Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

endlichen Fülle von Bildern und Empfindungen sät¬
tigt. Aus dem ganzen Umkreis des Entfernten und
Vergangenen wählt nun der Dichter helle zusammen¬
hängende Bilder aus, und stellt sie uns in einem ge¬
fälligen Rahmen vor die Augen. Wir blicken in die
fremde Gegenwart hinein, in eine andere Welt, in
der doch alles so natürlich ist, als ob es noch lebte,
und dies ist das Epos des historischen Romans. End¬
lich führt der Dichter verschiedene Nationen zusam¬
men, und wählt dazu Momente der Geschichte, in
welchen sie wirklich in lebhaften Conflikt gekommen
sind. Hier hebt sich jede Eigenthümlichkeit durch den
Contrast, und die Reibung ruft die höchste Thätig¬
keit des Nationalgeistes hervor. In Kriegen und Re¬
volutionen spielen und glühen alle Farben durcheinan¬
der, schärft sich die Physiognomie, erwachen die schlum¬
mernden Kräfte und offenbaren in großen Leidenschaf¬
ten, was im Gemüth der Völker zu Grunde liegt.
Das ist das Dramatische des historischen Romans
und seine Vollendung.

Ziehen wir alles dies in Betrachtung, so ergibt
sich, daß es immer nur das Volk ist, was als der
eigentliche Held des historischen Romans betrachtet
werden muß. Davon hängt nun auch das Gesetz ab,
daß der Dichter sich einer möglichst objectiven Dar¬
stellung befleißige, denn wenn es ihm vergönnt ist,
einem Menschen seine Gesinnungen und Empfindungen
unterzulegen, so kann dies doch nicht bei einem Volke
oder dessen Repräsentanten Statt finden. Das Volk

endlichen Fuͤlle von Bildern und Empfindungen ſaͤt¬
tigt. Aus dem ganzen Umkreis des Entfernten und
Vergangenen waͤhlt nun der Dichter helle zuſammen¬
haͤngende Bilder aus, und ſtellt ſie uns in einem ge¬
faͤlligen Rahmen vor die Augen. Wir blicken in die
fremde Gegenwart hinein, in eine andere Welt, in
der doch alles ſo natuͤrlich iſt, als ob es noch lebte,
und dies iſt das Epos des hiſtoriſchen Romans. End¬
lich fuͤhrt der Dichter verſchiedene Nationen zuſam¬
men, und waͤhlt dazu Momente der Geſchichte, in
welchen ſie wirklich in lebhaften Conflikt gekommen
ſind. Hier hebt ſich jede Eigenthuͤmlichkeit durch den
Contraſt, und die Reibung ruft die hoͤchſte Thaͤtig¬
keit des Nationalgeiſtes hervor. In Kriegen und Re¬
volutionen ſpielen und gluͤhen alle Farben durcheinan¬
der, ſchaͤrft ſich die Phyſiognomie, erwachen die ſchlum¬
mernden Kraͤfte und offenbaren in großen Leidenſchaf¬
ten, was im Gemuͤth der Voͤlker zu Grunde liegt.
Das iſt das Dramatiſche des hiſtoriſchen Romans
und ſeine Vollendung.

Ziehen wir alles dies in Betrachtung, ſo ergibt
ſich, daß es immer nur das Volk iſt, was als der
eigentliche Held des hiſtoriſchen Romans betrachtet
werden muß. Davon haͤngt nun auch das Geſetz ab,
daß der Dichter ſich einer moͤglichſt objectiven Dar¬
ſtellung befleißige, denn wenn es ihm vergoͤnnt iſt,
einem Menſchen ſeine Geſinnungen und Empfindungen
unterzulegen, ſo kann dies doch nicht bei einem Volke
oder deſſen Repraͤſentanten Statt finden. Das Volk

