Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

haftigkeit des erwachsnen Alters, mit allem Pathos
eines vorgeblichen Glaubens und mit sentimentaler
Schwärmerei den Unsinn behaupten, so werden wir
albern, statt poetisch zu werden. Es ist dies eine
Krankheit der gegenwärtigen Zeit, die mit vielen
andern Erscheinungen zusammenhängt, eine Folge
des hypochondrischen Stubensitzens.

Wir unterscheiden zwei besondre Gattungen die¬
ser abergläubigen Poesie, die eine, die darauf aus¬
geht, zu borniren, die andre, welche schrecken und
entsetzen will. Beide kommen aber darin überein,
daß sie Unsinn für Sinn ausgeben, und dem albern¬
sten Aberglauben fröhnen. Beide schildern uns wun¬
derbare Begebenheiten, bewirkt durch unbekannte,
dunkle Wundermächte, die mit den Menschen ein
willkürliches Spiel treiben. In der ersten Gattung
erscheinen diese dunkeln Mächte als mystische, geheime
Clubbs von überirdischen, zaubermächtigen Wesen,
und hier spielen die Menschen oder Helden die Rolle
von Schülern, die geprüft werden. In der zweiten
Gattung sind die dunkeln Mächte das Schicksal oder
gar der Teufel, und hier sind die Menschen Opfer,
deren Qualen den poetischen Effekt bewirken sollen.

Die erste Gattung war die frühere. Sie ging
aus dem Freimaurerwesen und aus der Wundersucht
hervor, die in der letzten Hälfte des vorigen Jahr¬
hunderts in geheimen Gesellschaften Mysterien aller
Art suchten. Die Neugier hielt das Unmögliche für
möglich, und die naive Dummdreistigkeit wollte sich

haftigkeit des erwachsnen Alters, mit allem Pathos
eines vorgeblichen Glaubens und mit ſentimentaler
Schwaͤrmerei den Unſinn behaupten, ſo werden wir
albern, ſtatt poetiſch zu werden. Es iſt dies eine
Krankheit der gegenwaͤrtigen Zeit, die mit vielen
andern Erſcheinungen zuſammenhaͤngt, eine Folge
des hypochondriſchen Stubenſitzens.

Wir unterſcheiden zwei beſondre Gattungen die¬
ſer aberglaͤubigen Poeſie, die eine, die darauf aus¬
geht, zu borniren, die andre, welche ſchrecken und
entſetzen will. Beide kommen aber darin uͤberein,
daß ſie Unſinn fuͤr Sinn ausgeben, und dem albern¬
ſten Aberglauben froͤhnen. Beide ſchildern uns wun¬
derbare Begebenheiten, bewirkt durch unbekannte,
dunkle Wundermaͤchte, die mit den Menſchen ein
willkuͤrliches Spiel treiben. In der erſten Gattung
erſcheinen dieſe dunkeln Maͤchte als myſtiſche, geheime
Clubbs von uͤberirdiſchen, zaubermaͤchtigen Weſen,
und hier ſpielen die Menſchen oder Helden die Rolle
von Schuͤlern, die gepruͤft werden. In der zweiten
Gattung ſind die dunkeln Maͤchte das Schickſal oder
gar der Teufel, und hier ſind die Menſchen Opfer,
deren Qualen den poetiſchen Effekt bewirken ſollen.

