und wieder eine kleine Veränderung an einem Stern oder Nebelfleck; aber alles dies läßt keinen Schluß auf das wahre Verhältniß des großen Weltgebäudes zu. Hier gelten nur Hypothesen und schwankende Analogien, die wir von unserm kleinen Sonnensystem auf das Weltall übertragen. Die Empiriker bleiben gern bei der einfachen Wahrnehmung stehn und glau¬ ben die Welt mit einer unendlichen Menge fixirter Sonnen erfüllt, um welche die Planeten und Kometen sich bewegen. Die Philosophen theilen aber diese Sonnen wieder in höhere Systeme und schreiben ih¬ nen höhere Bewegungen zu. Die kühnsten und geist¬ reichsten Hypothesen darüber haben Eschenmaier und Görres aufgestellt.
In der Chemie geht es uns nicht besser, als in der Astronomie. Wir müssen billig über die Kraft des menschlichen Geistes erstaunen, der es gelingt, so große Entdeckungen zu machen, als wir seit Kep¬ ler in der Sternkunde und namentlich in den neue¬ sten Zeiten in der Chemie gemacht; aber hier gilt der sokratische Spruch: je mehr wir wissen, je mehr sehen wir ein, daß wir nichts wissen. Seit Basilius Valentinus haben wir nach dem Ausdruck dieses tief¬ sinnigen Mönches gestrebt "die Natur von einander zu legen"; wir haben die Materie in immer flüchti¬ gere Bestandtheile zerlegt, aber zu ihrem innersten Grunde, zu ihrem ersten Keime sind wir nicht hin¬ durchgedrungen. Er entschwindet unsern Sinnen, denn unser Auge kann den Punkt so wenig erfassen, als
und wieder eine kleine Veraͤnderung an einem Stern oder Nebelfleck; aber alles dies laͤßt keinen Schluß auf das wahre Verhaͤltniß des großen Weltgebaͤudes zu. Hier gelten nur Hypotheſen und ſchwankende Analogien, die wir von unſerm kleinen Sonnenſyſtem auf das Weltall uͤbertragen. Die Empiriker bleiben gern bei der einfachen Wahrnehmung ſtehn und glau¬ ben die Welt mit einer unendlichen Menge fixirter Sonnen erfuͤllt, um welche die Planeten und Kometen ſich bewegen. Die Philoſophen theilen aber dieſe Sonnen wieder in hoͤhere Syſteme und ſchreiben ih¬ nen hoͤhere Bewegungen zu. Die kuͤhnſten und geiſt¬ reichſten Hypotheſen daruͤber haben Eſchenmaier und Goͤrres aufgeſtellt.
In der Chemie geht es uns nicht beſſer, als in der Aſtronomie. Wir muͤſſen billig uͤber die Kraft des menſchlichen Geiſtes erſtaunen, der es gelingt, ſo große Entdeckungen zu machen, als wir ſeit Kep¬ ler in der Sternkunde und namentlich in den neue¬ ſten Zeiten in der Chemie gemacht; aber hier gilt der ſokratiſche Spruch: je mehr wir wiſſen, je mehr ſehen wir ein, daß wir nichts wiſſen. Seit Baſilius Valentinus haben wir nach dem Ausdruck dieſes tief¬ ſinnigen Moͤnches geſtrebt «die Natur von einander zu legen»; wir haben die Materie in immer fluͤchti¬ gere Beſtandtheile zerlegt, aber zu ihrem innerſten Grunde, zu ihrem erſten Keime ſind wir nicht hin¬ durchgedrungen. Er entſchwindet unſern Sinnen, denn unſer Auge kann den Punkt ſo wenig erfaſſen, als
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und wieder eine kleine Veraͤnderung an einem Stern
oder Nebelfleck; aber alles dies laͤßt keinen Schluß
auf das wahre Verhaͤltniß des großen Weltgebaͤudes
zu. Hier gelten nur Hypotheſen und ſchwankende
Analogien, die wir von unſerm kleinen Sonnenſyſtem
auf das Weltall uͤbertragen. Die Empiriker bleiben
gern bei der einfachen Wahrnehmung ſtehn und glau¬
ben die Welt mit einer unendlichen Menge fixirter
Sonnen erfuͤllt, um welche die Planeten und Kometen
ſich bewegen. Die Philoſophen theilen aber dieſe
Sonnen wieder in hoͤhere Syſteme und ſchreiben ih¬
nen hoͤhere Bewegungen zu. Die kuͤhnſten und geiſt¬
reichſten Hypotheſen daruͤber haben Eſchenmaier und
Goͤrres aufgeſtellt.
In der Chemie geht es uns nicht beſſer, als in
der Aſtronomie. Wir muͤſſen billig uͤber die Kraft
des menſchlichen Geiſtes erſtaunen, der es gelingt,
ſo große Entdeckungen zu machen, als wir ſeit Kep¬
ler in der Sternkunde und namentlich in den neue¬
ſten Zeiten in der Chemie gemacht; aber hier gilt
der ſokratiſche Spruch: je mehr wir wiſſen, je mehr
ſehen wir ein, daß wir nichts wiſſen. Seit Baſilius
Valentinus haben wir nach dem Ausdruck dieſes tief¬
ſinnigen Moͤnches geſtrebt «die Natur von einander
zu legen»; wir haben die Materie in immer fluͤchti¬
gere Beſtandtheile zerlegt, aber zu ihrem innerſten
Grunde, zu ihrem erſten Keime ſind wir nicht hin¬
durchgedrungen. Er entſchwindet unſern Sinnen, denn
unſer Auge kann den Punkt ſo wenig erfaſſen, als
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/18>, abgerufen am 24.11.2024.
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