kanische Partei spricht allen Menschen das gleiche Recht der Freiheit zu, sofern sie zugleich alle für stark genug hält, auch die Pflichten derselben tragen zu können. Die servile Partei spricht allen Menschen die gleiche Pflicht zu, sich vom höchsten Wesen ab¬ hängig zu fühlen, und einigen ertheilt sie das Pri¬ vilegium, im Namen jenes höchsten Wesens die Ab¬ hängigen zu beherrschen. Wenn die Menschen wirklich alle zugleich so seyn könnten, wie die eine oder an¬ dre Partei sie haben will, so wäre die Ansicht und der Staat einer jeden gleich vollkommen und es käme in der That nicht darauf an, ob dieser Staat oder jener bestände, wenn er nur allen seinen Gliedern vollkommen entspräche. Die Menschen sind aber we¬ der so, wie jene, noch so, wie diese wollen und werden es in alle Ewigkeit nicht seyn. Darum muß auch ein ewiger Streit herrschen. Der Streit selbst wäre wieder ganz vernünftig, wenn jede Partei ihre Ansicht nur auf die Menschen ausdehnen wollte, de¬ ren natürliche Anlage dieser Ansicht entgegenkommt; er wird aber unvernünftig, da jede Partei allen Menschen, also auch denen, deren natürliche Anlage ihrer Ansicht widerspricht, diese aufdringen wollen. Die Republikaner wollen alle Menschen zur Freiheit erheben, aber einen großen Theil derselben können sie nur dazu verdammen, weil es Menschen gibt, viele, die meisten, welche keinerlei Kraft und Zeug dazu haben. Die Servilen wollen allen Menschen eine Hirtenschaft im Namen Gottes gewähren, aber
kaniſche Partei ſpricht allen Menſchen das gleiche Recht der Freiheit zu, ſofern ſie zugleich alle fuͤr ſtark genug haͤlt, auch die Pflichten derſelben tragen zu koͤnnen. Die ſervile Partei ſpricht allen Menſchen die gleiche Pflicht zu, ſich vom hoͤchſten Weſen ab¬ haͤngig zu fuͤhlen, und einigen ertheilt ſie das Pri¬ vilegium, im Namen jenes hoͤchſten Weſens die Ab¬ haͤngigen zu beherrſchen. Wenn die Menſchen wirklich alle zugleich ſo ſeyn koͤnnten, wie die eine oder an¬ dre Partei ſie haben will, ſo waͤre die Anſicht und der Staat einer jeden gleich vollkommen und es kaͤme in der That nicht darauf an, ob dieſer Staat oder jener beſtaͤnde, wenn er nur allen ſeinen Gliedern vollkommen entſpraͤche. Die Menſchen ſind aber we¬ der ſo, wie jene, noch ſo, wie dieſe wollen und werden es in alle Ewigkeit nicht ſeyn. Darum muß auch ein ewiger Streit herrſchen. Der Streit ſelbſt waͤre wieder ganz vernuͤnftig, wenn jede Partei ihre Anſicht nur auf die Menſchen ausdehnen wollte, de¬ ren natuͤrliche Anlage dieſer Anſicht entgegenkommt; er wird aber unvernuͤnftig, da jede Partei allen Menſchen, alſo auch denen, deren natuͤrliche Anlage ihrer Anſicht widerſpricht, dieſe aufdringen wollen. Die Republikaner wollen alle Menſchen zur Freiheit erheben, aber einen großen Theil derſelben koͤnnen ſie nur dazu verdammen, weil es Menſchen gibt, viele, die meiſten, welche keinerlei Kraft und Zeug dazu haben. Die Servilen wollen allen Menſchen eine Hirtenſchaft im Namen Gottes gewaͤhren, aber
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0246"n="236"/>
kaniſche Partei ſpricht allen Menſchen das gleiche<lb/>
Recht der Freiheit zu, ſofern ſie zugleich alle fuͤr<lb/>ſtark genug haͤlt, auch die Pflichten derſelben tragen<lb/>
