Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

auf dem bequemsten Wege der Meisterschaft in der
Weisheit bemächtigen, indem sie sich zum Mitglied
eines Bundes im Verborgnen aufnehmen ließ. End¬
lich trieb die Eitelkeit großer Kinder in den wirk¬
lichen Gesellschaften oder durch Vorspiegelung dersel¬
ben ihr mussiges Spiel. Wie hätte die Literatur ei¬
nem Treiben fremd bleiben sollen, das in der wirk¬
lichen Welt so viel Sensation machte? wie hätte be¬
sonders die poetische Literatur ein so ergiebiges Thema
nicht behandeln sollen, da die Wundersucht einen so
poetischen Anstrich hatte? Die Scenen, die Gaßner,
Philadelphia, Wöllner, die Freimaurer, Rosenkreuzer
und Illuminaten in der Wirklichkeit aufführten, spie¬
gelten sich in zahllosen Geschichten von Gespenstern,
Zauberern und mystischen Gesellschaften. Selbst aus¬
gezeichnete Dichter ließen etwas von diesem Wunder¬
wesen in ihren Werken anklingen, halb ernsthaft, halb
ironisch, so Göthe im Wilhelm Meister und Gro߬
kophta, Schiller im Geisterseher, Jean Paul im Ti¬
tan. Jenem Unwesen huldigte auch eine der berühm¬
testen deutschen Opern, Mozart's Zauberflöte, und
sie wirkte nicht wenig auf die Liebhaberei des Publi¬
kums an dergleichen Unsinn. Unter den Romanschrei¬
bern zeichnete sich in dieser Gattung vor allen Vul¬
pius aus, dessen Rinaldini den ganzen Apparat my¬
stischer Gesellschaften und überraschender Zauberstück¬
chen enthielt, und ein wahres Volksbuch wurde. Den
höchsten Gipfel aber dieser Poesie erreichte Werner,
der sie zur tragischen Würde zu erheben bemüht war.

auf dem bequemſten Wege der Meiſterſchaft in der
Weisheit bemaͤchtigen, indem ſie ſich zum Mitglied
eines Bundes im Verborgnen aufnehmen ließ. End¬
lich trieb die Eitelkeit großer Kinder in den wirk¬
lichen Geſellſchaften oder durch Vorſpiegelung derſel¬
ben ihr muſſiges Spiel. Wie haͤtte die Literatur ei¬
nem Treiben fremd bleiben ſollen, das in der wirk¬
lichen Welt ſo viel Senſation machte? wie haͤtte be¬
ſonders die poetiſche Literatur ein ſo ergiebiges Thema
nicht behandeln ſollen, da die Wunderſucht einen ſo
poetiſchen Anſtrich hatte? Die Scenen, die Gaßner,
Philadelphia, Woͤllner, die Freimaurer, Roſenkreuzer
und Illuminaten in der Wirklichkeit auffuͤhrten, ſpie¬
gelten ſich in zahlloſen Geſchichten von Geſpenſtern,
Zauberern und myſtiſchen Geſellſchaften. Selbſt aus¬
gezeichnete Dichter ließen etwas von dieſem Wunder¬
weſen in ihren Werken anklingen, halb ernſthaft, halb
ironiſch, ſo Goͤthe im Wilhelm Meiſter und Gro߬
kophta, Schiller im Geiſterſeher, Jean Paul im Ti¬
tan. Jenem Unweſen huldigte auch eine der beruͤhm¬
teſten deutſchen Opern, Mozart's Zauberfloͤte, und
ſie wirkte nicht wenig auf die Liebhaberei des Publi¬
kums an dergleichen Unſinn. Unter den Romanſchrei¬
bern zeichnete ſich in dieſer Gattung vor allen Vul¬
pius aus, deſſen Rinaldini den ganzen Apparat my¬
ſtiſcher Geſellſchaften und uͤberraſchender Zauberſtuͤck¬
chen enthielt, und ein wahres Volksbuch wurde. Den
hoͤchſten Gipfel aber dieſer Poeſie erreichte Werner,
der ſie zur tragiſchen Wuͤrde zu erheben bemuͤht war.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0112" n="102"/>
auf dem bequem&#x017F;ten Wege der Mei&#x017F;ter&#x017F;chaft in der<lb/>
Weisheit bema&#x0364;chtigen, indem &#x017F;ie &#x017F;ich zum Mitglied<lb/>
eines Bundes im Verborgnen aufnehmen ließ. End¬<lb/>
lich trieb die Eitelkeit großer Kinder in den wirk¬<lb/>
lichen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften oder durch Vor&#x017F;piegelung der&#x017F;el¬<lb/>
ben ihr mu&#x017F;&#x017F;iges Spiel. Wie ha&#x0364;tte die Literatur ei¬<lb/>
