Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

seiner Erscheinungen auffaßte, und zwar in der dop¬
pelten Richtung der altheidnischen Sage und des christ¬
lichen Romanismus. Wir müssen ihn aber nicht al¬
lein als den Repräsentanten dieser alterthümlichen
Gattung der Romantik betrachten. Er hat eine hö¬
here Bedeutung. Er ist kein blos antiquarischer Poet,
der mit rückwärtsgedrehtem Halse in die verlorne
Vergangenheit sieht. Er hat vielmehr die Vergan¬
genheit der Gegenwart lebendig verknüpft, und auf
den Grund der alten echtdeutschen Poesie die neue
fortgebaut. Als Vermittler zwischen den beiden gro¬
ßen Bildungsstufen der deutschen Nation wird er in
der Entwicklungsgeschichte derselben stets eine der er¬
sten Stellen behaupten. Die neue deutsche Poesie bil¬
dete sich aus dem Protestantismus hervor und nach
antiken Mustern, in strengem Gegensatz gegen die
altdeutsche Poesie. Die einseitige protestantische, al¬
lem Wunderbaren abholde Dichtungsweise wurde durch
unsre größten Dichter zu einer humanen, kosmopoli¬
tischen veredelt, schweifte jedoch noch häufig von der
deutschen Eigenheit ab und folgte fremden Mustern.
Aber mehr und mehr gewann unsre Poesie mit ihrer
Selbständigkeit auch wieder ihre nationelle Physiogno¬
mie. Aus eigner innrer Kraft stieß sie das Fremde
von sich und das Eigenthümliche, das so lange ver¬
achtet gewesen, machte sich durch seinen eignen Werth
wieder geltend. Da mußte die Zeit endlich kommen,
in welcher die innerliche Verwandtschaft der neuen
und alten Deutschen klar wurde. Das deutsche Ge¬

7 *

ſeiner Erſcheinungen auffaßte, und zwar in der dop¬
pelten Richtung der altheidniſchen Sage und des chriſt¬
lichen Romanismus. Wir muͤſſen ihn aber nicht al¬
lein als den Repraͤſentanten dieſer alterthuͤmlichen
Gattung der Romantik betrachten. Er hat eine hoͤ¬
here Bedeutung. Er iſt kein blos antiquariſcher Poet,
der mit ruͤckwaͤrtsgedrehtem Halſe in die verlorne
Vergangenheit ſieht. Er hat vielmehr die Vergan¬
genheit der Gegenwart lebendig verknuͤpft, und auf
den Grund der alten echtdeutſchen Poeſie die neue
fortgebaut. Als Vermittler zwiſchen den beiden gro¬
ßen Bildungsſtufen der deutſchen Nation wird er in
der Entwicklungsgeſchichte derſelben ſtets eine der er¬
ſten Stellen behaupten. Die neue deutſche Poeſie bil¬
dete ſich aus dem Proteſtantismus hervor und nach
antiken Muſtern, in ſtrengem Gegenſatz gegen die
altdeutſche Poeſie. Die einſeitige proteſtantiſche, al¬
lem Wunderbaren abholde Dichtungsweiſe wurde durch
unſre groͤßten Dichter zu einer humanen, kosmopoli¬
tiſchen veredelt, ſchweifte jedoch noch haͤufig von der
deutſchen Eigenheit ab und folgte fremden Muſtern.
Aber mehr und mehr gewann unſre Poeſie mit ihrer
Selbſtaͤndigkeit auch wieder ihre nationelle Phyſiogno¬
mie. Aus eigner innrer Kraft ſtieß ſie das Fremde
von ſich und das Eigenthuͤmliche, das ſo lange ver¬
achtet geweſen, machte ſich durch ſeinen eignen Werth
wieder geltend. Da mußte die Zeit endlich kommen,
in welcher die innerliche Verwandtſchaft der neuen
und alten Deutſchen klar wurde. Das deutſche Ge¬

