lent." Um so erfreulicher ist es aber, daß Tieck selbst versucht hat, dieses Wenige zu ergänzen, und wer findet nicht, daß es in seiner walterscottisirenden No¬ velle, der Aufruhr in den Cevennen, wirklich er¬ gänzt ist? Es fragt sich hier nicht, wie dieser oder jener Dichter den historischen Roman verunstaltet und mißbraucht hat, sondern, was überhaupt in ihm für poetische Anlagen zu Grunde liegen, die dann der eine allerdings mißbrauchen, ein anderer aber auch vollendet ausbilden wird.
Walter Scott hat unläugbar das Verdienst, den historischen Roman als eine eigenthümliche poetische Gattung begründet zu haben, wenn er auch noch nicht das Höchste darin geleistet hat. Zwar gab es schon vor ihm genug historische Romane, aber ihre Ten¬ denz war doch eine andere. Das Geschichtliche war nur Vehikel für gewisse philosophische und moralische Ideen. Man bediente sich der Geschichte, um ideale Charaktere daraus hervorzuheben, oder hineinzutra¬ gen, und um sie gleich der Natur zum bloßen Hin¬ tergrunde für einzelne Helden- und Familiengruppen zu machen. Die Romantik nahm ein historisches Ge¬ wand an, aber das hatte man noch nicht begriffen, daß die Geschichte selbst eingeborne Romantik sey. Man hatte geschichtliche Romane, wie man bürger¬ liche, ländliche und Familienromane hatte, aber man besaß keine romantische Geschichte. Der Held des Romans war eine historische Person, und hätte eben so gut nur eine gedichtete seyn dürfen, weil es nur
lent.“ Um ſo erfreulicher iſt es aber, daß Tieck ſelbſt verſucht hat, dieſes Wenige zu ergaͤnzen, und wer findet nicht, daß es in ſeiner walterſcottiſirenden No¬ velle, der Aufruhr in den Cevennen, wirklich er¬ gaͤnzt iſt? Es fragt ſich hier nicht, wie dieſer oder jener Dichter den hiſtoriſchen Roman verunſtaltet und mißbraucht hat, ſondern, was uͤberhaupt in ihm fuͤr poetiſche Anlagen zu Grunde liegen, die dann der eine allerdings mißbrauchen, ein anderer aber auch vollendet ausbilden wird.
Walter Scott hat unlaͤugbar das Verdienſt, den hiſtoriſchen Roman als eine eigenthuͤmliche poetiſche Gattung begruͤndet zu haben, wenn er auch noch nicht das Hoͤchſte darin geleiſtet hat. Zwar gab es ſchon vor ihm genug hiſtoriſche Romane, aber ihre Ten¬ denz war doch eine andere. Das Geſchichtliche war nur Vehikel fuͤr gewiſſe philoſophiſche und moraliſche Ideen. Man bediente ſich der Geſchichte, um ideale Charaktere daraus hervorzuheben, oder hineinzutra¬ gen, und um ſie gleich der Natur zum bloßen Hin¬ tergrunde fuͤr einzelne Helden- und Familiengruppen zu machen. Die Romantik nahm ein hiſtoriſches Ge¬ wand an, aber das hatte man noch nicht begriffen, daß die Geſchichte ſelbſt eingeborne Romantik ſey. Man hatte geſchichtliche Romane, wie man buͤrger¬ liche, laͤndliche und Familienromane hatte, aber man beſaß keine romantiſche Geſchichte. Der Held des Romans war eine hiſtoriſche Perſon, und haͤtte eben ſo gut nur eine gedichtete ſeyn duͤrfen, weil es nur
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lent.“ Um ſo erfreulicher iſt es aber, daß Tieck ſelbſt
verſucht hat, dieſes Wenige zu ergaͤnzen, und wer
findet nicht, daß es in ſeiner walterſcottiſirenden No¬
velle, der Aufruhr in den Cevennen, wirklich er¬
gaͤnzt iſt? Es fragt ſich hier nicht, wie dieſer oder
jener Dichter den hiſtoriſchen Roman verunſtaltet
und mißbraucht hat, ſondern, was uͤberhaupt in ihm
fuͤr poetiſche Anlagen zu Grunde liegen, die dann
der eine allerdings mißbrauchen, ein anderer aber
auch vollendet ausbilden wird.
Walter Scott hat unlaͤugbar das Verdienſt, den
hiſtoriſchen Roman als eine eigenthuͤmliche poetiſche
Gattung begruͤndet zu haben, wenn er auch noch nicht
das Hoͤchſte darin geleiſtet hat. Zwar gab es ſchon
vor ihm genug hiſtoriſche Romane, aber ihre Ten¬
denz war doch eine andere. Das Geſchichtliche war
nur Vehikel fuͤr gewiſſe philoſophiſche und moraliſche
Ideen. Man bediente ſich der Geſchichte, um ideale
Charaktere daraus hervorzuheben, oder hineinzutra¬
gen, und um ſie gleich der Natur zum bloßen Hin¬
tergrunde fuͤr einzelne Helden- und Familiengruppen
zu machen. Die Romantik nahm ein hiſtoriſches Ge¬
wand an, aber das hatte man noch nicht begriffen,
daß die Geſchichte ſelbſt eingeborne Romantik ſey.
Man hatte geſchichtliche Romane, wie man buͤrger¬
liche, laͤndliche und Familienromane hatte, aber man
beſaß keine romantiſche Geſchichte. Der Held des
Romans war eine hiſtoriſche Perſon, und haͤtte eben
ſo gut nur eine gedichtete ſeyn duͤrfen, weil es nur
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/177>, abgerufen am 24.11.2024.
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