nem Treiben fremd bleiben &#x017F;ollen, das in der wirk¬<lb/>
lichen Welt &#x017F;o viel Sen&#x017F;ation machte? wie ha&#x0364;tte be¬<lb/>
&#x017F;onders die poeti&#x017F;che Literatur ein &#x017F;o ergiebiges Thema<lb/>
nicht behandeln &#x017F;ollen, da die Wunder&#x017F;ucht einen &#x017F;o<lb/>
poeti&#x017F;chen An&#x017F;trich hatte? Die Scenen, die Gaßner,<lb/>
Philadelphia, Wo&#x0364;llner, die Freimaurer, Ro&#x017F;enkreuzer<lb/>
und Illuminaten in der Wirklichkeit auffu&#x0364;hrten, &#x017F;pie¬<lb/>
gelten &#x017F;ich in zahllo&#x017F;en Ge&#x017F;chichten von Ge&#x017F;pen&#x017F;tern,<lb/>
Zauberern und my&#x017F;ti&#x017F;chen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften. Selb&#x017F;t aus¬<lb/>
gezeichnete Dichter ließen etwas von die&#x017F;em Wunder¬<lb/>
we&#x017F;en in ihren Werken anklingen, halb ern&#x017F;thaft, halb<lb/>
ironi&#x017F;ch, &#x017F;o Go&#x0364;the im Wilhelm Mei&#x017F;ter und Gro߬<lb/>
kophta, Schiller im Gei&#x017F;ter&#x017F;eher, Jean Paul im Ti¬<lb/>
tan. Jenem Unwe&#x017F;en huldigte auch eine der beru&#x0364;hm¬<lb/>
te&#x017F;ten deut&#x017F;chen Opern, Mozart's Zauberflo&#x0364;te, und<lb/>
&#x017F;ie wirkte nicht wenig auf die Liebhaberei des Publi¬<lb/>
kums an dergleichen Un&#x017F;inn. Unter den Roman&#x017F;chrei¬<lb/>
bern zeichnete &#x017F;ich in die&#x017F;er Gattung vor allen Vul¬<lb/>
pius aus, de&#x017F;&#x017F;en Rinaldini den ganzen Apparat my¬<lb/>
&#x017F;ti&#x017F;cher Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften und u&#x0364;berra&#x017F;chender Zauber&#x017F;tu&#x0364;ck¬<lb/>
chen enthielt, und ein wahres Volksbuch wurde. Den<lb/>
ho&#x0364;ch&#x017F;ten Gipfel aber die&#x017F;er Poe&#x017F;ie erreichte Werner,<lb/>
der &#x017F;ie zur tragi&#x017F;chen Wu&#x0364;rde zu erheben bemu&#x0364;ht war.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0112] auf dem bequemſten Wege der Meiſterſchaft in der Weisheit bemaͤchtigen, indem ſie ſich zum Mitglied eines Bundes im Verborgnen aufnehmen ließ. End¬ lich trieb die Eitelkeit großer Kinder in den wirk¬ lichen Geſellſchaften oder durch Vorſpiegelung derſel¬ ben ihr muſſiges Spiel. Wie haͤtte die Literatur ei¬ nem Treiben fremd bleiben ſollen, das in der wirk¬ lichen Welt ſo viel Senſation machte? wie haͤtte be¬ ſonders die poetiſche Literatur ein ſo ergiebiges Thema nicht behandeln ſollen, da die Wunderſucht einen ſo poetiſchen Anſtrich hatte? Die Scenen, die Gaßner, Philadelphia, Woͤllner, die Freimaurer, Roſenkreuzer und Illuminaten in der Wirklichkeit auffuͤhrten, ſpie¬ gelten ſich in zahlloſen Geſchichten von Geſpenſtern, Zauberern und myſtiſchen Geſellſchaften. Selbſt aus¬ gezeichnete Dichter ließen etwas von dieſem Wunder¬ weſen in ihren Werken anklingen, halb ernſthaft, halb ironiſch, ſo Goͤthe im Wilhelm Meiſter und Gro߬ kophta, Schiller im Geiſterſeher, Jean Paul im Ti¬ tan. Jenem Unweſen huldigte auch eine der beruͤhm¬ teſten deutſchen Opern, Mozart's Zauberfloͤte, und ſie wirkte nicht wenig auf die Liebhaberei des Publi¬ kums an dergleichen Unſinn. Unter den Romanſchrei¬ bern zeichnete ſich in dieſer Gattung vor allen Vul¬ pius aus, deſſen Rinaldini den ganzen Apparat my¬ ſtiſcher Geſellſchaften und uͤberraſchender Zauberſtuͤck¬ chen enthielt, und ein wahres Volksbuch wurde. Den hoͤchſten Gipfel aber dieſer Poeſie erreichte Werner, der ſie zur tragiſchen Wuͤrde zu erheben bemuͤht war.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/112
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/112>, abgerufen am 26.11.2024.