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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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müth hatte sich selbst wiedergewonnen. Es fühlte
jenen alten Gesinnungen und Empfindungen, in grauer
Vorzeit dem unsterblichen Gesang vertraut, innigst
sich verwandt. Welche höhere Entwicklung wir auch
im Verfolge der Zeiten gewonnen, welches Fremde
zur andern Natur uns geworden, das ursprüngliche
Naturell war uns dennoch geblieben. Sobald wir
dies erkannt, war die nothwendige Folge, daß wir
unsre Poesie auf den Ton der alten, oder vielmehr
unser Herz auf die Empfindungsweise des alten zu¬
rückstimmten. Im Contrast dieser Richtung der Poesie
mit der frühern protestantischen und antiken mußten
sich schneidende Gegensätze und Übertreibungen erge¬
ben. In der Überschwenglichkeit des Enthusiasmus,
womit die Deutschen alles zu ergreifen pflegen, mu߬
ten antiquarische Schwärmer und Pedanten die alt¬
deutsche Poesie ausschließlich über jede andre erheben,
während ihre Gegner sie schlechterdings als eine Bar¬
barei verdammten. In der Mitte der Extreme jedoch
mußten andre die natürliche Vermittlung des Alten
und Neuen begründen. Vor allen war Tieck zu die¬
ser wichtigen Vermittlung berufen. In diesem natio¬
nellsten unsrer Dichter wurde der Genius des alten
Deutschlands wiedergeboren und wie ein Phönix ver¬
jüngt. Seine Dichtungen sind so sehr echtdeutsch,
daß sie die Probe beider fern von einander liegenden
Zeiten aushalten. Sie sind dem Mittelalter so ver¬
wandt, als uns. Die tief bedeutsame und wunder¬
reiche Erscheinung dieses Dichters bezeichnet einen

muͤth hatte ſich ſelbſt wiedergewonnen. Es fuͤhlte
jenen alten Geſinnungen und Empfindungen, in grauer
Vorzeit dem unſterblichen Geſang vertraut, innigſt
ſich verwandt. Welche hoͤhere Entwicklung wir auch
im Verfolge der Zeiten gewonnen, welches Fremde
zur andern Natur uns geworden, das urſpruͤngliche
Naturell war uns dennoch geblieben. Sobald wir
dies erkannt, war die nothwendige Folge, daß wir
unſre Poeſie auf den Ton der alten, oder vielmehr
unſer Herz auf die Empfindungsweiſe des alten zu¬
ruͤckſtimmten. Im Contraſt dieſer Richtung der Poeſie
mit der fruͤhern proteſtantiſchen und antiken mußten
ſich ſchneidende Gegenſaͤtze und Übertreibungen erge¬
ben. In der Überſchwenglichkeit des Enthuſiasmus,
womit die Deutſchen alles zu ergreifen pflegen, mu߬
ten antiquariſche Schwaͤrmer und Pedanten die alt¬
deutſche Poeſie ausſchließlich uͤber jede andre erheben,
waͤhrend ihre Gegner ſie ſchlechterdings als eine Bar¬
barei verdammten. In der Mitte der Extreme jedoch
mußten andre die natuͤrliche Vermittlung des Alten
und Neuen begruͤnden. Vor allen war Tieck zu die¬
ſer wichtigen Vermittlung berufen. In dieſem natio¬
nellſten unſrer Dichter wurde der Genius des alten
Deutſchlands wiedergeboren und wie ein Phoͤnix ver¬
juͤngt. Seine Dichtungen ſind ſo ſehr echtdeutſch,
daß ſie die Probe beider fern von einander liegenden
Zeiten aushalten. Sie ſind dem Mittelalter ſo ver¬
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reiche Erſcheinung dieſes Dichters bezeichnet einen

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[148/0158] muͤth hatte ſich ſelbſt wiedergewonnen. Es fuͤhlte jenen alten Geſinnungen und Empfindungen, in grauer Vorzeit dem unſterblichen Geſang vertraut, innigſt ſich verwandt. Welche hoͤhere Entwicklung wir auch im Verfolge der Zeiten gewonnen, welches Fremde zur andern Natur uns geworden, das urſpruͤngliche Naturell war uns dennoch geblieben. Sobald wir dies erkannt, war die nothwendige Folge, daß wir unſre Poeſie auf den Ton der alten, oder vielmehr unſer Herz auf die Empfindungsweiſe des alten zu¬ ruͤckſtimmten. Im Contraſt dieſer Richtung der Poeſie mit der fruͤhern proteſtantiſchen und antiken mußten ſich ſchneidende Gegenſaͤtze und Übertreibungen erge¬ ben. In der Überſchwenglichkeit des Enthuſiasmus, womit die Deutſchen alles zu ergreifen pflegen, mu߬ ten antiquariſche Schwaͤrmer und Pedanten die alt¬ deutſche Poeſie ausſchließlich uͤber jede andre erheben, waͤhrend ihre Gegner ſie ſchlechterdings als eine Bar¬ barei verdammten. In der Mitte der Extreme jedoch mußten andre die natuͤrliche Vermittlung des Alten und Neuen begruͤnden. Vor allen war Tieck zu die¬ ſer wichtigen Vermittlung berufen. In dieſem natio¬ nellſten unſrer Dichter wurde der Genius des alten Deutſchlands wiedergeboren und wie ein Phoͤnix ver¬ juͤngt. Seine Dichtungen ſind ſo ſehr echtdeutſch, daß ſie die Probe beider fern von einander liegenden Zeiten aushalten. Sie ſind dem Mittelalter ſo ver¬ wandt, als uns. Die tief bedeutſame und wunder¬ reiche Erſcheinung dieſes Dichters bezeichnet einen

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/158>, abgerufen am 24.11.2024.