Poesie. Beide schildern das Leben, in dem sie selber lebten, das moderne, aber nach zwei verschiednen An¬ schauungsweisen. Göthe beliebäugelte, billigte, pries dieses Leben und faßte dasselbe in seiner Einheit als ein Ganzes auf; Jean Paul degegen sah es humoristisch halb mit Wehmuth, halb mit Spott an, und faßte es in seiner Zerrissenheit, in dem unendlichen Wider¬ spruch auf, der durch dasselbe hindurchgeht, und der eben unsre Zeit so sehr von dem in sich sichern und befriedigten Mittelalter unterscheidet. Auch darin stimmen beide Dichter überein, daß sie so vielseitig waren und gern ihre Persönlichkeit vorwalten ließen, sich selbst gern zum Gegenstand ihrer Darstellung machten. Göthe war vielseitig, weil es das Talent ist, und stellte sich in seinen Liebhabern und Helden gern selbst dar, weil alle Virtuosen sich gern im Spiegel besehn. Jean Paul war vielseitig, weil die humoristische Weltansicht durch alles hindurchdringt, und er zeichnete gern sich selbst, weil in der Selbst¬ erkenntniß der Schlüssel zu aller Menschenkenntniß liegt, und weil er als echter Humorist die tragiko¬ mische Doppelnatur der Außenwelt nur die seines eignen Innern wiederspiegeln sah.
Diese Doppelnatur ist das Unterscheidende bei Jean Paul. Ihr erstes Moment ist die Sensibilität, die leidende Empfindung, die wieder doppelt theils zur tragischen Wehmuth und erhabenen Klage sich steigert, theils in idyllischer Empfindsamkeit und kind¬ licher Rührung sich besänftigt. Hierin spricht sich ein
Poeſie. Beide ſchildern das Leben, in dem ſie ſelber lebten, das moderne, aber nach zwei verſchiednen An¬ ſchauungsweiſen. Goͤthe beliebaͤugelte, billigte, pries dieſes Leben und faßte daſſelbe in ſeiner Einheit als ein Ganzes auf; Jean Paul degegen ſah es humoriſtiſch halb mit Wehmuth, halb mit Spott an, und faßte es in ſeiner Zerriſſenheit, in dem unendlichen Wider¬ ſpruch auf, der durch daſſelbe hindurchgeht, und der eben unſre Zeit ſo ſehr von dem in ſich ſichern und befriedigten Mittelalter unterſcheidet. Auch darin ſtimmen beide Dichter uͤberein, daß ſie ſo vielſeitig waren und gern ihre Perſoͤnlichkeit vorwalten ließen, ſich ſelbſt gern zum Gegenſtand ihrer Darſtellung machten. Goͤthe war vielſeitig, weil es das Talent iſt, und ſtellte ſich in ſeinen Liebhabern und Helden gern ſelbſt dar, weil alle Virtuoſen ſich gern im Spiegel beſehn. Jean Paul war vielſeitig, weil die humoriſtiſche Weltanſicht durch alles hindurchdringt, und er zeichnete gern ſich ſelbſt, weil in der Selbſt¬ erkenntniß der Schluͤſſel zu aller Menſchenkenntniß liegt, und weil er als echter Humoriſt die tragiko¬ miſche Doppelnatur der Außenwelt nur die ſeines eignen Innern wiederſpiegeln ſah.
Dieſe Doppelnatur iſt das Unterſcheidende bei Jean Paul. Ihr erſtes Moment iſt die Senſibilitaͤt, die leidende Empfindung, die wieder doppelt theils zur tragiſchen Wehmuth und erhabenen Klage ſich ſteigert, theils in idylliſcher Empfindſamkeit und kind¬ licher Ruͤhrung ſich beſaͤnftigt. Hierin ſpricht ſich ein
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Poeſie. Beide ſchildern das Leben, in dem ſie ſelber
lebten, das moderne, aber nach zwei verſchiednen An¬
ſchauungsweiſen. Goͤthe beliebaͤugelte, billigte, pries
dieſes Leben und faßte daſſelbe in ſeiner Einheit als ein
Ganzes auf; Jean Paul degegen ſah es humoriſtiſch
halb mit Wehmuth, halb mit Spott an, und faßte
es in ſeiner Zerriſſenheit, in dem unendlichen Wider¬
ſpruch auf, der durch daſſelbe hindurchgeht, und der
eben unſre Zeit ſo ſehr von dem in ſich ſichern und
befriedigten Mittelalter unterſcheidet. Auch darin
ſtimmen beide Dichter uͤberein, daß ſie ſo vielſeitig
waren und gern ihre Perſoͤnlichkeit vorwalten ließen,
ſich ſelbſt gern zum Gegenſtand ihrer Darſtellung
machten. Goͤthe war vielſeitig, weil es das Talent
iſt, und ſtellte ſich in ſeinen Liebhabern und Helden
gern ſelbſt dar, weil alle Virtuoſen ſich gern im
Spiegel beſehn. Jean Paul war vielſeitig, weil die
humoriſtiſche Weltanſicht durch alles hindurchdringt,
und er zeichnete gern ſich ſelbſt, weil in der Selbſt¬
erkenntniß der Schluͤſſel zu aller Menſchenkenntniß
liegt, und weil er als echter Humoriſt die tragiko¬
miſche Doppelnatur der Außenwelt nur die ſeines
eignen Innern wiederſpiegeln ſah.
Dieſe Doppelnatur iſt das Unterſcheidende bei
Jean Paul. Ihr erſtes Moment iſt die Senſibilitaͤt,
die leidende Empfindung, die wieder doppelt theils
zur tragiſchen Wehmuth und erhabenen Klage ſich
ſteigert, theils in idylliſcher Empfindſamkeit und kind¬
licher Ruͤhrung ſich beſaͤnftigt. Hierin ſpricht ſich ein
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/247>, abgerufen am 23.11.2024.
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