Dichter oder Philosoph, wie Tieck und Steffens, die an die neue Zauberwelt den unendlichen Maaßstab des Genies legen. Eine so große und noch immer in der lebhaftesten Crise begriffene Revolution der Literatur und des Geschmacks fordert zum Nachden¬ ken auf, und so häufig man auch schon den Gegen¬ stand besprochen hat, so ist er doch nicht leicht zu erschöpfen.
Die große Vorliebe des Publikums für die neue Manier hat hellsehende Geister doch nicht darüber getäuscht, daß unter der Firma Walter Scott eine unsägliche Menge baarer nüchterner Prosa, ja plum¬ per und schmutziger Unpoesie mit untergelaufen ist. Die nahe Nachbarschaft, in welcher der historische Roman auch mit den niedrigen Regionen des Lebens steht, hat einen Verkehr der gemeinsten Geister mit der Poesie veranlaßt, aus welchem unzählige Mi߬ geburten, Wechselbälge und Karrikaturen entstanden sind. Walter Scott selbst ist keineswegs frei davon, und auch seine besten Romane haben noch etwas Ge¬ drücktes, Böotisches, dem es an einem gewissen Adel mangelt. Man kann ihn als einen reichen Mann schätzen, aber man verehrt in ihm nichts Heiliges, wie bei Shakspeare oder Schiller. Ludwig Tieck hat in einem Briefe, der in Solgers Nachlaß abgedruckt ist, ein sehr feines Urtheil über ihn ausgesprochen (Thl. I. S. 713): "wie wenig fehlt diesem Meister, um ein Poet zu seyn, und wie ist dieses Wenige, was fehlt, doch mehr als sein ganzes großes Ta¬
Dichter oder Philoſoph, wie Tieck und Steffens, die an die neue Zauberwelt den unendlichen Maaßſtab des Genies legen. Eine ſo große und noch immer in der lebhafteſten Criſe begriffene Revolution der Literatur und des Geſchmacks fordert zum Nachden¬ ken auf, und ſo haͤufig man auch ſchon den Gegen¬ ſtand beſprochen hat, ſo iſt er doch nicht leicht zu erſchoͤpfen.
Die große Vorliebe des Publikums fuͤr die neue Manier hat hellſehende Geiſter doch nicht daruͤber getaͤuſcht, daß unter der Firma Walter Scott eine unſaͤgliche Menge baarer nuͤchterner Proſa, ja plum¬ per und ſchmutziger Unpoeſie mit untergelaufen iſt. Die nahe Nachbarſchaft, in welcher der hiſtoriſche Roman auch mit den niedrigen Regionen des Lebens ſteht, hat einen Verkehr der gemeinſten Geiſter mit der Poeſie veranlaßt, aus welchem unzaͤhlige Mi߬ geburten, Wechſelbaͤlge und Karrikaturen entſtanden ſind. Walter Scott ſelbſt iſt keineswegs frei davon, und auch ſeine beſten Romane haben noch etwas Ge¬ druͤcktes, Boͤotiſches, dem es an einem gewiſſen Adel mangelt. Man kann ihn als einen reichen Mann ſchaͤtzen, aber man verehrt in ihm nichts Heiliges, wie bei Shakſpeare oder Schiller. Ludwig Tieck hat in einem Briefe, der in Solgers Nachlaß abgedruckt iſt, ein ſehr feines Urtheil uͤber ihn ausgeſprochen (Thl. I. S. 713): „wie wenig fehlt dieſem Meiſter, um ein Poet zu ſeyn, und wie iſt dieſes Wenige, was fehlt, doch mehr als ſein ganzes großes Ta¬
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Dichter oder Philoſoph, wie Tieck und Steffens,
die an die neue Zauberwelt den unendlichen Maaßſtab
des Genies legen. Eine ſo große und noch immer
in der lebhafteſten Criſe begriffene Revolution der
Literatur und des Geſchmacks fordert zum Nachden¬
ken auf, und ſo haͤufig man auch ſchon den Gegen¬
ſtand beſprochen hat, ſo iſt er doch nicht leicht zu
erſchoͤpfen.
Die große Vorliebe des Publikums fuͤr die neue
Manier hat hellſehende Geiſter doch nicht daruͤber
getaͤuſcht, daß unter der Firma Walter Scott eine
unſaͤgliche Menge baarer nuͤchterner Proſa, ja plum¬
per und ſchmutziger Unpoeſie mit untergelaufen iſt.
Die nahe Nachbarſchaft, in welcher der hiſtoriſche
Roman auch mit den niedrigen Regionen des Lebens
ſteht, hat einen Verkehr der gemeinſten Geiſter mit
der Poeſie veranlaßt, aus welchem unzaͤhlige Mi߬
geburten, Wechſelbaͤlge und Karrikaturen entſtanden
ſind. Walter Scott ſelbſt iſt keineswegs frei davon,
und auch ſeine beſten Romane haben noch etwas Ge¬
druͤcktes, Boͤotiſches, dem es an einem gewiſſen Adel
mangelt. Man kann ihn als einen reichen Mann
ſchaͤtzen, aber man verehrt in ihm nichts Heiliges,
wie bei Shakſpeare oder Schiller. Ludwig Tieck hat
in einem Briefe, der in Solgers Nachlaß abgedruckt
iſt, ein ſehr feines Urtheil uͤber ihn ausgeſprochen
(Thl. I. S. 713): „wie wenig fehlt dieſem Meiſter,
um ein Poet zu ſeyn, und wie iſt dieſes Wenige,
was fehlt, doch mehr als ſein ganzes großes Ta¬
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/176>, abgerufen am 24.11.2024.
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