herrscht auch in diesen Schilderungen immer ein Zug entweder von Wehmuth, oder in der andern Richtung, von scher¬ zender Ironie.
Das zweite Moment jener Doppelnatur ist der Spott, der mehr männlicher Natur sich über die Welt und den eignen Schmerz erhebt, und dieselben Män¬ gel und Laster, die dem Dichter so wehmüthige Em¬ pfindungen aufgedrungen, mit den Waffen des Wi¬ tzes thätig angreift. Auch in diesem Spott unter¬ scheiden wir eine steigende und fallende Bewegung. Bald versteigt sich der Dichter bis zum bittersten Sarkasmus, bis zu einer auf die Knochen brennen¬ den Satyre, bald spielt er nur mit heitrer Ironie. Jener Sarkasmus ist am häufigsten mit seinem tra¬
echt muſikaliſches Steigen und Fallen der Empfin¬ dung aus. Bald vernehmen wir bei Jean Paul die Klage und den tiefen Schmerz uͤber die Schwaͤche der menſchlichen Natur, uͤber das irdiſche Elend, uͤber das Laſter und die Unnatur, beſonders der verderb¬ ten geſelligen Verhaͤltniſſe, und er ſchildert jede Art des modernen Jammers und der modernen Verrucht¬ heit mit den lebendigſten und wahrſten Farben und mit der innigſten Empfindung. Bald geht ſein hei¬ ßer Schmerz in ſanfte Wehmuth uͤber und er rettet ſein beleidigtes Zartgefuͤhl in die Unſchuldswelt, welche dicht an der wilden Heerſtraße des Lebens noch immer ihre kleinen idylliſchen Gaͤrten baut. Er ſchildert unverdorbene Seelen, Kinder, reine Men¬ ſchen, das Land- und Stillleben. Doch herrſcht auch in dieſen Schilderungen immer ein Zug entweder von Wehmuth, oder in der andern Richtung, von ſcher¬ zender Ironie.
Das zweite Moment jener Doppelnatur iſt der Spott, der mehr maͤnnlicher Natur ſich uͤber die Welt und den eignen Schmerz erhebt, und dieſelben Maͤn¬ gel und Laſter, die dem Dichter ſo wehmuͤthige Em¬ pfindungen aufgedrungen, mit den Waffen des Wi¬ tzes thaͤtig angreift. Auch in dieſem Spott unter¬ ſcheiden wir eine ſteigende und fallende Bewegung. Bald verſteigt ſich der Dichter bis zum bitterſten Sarkasmus, bis zu einer auf die Knochen brennen¬ den Satyre, bald ſpielt er nur mit heitrer Ironie. Jener Sarkasmus iſt am haͤufigſten mit ſeinem tra¬
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echt muſikaliſches Steigen und Fallen der Empfin¬
dung aus. Bald vernehmen wir bei Jean Paul die
Klage und den tiefen Schmerz uͤber die Schwaͤche
der menſchlichen Natur, uͤber das irdiſche Elend, uͤber
das Laſter und die Unnatur, beſonders der verderb¬
ten geſelligen Verhaͤltniſſe, und er ſchildert jede Art
des modernen Jammers und der modernen Verrucht¬
heit mit den lebendigſten und wahrſten Farben und
mit der innigſten Empfindung. Bald geht ſein hei¬
ßer Schmerz in ſanfte Wehmuth uͤber und er rettet
ſein beleidigtes Zartgefuͤhl in die Unſchuldswelt,
welche dicht an der wilden Heerſtraße des Lebens
noch immer ihre kleinen idylliſchen Gaͤrten baut. Er
ſchildert unverdorbene Seelen, Kinder, reine Men¬
ſchen, das Land- und Stillleben. Doch herrſcht auch
in dieſen Schilderungen immer ein Zug entweder von
Wehmuth, oder in der andern Richtung, von ſcher¬
zender Ironie.
Das zweite Moment jener Doppelnatur iſt der
Spott, der mehr maͤnnlicher Natur ſich uͤber die Welt
und den eignen Schmerz erhebt, und dieſelben Maͤn¬
gel und Laſter, die dem Dichter ſo wehmuͤthige Em¬
pfindungen aufgedrungen, mit den Waffen des Wi¬
tzes thaͤtig angreift. Auch in dieſem Spott unter¬
ſcheiden wir eine ſteigende und fallende Bewegung.
Bald verſteigt ſich der Dichter bis zum bitterſten
Sarkasmus, bis zu einer auf die Knochen brennen¬
den Satyre, bald ſpielt er nur mit heitrer Ironie.
Jener Sarkasmus iſt am haͤufigſten mit ſeinem tra¬
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/248>, abgerufen am 23.11.2024.
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