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0190" n="180"/>
endlichen Fu&#x0364;lle von Bildern und Empfindungen &#x017F;a&#x0364;<lb/>
tigt. Aus dem ganzen Umkreis des Entfernten und<lb/>
Vergangenen wa&#x0364;hlt nun der Dichter helle zu&#x017F;ammen¬<lb/>
ha&#x0364;ngende Bilder aus, und &#x017F;tellt &#x017F;ie uns in einem ge¬<lb/>
fa&#x0364;lligen Rahmen vor die Augen. Wir blicken in die<lb/>
fremde Gegenwart hinein, in eine andere Welt, in<lb/>
der doch alles &#x017F;o natu&#x0364;rlich i&#x017F;t, als ob es noch lebte,<lb/>
und dies i&#x017F;t das Epos des hi&#x017F;tori&#x017F;chen Romans. End¬<lb/>
lich fu&#x0364;hrt der Dichter ver&#x017F;chiedene Nationen zu&#x017F;am¬<lb/>
men, und wa&#x0364;hlt dazu Momente der Ge&#x017F;chichte, in<lb/>
welchen &#x017F;ie wirklich in lebhaften Conflikt gekommen<lb/>
&#x017F;ind. Hier hebt &#x017F;ich jede Eigenthu&#x0364;mlichkeit durch den<lb/>
Contra&#x017F;t, und die Reibung ruft die ho&#x0364;ch&#x017F;te Tha&#x0364;tig¬<lb/>
keit des Nationalgei&#x017F;tes hervor. In Kriegen und Re¬<lb/>
volutionen &#x017F;pielen und glu&#x0364;hen alle Farben durcheinan¬<lb/>
der, &#x017F;cha&#x0364;rft &#x017F;ich die Phy&#x017F;iognomie, erwachen die &#x017F;chlum¬<lb/>
mernden Kra&#x0364;fte und offenbaren in großen Leiden&#x017F;chaf¬<lb/>
ten, was im Gemu&#x0364;th der Vo&#x0364;lker zu Grunde liegt.<lb/>
Das i&#x017F;t das Dramati&#x017F;che des hi&#x017F;tori&#x017F;chen Romans<lb/>
und &#x017F;eine Vollendung.</p><lb/>
        <p>Ziehen wir alles dies in Betrachtung, &#x017F;o ergibt<lb/>
&#x017F;ich, daß es immer nur das Volk i&#x017F;t, was als der<lb/>
eigentliche Held des hi&#x017F;tori&#x017F;chen Romans betrachtet<lb/>
werden muß. Davon ha&#x0364;ngt nun auch das Ge&#x017F;etz ab,<lb/>
daß der Dichter &#x017F;ich einer mo&#x0364;glich&#x017F;t objectiven Dar¬<lb/>
&#x017F;tellung befleißige, denn wenn es ihm vergo&#x0364;nnt i&#x017F;t,<lb/>
einem Men&#x017F;chen &#x017F;eine Ge&#x017F;innungen und Empfindungen<lb/>
unterzulegen, &#x017F;o kann dies doch nicht bei einem Volke<lb/>
oder de&#x017F;&#x017F;en Repra&#x0364;&#x017F;entanten Statt finden. Das Volk<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[180/0190] endlichen Fuͤlle von Bildern und Empfindungen ſaͤt¬ tigt. Aus dem ganzen Umkreis des Entfernten und Vergangenen waͤhlt nun der Dichter helle zuſammen¬ haͤngende Bilder aus, und ſtellt ſie uns in einem ge¬ faͤlligen Rahmen vor die Augen. Wir blicken in die fremde Gegenwart hinein, in eine andere Welt, in der doch alles ſo natuͤrlich iſt, als ob es noch lebte, und dies iſt das Epos des hiſtoriſchen Romans. End¬ lich fuͤhrt der Dichter verſchiedene Nationen zuſam¬ men, und waͤhlt dazu Momente der Geſchichte, in welchen ſie wirklich in lebhaften Conflikt gekommen ſind. Hier hebt ſich jede Eigenthuͤmlichkeit durch den Contraſt, und die Reibung ruft die hoͤchſte Thaͤtig¬ keit des Nationalgeiſtes hervor. In Kriegen und Re¬ volutionen ſpielen und gluͤhen alle Farben durcheinan¬ der, ſchaͤrft ſich die Phyſiognomie, erwachen die ſchlum¬ mernden Kraͤfte und offenbaren in großen Leidenſchaf¬ ten, was im Gemuͤth der Voͤlker zu Grunde liegt. Das iſt das Dramatiſche des hiſtoriſchen Romans und ſeine Vollendung. Ziehen wir alles dies in Betrachtung, ſo ergibt ſich, daß es immer nur das Volk iſt, was als der eigentliche Held des hiſtoriſchen Romans betrachtet werden muß. Davon haͤngt nun auch das Geſetz ab, daß der Dichter ſich einer moͤglichſt objectiven Dar¬ ſtellung befleißige, denn wenn es ihm vergoͤnnt iſt, einem Menſchen ſeine Geſinnungen und Empfindungen unterzulegen, ſo kann dies doch nicht bei einem Volke oder deſſen Repraͤſentanten Statt finden. Das Volk

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/190
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/190>, abgerufen am 03.05.2024.