Die erſte Gattung war die fruͤhere. Sie ging
aus dem Freimaurerweſen und aus der Wunderſucht
hervor, die in der letzten Haͤlfte des vorigen Jahr¬
hunderts in geheimen Geſellſchaften Myſterien aller
Art ſuchten. Die Neugier hielt das Unmoͤgliche fuͤr
moͤglich, und die naive Dummdreiſtigkeit wollte ſich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0111" n="101"/>
haftigkeit des erwachsnen Alters, mit allem Pathos<lb/>
eines vorgeblichen Glaubens und mit &#x017F;entimentaler<lb/>
Schwa&#x0364;rmerei den Un&#x017F;inn behaupten, &#x017F;o werden wir<lb/>
albern, &#x017F;tatt poeti&#x017F;ch zu werden. Es i&#x017F;t dies eine<lb/>
Krankheit der gegenwa&#x0364;rtigen Zeit, die mit vielen<lb/>
andern Er&#x017F;cheinungen zu&#x017F;ammenha&#x0364;ngt, eine Folge<lb/>
des hypochondri&#x017F;chen Stuben&#x017F;itzens.</p><lb/>
        <p>Wir unter&#x017F;cheiden zwei be&#x017F;ondre Gattungen die¬<lb/>
&#x017F;er abergla&#x0364;ubigen Poe&#x017F;ie, die eine, die darauf aus¬<lb/>
geht, zu borniren, die andre, welche &#x017F;chrecken und<lb/>
ent&#x017F;etzen will. Beide kommen aber darin u&#x0364;berein,<lb/>
daß &#x017F;ie Un&#x017F;inn fu&#x0364;r Sinn ausgeben, und dem albern¬<lb/>
&#x017F;ten Aberglauben fro&#x0364;hnen. Beide &#x017F;childern uns wun¬<lb/>
derbare Begebenheiten, bewirkt durch unbekannte,<lb/>
dunkle Wunderma&#x0364;chte, die mit den Men&#x017F;chen ein<lb/>
willku&#x0364;rliches Spiel treiben. In der er&#x017F;ten Gattung<lb/>
er&#x017F;cheinen die&#x017F;e dunkeln Ma&#x0364;chte als my&#x017F;ti&#x017F;che, geheime<lb/>
Clubbs von u&#x0364;berirdi&#x017F;chen, zauberma&#x0364;chtigen We&#x017F;en,<lb/>
und hier &#x017F;pielen die Men&#x017F;chen oder Helden die Rolle<lb/>
von Schu&#x0364;lern, die gepru&#x0364;ft werden. In der zweiten<lb/>
Gattung &#x017F;ind die dunkeln Ma&#x0364;chte das Schick&#x017F;al oder<lb/>
gar der Teufel, und hier &#x017F;ind die Men&#x017F;chen Opfer,<lb/>
deren Qualen den poeti&#x017F;chen Effekt bewirken &#x017F;ollen.</p><lb/>
        <p>Die er&#x017F;te Gattung war die fru&#x0364;here. Sie ging<lb/>
aus dem Freimaurerwe&#x017F;en und aus der Wunder&#x017F;ucht<lb/>
hervor, die in der letzten Ha&#x0364;lfte des vorigen Jahr¬<lb/>
hunderts in geheimen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften My&#x017F;terien aller<lb/>
Art &#x017F;uchten. Die Neugier hielt das Unmo&#x0364;gliche fu&#x0364;r<lb/>
mo&#x0364;glich, und die naive Dummdrei&#x017F;tigkeit wollte &#x017F;ich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[101/0111] haftigkeit des erwachsnen Alters, mit allem Pathos eines vorgeblichen Glaubens und mit ſentimentaler Schwaͤrmerei den Unſinn behaupten, ſo werden wir albern, ſtatt poetiſch zu werden. Es iſt dies eine Krankheit der gegenwaͤrtigen Zeit, die mit vielen andern Erſcheinungen zuſammenhaͤngt, eine Folge des hypochondriſchen Stubenſitzens. Wir unterſcheiden zwei beſondre Gattungen die¬ ſer aberglaͤubigen Poeſie, die eine, die darauf aus¬ geht, zu borniren, die andre, welche ſchrecken und entſetzen will. Beide kommen aber darin uͤberein, daß ſie Unſinn fuͤr Sinn ausgeben, und dem albern¬ ſten Aberglauben froͤhnen. Beide ſchildern uns wun¬ derbare Begebenheiten, bewirkt durch unbekannte, dunkle Wundermaͤchte, die mit den Menſchen ein willkuͤrliches Spiel treiben. In der erſten Gattung erſcheinen dieſe dunkeln Maͤchte als myſtiſche, geheime Clubbs von uͤberirdiſchen, zaubermaͤchtigen Weſen, und hier ſpielen die Menſchen oder Helden die Rolle von Schuͤlern, die gepruͤft werden. In der zweiten Gattung ſind die dunkeln Maͤchte das Schickſal oder gar der Teufel, und hier ſind die Menſchen Opfer, deren Qualen den poetiſchen Effekt bewirken ſollen. Die erſte Gattung war die fruͤhere. Sie ging aus dem Freimaurerweſen und aus der Wunderſucht hervor, die in der letzten Haͤlfte des vorigen Jahr¬ hunderts in geheimen Geſellſchaften Myſterien aller Art ſuchten. Die Neugier hielt das Unmoͤgliche fuͤr moͤglich, und die naive Dummdreiſtigkeit wollte ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/111
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/111>, abgerufen am 07.05.2024.