7 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0157" n="147"/>
&#x017F;einer Er&#x017F;cheinungen auffaßte, und zwar in der dop¬<lb/>
pelten Richtung der altheidni&#x017F;chen Sage und des chri&#x017F;<lb/>
lichen Romanismus. Wir mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en ihn aber nicht al¬<lb/>
lein als den Repra&#x0364;&#x017F;entanten die&#x017F;er alterthu&#x0364;mlichen<lb/>
Gattung der Romantik betrachten. Er hat eine ho&#x0364;¬<lb/>
here Bedeutung. Er i&#x017F;t kein blos antiquari&#x017F;cher Poet,<lb/>
der mit ru&#x0364;ckwa&#x0364;rtsgedrehtem Hal&#x017F;e in die verlorne<lb/>
Vergangenheit &#x017F;ieht. Er hat vielmehr die Vergan¬<lb/>
genheit der Gegenwart lebendig verknu&#x0364;pft, und auf<lb/>
den Grund der alten echtdeut&#x017F;chen Poe&#x017F;ie die neue<lb/>
fortgebaut. Als Vermittler zwi&#x017F;chen den beiden gro¬<lb/>
ßen Bildungs&#x017F;tufen der deut&#x017F;chen Nation wird er in<lb/>
der Entwicklungsge&#x017F;chichte der&#x017F;elben &#x017F;tets eine der er¬<lb/>
&#x017F;ten Stellen behaupten. Die neue deut&#x017F;che Poe&#x017F;ie bil¬<lb/>
dete &#x017F;ich aus dem Prote&#x017F;tantismus hervor und nach<lb/>
antiken Mu&#x017F;tern, in &#x017F;trengem Gegen&#x017F;atz gegen die<lb/>
altdeut&#x017F;che Poe&#x017F;ie. Die ein&#x017F;eitige prote&#x017F;tanti&#x017F;che, al¬<lb/>
lem Wunderbaren abholde Dichtungswei&#x017F;e wurde durch<lb/>
un&#x017F;re gro&#x0364;ßten Dichter zu einer humanen, kosmopoli¬<lb/>
ti&#x017F;chen veredelt, &#x017F;chweifte jedoch noch ha&#x0364;ufig von der<lb/>
deut&#x017F;chen Eigenheit ab und folgte fremden Mu&#x017F;tern.<lb/>
Aber mehr und mehr gewann un&#x017F;re Poe&#x017F;ie mit ihrer<lb/>
Selb&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit auch wieder ihre nationelle Phy&#x017F;iogno¬<lb/>
mie. Aus eigner innrer Kraft &#x017F;tieß &#x017F;ie das Fremde<lb/>
von &#x017F;ich und das Eigenthu&#x0364;mliche, das &#x017F;o lange ver¬<lb/>
achtet gewe&#x017F;en, machte &#x017F;ich durch &#x017F;einen eignen Werth<lb/>
wieder geltend. Da mußte die Zeit endlich kommen,<lb/>
in welcher die innerliche Verwandt&#x017F;chaft der neuen<lb/>
und alten Deut&#x017F;chen klar wurde. Das deut&#x017F;che Ge¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">7 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[147/0157] ſeiner Erſcheinungen auffaßte, und zwar in der dop¬ pelten Richtung der altheidniſchen Sage und des chriſt¬ lichen Romanismus. Wir muͤſſen ihn aber nicht al¬ lein als den Repraͤſentanten dieſer alterthuͤmlichen Gattung der Romantik betrachten. Er hat eine hoͤ¬ here Bedeutung. Er iſt kein blos antiquariſcher Poet, der mit ruͤckwaͤrtsgedrehtem Halſe in die verlorne Vergangenheit ſieht. Er hat vielmehr die Vergan¬ genheit der Gegenwart lebendig verknuͤpft, und auf den Grund der alten echtdeutſchen Poeſie die neue fortgebaut. Als Vermittler zwiſchen den beiden gro¬ ßen Bildungsſtufen der deutſchen Nation wird er in der Entwicklungsgeſchichte derſelben ſtets eine der er¬ ſten Stellen behaupten. Die neue deutſche Poeſie bil¬ dete ſich aus dem Proteſtantismus hervor und nach antiken Muſtern, in ſtrengem Gegenſatz gegen die altdeutſche Poeſie. Die einſeitige proteſtantiſche, al¬ lem Wunderbaren abholde Dichtungsweiſe wurde durch unſre groͤßten Dichter zu einer humanen, kosmopoli¬ tiſchen veredelt, ſchweifte jedoch noch haͤufig von der deutſchen Eigenheit ab und folgte fremden Muſtern. Aber mehr und mehr gewann unſre Poeſie mit ihrer Selbſtaͤndigkeit auch wieder ihre nationelle Phyſiogno¬ mie. Aus eigner innrer Kraft ſtieß ſie das Fremde von ſich und das Eigenthuͤmliche, das ſo lange ver¬ achtet geweſen, machte ſich durch ſeinen eignen Werth wieder geltend. Da mußte die Zeit endlich kommen, in welcher die innerliche Verwandtſchaft der neuen und alten Deutſchen klar wurde. Das deutſche Ge¬ 7 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/157
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/157>, abgerufen am 04.05.2024.