haftigkeit des erwachsnen Alters, mit allem Pathos eines vorgeblichen Glaubens und mit sentimentaler Schwärmerei den Unsinn behaupten, so werden wir albern, statt poetisch zu werden. Es ist dies eine Krankheit der gegenwärtigen Zeit, die mit vielen andern Erscheinungen zusammenhängt, eine Folge des hypochondrischen Stubensitzens.
Wir unterscheiden zwei besondre Gattungen die¬ ser abergläubigen Poesie, die eine, die darauf aus¬ geht, zu borniren, die andre, welche schrecken und entsetzen will. Beide kommen aber darin überein, daß sie Unsinn für Sinn ausgeben, und dem albern¬ sten Aberglauben fröhnen. Beide schildern uns wun¬ derbare Begebenheiten, bewirkt durch unbekannte, dunkle Wundermächte, die mit den Menschen ein willkürliches Spiel treiben. In der ersten Gattung erscheinen diese dunkeln Mächte als mystische, geheime Clubbs von überirdischen, zaubermächtigen Wesen, und hier spielen die Menschen oder Helden die Rolle von Schülern, die geprüft werden. In der zweiten Gattung sind die dunkeln Mächte das Schicksal oder gar der Teufel, und hier sind die Menschen Opfer, deren Qualen den poetischen Effekt bewirken sollen.
Die erste Gattung war die frühere. Sie ging aus dem Freimaurerwesen und aus der Wundersucht hervor, die in der letzten Hälfte des vorigen Jahr¬ hunderts in geheimen Gesellschaften Mysterien aller Art suchten. Die Neugier hielt das Unmögliche für möglich, und die naive Dummdreistigkeit wollte sich
haftigkeit des erwachsnen Alters, mit allem Pathos eines vorgeblichen Glaubens und mit ſentimentaler Schwaͤrmerei den Unſinn behaupten, ſo werden wir albern, ſtatt poetiſch zu werden. Es iſt dies eine Krankheit der gegenwaͤrtigen Zeit, die mit vielen andern Erſcheinungen zuſammenhaͤngt, eine Folge des hypochondriſchen Stubenſitzens.
Wir unterſcheiden zwei beſondre Gattungen die¬ ſer aberglaͤubigen Poeſie, die eine, die darauf aus¬ geht, zu borniren, die andre, welche ſchrecken und entſetzen will. Beide kommen aber darin uͤberein, daß ſie Unſinn fuͤr Sinn ausgeben, und dem albern¬ ſten Aberglauben froͤhnen. Beide ſchildern uns wun¬ derbare Begebenheiten, bewirkt durch unbekannte, dunkle Wundermaͤchte, die mit den Menſchen ein willkuͤrliches Spiel treiben. In der erſten Gattung erſcheinen dieſe dunkeln Maͤchte als myſtiſche, geheime Clubbs von uͤberirdiſchen, zaubermaͤchtigen Weſen, und hier ſpielen die Menſchen oder Helden die Rolle von Schuͤlern, die gepruͤft werden. In der zweiten Gattung ſind die dunkeln Maͤchte das Schickſal oder gar der Teufel, und hier ſind die Menſchen Opfer, deren Qualen den poetiſchen Effekt bewirken ſollen.
Die erſte Gattung war die fruͤhere. Sie ging aus dem Freimaurerweſen und aus der Wunderſucht hervor, die in der letzten Haͤlfte des vorigen Jahr¬ hunderts in geheimen Geſellſchaften Myſterien aller Art ſuchten. Die Neugier hielt das Unmoͤgliche fuͤr moͤglich, und die naive Dummdreiſtigkeit wollte ſich
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haftigkeit des erwachsnen Alters, mit allem Pathos
eines vorgeblichen Glaubens und mit ſentimentaler
Schwaͤrmerei den Unſinn behaupten, ſo werden wir
albern, ſtatt poetiſch zu werden. Es iſt dies eine
Krankheit der gegenwaͤrtigen Zeit, die mit vielen
andern Erſcheinungen zuſammenhaͤngt, eine Folge
des hypochondriſchen Stubenſitzens.
Wir unterſcheiden zwei beſondre Gattungen die¬
ſer aberglaͤubigen Poeſie, die eine, die darauf aus¬
geht, zu borniren, die andre, welche ſchrecken und
entſetzen will. Beide kommen aber darin uͤberein,
daß ſie Unſinn fuͤr Sinn ausgeben, und dem albern¬
ſten Aberglauben froͤhnen. Beide ſchildern uns wun¬
derbare Begebenheiten, bewirkt durch unbekannte,
dunkle Wundermaͤchte, die mit den Menſchen ein
willkuͤrliches Spiel treiben. In der erſten Gattung
erſcheinen dieſe dunkeln Maͤchte als myſtiſche, geheime
Clubbs von uͤberirdiſchen, zaubermaͤchtigen Weſen,
und hier ſpielen die Menſchen oder Helden die Rolle
von Schuͤlern, die gepruͤft werden. In der zweiten
Gattung ſind die dunkeln Maͤchte das Schickſal oder
gar der Teufel, und hier ſind die Menſchen Opfer,
deren Qualen den poetiſchen Effekt bewirken ſollen.
Die erſte Gattung war die fruͤhere. Sie ging
aus dem Freimaurerweſen und aus der Wunderſucht
hervor, die in der letzten Haͤlfte des vorigen Jahr¬
hunderts in geheimen Geſellſchaften Myſterien aller
Art ſuchten. Die Neugier hielt das Unmoͤgliche fuͤr
moͤglich, und die naive Dummdreiſtigkeit wollte ſich
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/111>, abgerufen am 07.05.2024.
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