zu koͤnnen. Die ſervile Partei ſpricht allen Menſchen<lb/>
die gleiche Pflicht zu, ſich vom hoͤchſten Weſen ab¬<lb/>
haͤngig zu fuͤhlen, und einigen ertheilt ſie das Pri¬<lb/>
vilegium, im Namen jenes hoͤchſten Weſens die Ab¬<lb/>
haͤngigen zu beherrſchen. Wenn die Menſchen wirklich<lb/>
alle zugleich ſo ſeyn koͤnnten, wie die eine oder an¬<lb/>
dre Partei ſie haben will, ſo waͤre die Anſicht und<lb/>
der Staat einer jeden gleich vollkommen und es kaͤme<lb/>
in der That nicht darauf an, ob dieſer Staat oder<lb/>
jener beſtaͤnde, wenn er nur allen ſeinen Gliedern<lb/>
vollkommen entſpraͤche. Die Menſchen ſind aber we¬<lb/>
der ſo, wie jene, noch ſo, wie dieſe wollen und<lb/>
werden es in alle Ewigkeit nicht ſeyn. Darum muß<lb/>
auch ein ewiger Streit herrſchen. Der Streit ſelbſt<lb/>
waͤre wieder ganz vernuͤnftig, wenn jede Partei ihre<lb/>
Anſicht nur auf die Menſchen ausdehnen wollte, de¬<lb/>
ren natuͤrliche Anlage dieſer Anſicht entgegenkommt;<lb/>
er wird aber unvernuͤnftig, da jede Partei allen<lb/>
Menſchen, alſo auch denen, deren natuͤrliche Anlage<lb/>
ihrer Anſicht widerſpricht, dieſe aufdringen wollen.<lb/>
Die Republikaner wollen alle Menſchen zur Freiheit<lb/>
erheben, aber einen großen Theil derſelben koͤnnen<lb/>ſie nur dazu verdammen, weil es Menſchen gibt,<lb/>
viele, die meiſten, welche keinerlei Kraft und Zeug<lb/>
dazu haben. Die Servilen wollen allen Menſchen<lb/>
eine Hirtenſchaft im Namen Gottes gewaͤhren, aber<lb/></p></div></body></text></TEI>
[236/0246]
kaniſche Partei ſpricht allen Menſchen das gleiche
Recht der Freiheit zu, ſofern ſie zugleich alle fuͤr
ſtark genug haͤlt, auch die Pflichten derſelben tragen
zu koͤnnen. Die ſervile Partei ſpricht allen Menſchen
die gleiche Pflicht zu, ſich vom hoͤchſten Weſen ab¬
haͤngig zu fuͤhlen, und einigen ertheilt ſie das Pri¬
vilegium, im Namen jenes hoͤchſten Weſens die Ab¬
haͤngigen zu beherrſchen. Wenn die Menſchen wirklich
alle zugleich ſo ſeyn koͤnnten, wie die eine oder an¬
dre Partei ſie haben will, ſo waͤre die Anſicht und
der Staat einer jeden gleich vollkommen und es kaͤme
in der That nicht darauf an, ob dieſer Staat oder
jener beſtaͤnde, wenn er nur allen ſeinen Gliedern
vollkommen entſpraͤche. Die Menſchen ſind aber we¬
der ſo, wie jene, noch ſo, wie dieſe wollen und
werden es in alle Ewigkeit nicht ſeyn. Darum muß
auch ein ewiger Streit herrſchen. Der Streit ſelbſt
waͤre wieder ganz vernuͤnftig, wenn jede Partei ihre
Anſicht nur auf die Menſchen ausdehnen wollte, de¬
ren natuͤrliche Anlage dieſer Anſicht entgegenkommt;
er wird aber unvernuͤnftig, da jede Partei allen
Menſchen, alſo auch denen, deren natuͤrliche Anlage
ihrer Anſicht widerſpricht, dieſe aufdringen wollen.
Die Republikaner wollen alle Menſchen zur Freiheit
erheben, aber einen großen Theil derſelben koͤnnen
ſie nur dazu verdammen, weil es Menſchen gibt,
viele, die meiſten, welche keinerlei Kraft und Zeug
dazu haben. Die Servilen wollen allen Menſchen
eine Hirtenſchaft im Namen Gottes gewaͤhren, aber
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/246>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.