menflicken, und an dem platonischen Gastmahl, da seine moralischen Ansichten sich gesellig vereinigen soll¬ ten, müßte zweifelsohne neben jedem Engel ein Teu¬ fel, neben jeder Grazie ein bocksfüßiger Satyr Platz nehmen. Von Religion aber kann in Göthe's Dich¬ tungen nie die Rede seyn. Sie, die sich in die in¬ nerste Tiefe der Empfindung verbirgt, ist am weite¬ sten von jener Oberfläche, von jener Maske der äussern Darstellung entfernt.
Sofern das Talent charakterlos jeder äussern Bestimmung folgt, wird es vorzüglich von der Ge¬ genwart und ihren herrschenden Moden bestimmt und geleitet. Darum hat Göthe allen Moden seiner Zeit gehuldigt, und jeden Widerspruch derselben zu dem seinigen gemacht. Er schwamm immer mit dem Strom und auf der Oberfläche, wie Kork. Wenn er einem guten Geist, großen Ideen, der Tugend gehuldigt, so that er es doch nur, wenn sie an der Tagesord¬ nung waren, denn umgekehrt hat er auch wieder je¬ der Schwäche, Eitelkeit und Thorheit gedient, wenn sie in der Zeit nur ihr Glück gemacht, und kurz er hat, wie ein guter Schauspieler, alle Rollen durch¬ gemacht. Rollen waren es auch nur, nur Eingehn in die Moden der Zeit, wenn er hier mehr dem an¬ tiken, dort mehr dem romantischen Geschmack gehul¬ digt. Weil aber das moderne Leben das vorherr¬ schende war, darum wurde Göthe's Talent auch vor¬ züglich durch dasselbe bestimmt.
menflicken, und an dem platoniſchen Gaſtmahl, da ſeine moraliſchen Anſichten ſich geſellig vereinigen ſoll¬ ten, muͤßte zweifelsohne neben jedem Engel ein Teu¬ fel, neben jeder Grazie ein bocksfuͤßiger Satyr Platz nehmen. Von Religion aber kann in Goͤthe's Dich¬ tungen nie die Rede ſeyn. Sie, die ſich in die in¬ nerſte Tiefe der Empfindung verbirgt, iſt am weite¬ ſten von jener Oberflaͤche, von jener Maske der aͤuſſern Darſtellung entfernt.
Sofern das Talent charakterlos jeder aͤuſſern Beſtimmung folgt, wird es vorzuͤglich von der Ge¬ genwart und ihren herrſchenden Moden beſtimmt und geleitet. Darum hat Goͤthe allen Moden ſeiner Zeit gehuldigt, und jeden Widerſpruch derſelben zu dem ſeinigen gemacht. Er ſchwamm immer mit dem Strom und auf der Oberflaͤche, wie Kork. Wenn er einem guten Geiſt, großen Ideen, der Tugend gehuldigt, ſo that er es doch nur, wenn ſie an der Tagesord¬ nung waren, denn umgekehrt hat er auch wieder je¬ der Schwaͤche, Eitelkeit und Thorheit gedient, wenn ſie in der Zeit nur ihr Gluͤck gemacht, und kurz er hat, wie ein guter Schauſpieler, alle Rollen durch¬ gemacht. Rollen waren es auch nur, nur Eingehn in die Moden der Zeit, wenn er hier mehr dem an¬ tiken, dort mehr dem romantiſchen Geſchmack gehul¬ digt. Weil aber das moderne Leben das vorherr¬ ſchende war, darum wurde Goͤthe's Talent auch vor¬ zuͤglich durch daſſelbe beſtimmt.
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menflicken, und an dem platoniſchen Gaſtmahl, da
ſeine moraliſchen Anſichten ſich geſellig vereinigen ſoll¬
ten, muͤßte zweifelsohne neben jedem Engel ein Teu¬
fel, neben jeder Grazie ein bocksfuͤßiger Satyr Platz
nehmen. Von Religion aber kann in Goͤthe's Dich¬
tungen nie die Rede ſeyn. Sie, die ſich in die in¬
nerſte Tiefe der Empfindung verbirgt, iſt am weite¬
ſten von jener Oberflaͤche, von jener Maske der
aͤuſſern Darſtellung entfernt.
Sofern das Talent charakterlos jeder aͤuſſern
Beſtimmung folgt, wird es vorzuͤglich von der Ge¬
genwart und ihren herrſchenden Moden beſtimmt und
geleitet. Darum hat Goͤthe allen Moden ſeiner Zeit
gehuldigt, und jeden Widerſpruch derſelben zu dem
ſeinigen gemacht. Er ſchwamm immer mit dem Strom
und auf der Oberflaͤche, wie Kork. Wenn er einem
guten Geiſt, großen Ideen, der Tugend gehuldigt,
ſo that er es doch nur, wenn ſie an der Tagesord¬
nung waren, denn umgekehrt hat er auch wieder je¬
der Schwaͤche, Eitelkeit und Thorheit gedient, wenn
ſie in der Zeit nur ihr Gluͤck gemacht, und kurz er
hat, wie ein guter Schauſpieler, alle Rollen durch¬
gemacht. Rollen waren es auch nur, nur Eingehn
in die Moden der Zeit, wenn er hier mehr dem an¬
tiken, dort mehr dem romantiſchen Geſchmack gehul¬
digt. Weil aber das moderne Leben das vorherr¬
ſchende war, darum wurde Goͤthe's Talent auch vor¬
zuͤglich durch daſſelbe beſtimmt.
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/225>, abgerufen am 25.11.2024.
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