fel bunt zusammen. Dies unterscheidet sie wesentlich von der eigenthümlichen Volks- und Sagenpoesie, die streng in sich beschlossen, ihren eigenthümlichen nationellen Charakter nie verläugnet.
Man kann dieses Wunderbare auf dreierlei Weise behandeln, auf eine naive, ironische oder sentimen¬ tale, d. h. mit Glauben, Unglauben oder Aberglau¬ ben. Naiv und gläubig sind die Kindermärchen, von denen wir eine große Anzahl und vorzügliche Auswahl besitzen, obgleich sie wenig berühmt sind, und unter andern glänzenden Erscheinungen der Li¬ teratur sich verlieren. Tieck ist der Meister in die¬ ser naiven Gattung. Die gemeinschaftliche Quelle dieser Dichtungen ist immer der alte Volksglauben, und hieraus schöpfen sie ihre Tendenz, wenn sie auch sonst durchaus neue Erfindung seyn und verschieden¬ artigen Volksglauben vermischen sollten. Das Pub¬ likum für solche Dichtungen sind und bleiben die Kinder und kindliche Menschen, und der Dichter muß sich, wie der Leser in das unbefangne Jugendalter zurückversetzen. Man kann die Produkte dieser Art wieder in die bunten, phantastischen, blos ergötzen¬ den, und in die tiefsinnigen eintheilen, in deren leich¬ tem Spiel ein schöner Sinn, eine Lehre, ein tiefes Gefühl geheimnißvoll verborgen liegt. Von der letz¬ ten Art sind besonders die Romanzen, die an die mährchenhaften Novellen sich anschließen. Im Allge¬ meinen aber sind alle modernen Mährchen und Ro¬ manzen, die sich nicht an einen bestimmten alterthüm¬
fel bunt zuſammen. Dies unterſcheidet ſie weſentlich von der eigenthuͤmlichen Volks- und Sagenpoeſie, die ſtreng in ſich beſchloſſen, ihren eigenthuͤmlichen nationellen Charakter nie verlaͤugnet.
Man kann dieſes Wunderbare auf dreierlei Weiſe behandeln, auf eine naive, ironiſche oder ſentimen¬ tale, d. h. mit Glauben, Unglauben oder Aberglau¬ ben. Naiv und glaͤubig ſind die Kindermaͤrchen, von denen wir eine große Anzahl und vorzuͤgliche Auswahl beſitzen, obgleich ſie wenig beruͤhmt ſind, und unter andern glaͤnzenden Erſcheinungen der Li¬ teratur ſich verlieren. Tieck iſt der Meiſter in die¬ ſer naiven Gattung. Die gemeinſchaftliche Quelle dieſer Dichtungen iſt immer der alte Volksglauben, und hieraus ſchoͤpfen ſie ihre Tendenz, wenn ſie auch ſonſt durchaus neue Erfindung ſeyn und verſchieden¬ artigen Volksglauben vermiſchen ſollten. Das Pub¬ likum fuͤr ſolche Dichtungen ſind und bleiben die Kinder und kindliche Menſchen, und der Dichter muß ſich, wie der Leſer in das unbefangne Jugendalter zuruͤckverſetzen. Man kann die Produkte dieſer Art wieder in die bunten, phantaſtiſchen, blos ergoͤtzen¬ den, und in die tiefſinnigen eintheilen, in deren leich¬ tem Spiel ein ſchoͤner Sinn, eine Lehre, ein tiefes Gefuͤhl geheimnißvoll verborgen liegt. Von der letz¬ ten Art ſind beſonders die Romanzen, die an die maͤhrchenhaften Novellen ſich anſchließen. Im Allge¬ meinen aber ſind alle modernen Maͤhrchen und Ro¬ manzen, die ſich nicht an einen beſtimmten alterthuͤm¬
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fel bunt zuſammen. Dies unterſcheidet ſie weſentlich
von der eigenthuͤmlichen Volks- und Sagenpoeſie,
die ſtreng in ſich beſchloſſen, ihren eigenthuͤmlichen
nationellen Charakter nie verlaͤugnet.
Man kann dieſes Wunderbare auf dreierlei Weiſe
behandeln, auf eine naive, ironiſche oder ſentimen¬
tale, d. h. mit Glauben, Unglauben oder Aberglau¬
ben. Naiv und glaͤubig ſind die Kindermaͤrchen,
von denen wir eine große Anzahl und vorzuͤgliche
Auswahl beſitzen, obgleich ſie wenig beruͤhmt ſind,
und unter andern glaͤnzenden Erſcheinungen der Li¬
teratur ſich verlieren. Tieck iſt der Meiſter in die¬
ſer naiven Gattung. Die gemeinſchaftliche Quelle
dieſer Dichtungen iſt immer der alte Volksglauben,
und hieraus ſchoͤpfen ſie ihre Tendenz, wenn ſie auch
ſonſt durchaus neue Erfindung ſeyn und verſchieden¬
artigen Volksglauben vermiſchen ſollten. Das Pub¬
likum fuͤr ſolche Dichtungen ſind und bleiben die
Kinder und kindliche Menſchen, und der Dichter muß
ſich, wie der Leſer in das unbefangne Jugendalter
zuruͤckverſetzen. Man kann die Produkte dieſer Art
wieder in die bunten, phantaſtiſchen, blos ergoͤtzen¬
den, und in die tiefſinnigen eintheilen, in deren leich¬
tem Spiel ein ſchoͤner Sinn, eine Lehre, ein tiefes
Gefuͤhl geheimnißvoll verborgen liegt. Von der letz¬
ten Art ſind beſonders die Romanzen, die an die
maͤhrchenhaften Novellen ſich anſchließen. Im Allge¬
meinen aber ſind alle modernen Maͤhrchen und Ro¬
manzen, die ſich nicht an einen beſtimmten alterthuͤm¬
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/108>, abgerufen am 26.11.2024.
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