Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

kanische Partei spricht allen Menschen das gleiche
Recht der Freiheit zu, sofern sie zugleich alle für
stark genug hält, auch die Pflichten derselben tragen
zu können. Die servile Partei spricht allen Menschen
die gleiche Pflicht zu, sich vom höchsten Wesen ab¬
hängig zu fühlen, und einigen ertheilt sie das Pri¬
vilegium, im Namen jenes höchsten Wesens die Ab¬
hängigen zu beherrschen. Wenn die Menschen wirklich
alle zugleich so seyn könnten, wie die eine oder an¬
dre Partei sie haben will, so wäre die Ansicht und
der Staat einer jeden gleich vollkommen und es käme
in der That nicht darauf an, ob dieser Staat oder
jener bestände, wenn er nur allen seinen Gliedern
vollkommen entspräche. Die Menschen sind aber we¬
der so, wie jene, noch so, wie diese wollen und
werden es in alle Ewigkeit nicht seyn. Darum muß
auch ein ewiger Streit herrschen. Der Streit selbst
wäre wieder ganz vernünftig, wenn jede Partei ihre
Ansicht nur auf die Menschen ausdehnen wollte, de¬
ren natürliche Anlage dieser Ansicht entgegenkommt;
er wird aber unvernünftig, da jede Partei allen
Menschen, also auch denen, deren natürliche Anlage
ihrer Ansicht widerspricht, diese aufdringen wollen.
Die Republikaner wollen alle Menschen zur Freiheit
erheben, aber einen großen Theil derselben können
sie nur dazu verdammen, weil es Menschen gibt,
viele, die meisten, welche keinerlei Kraft und Zeug
dazu haben. Die Servilen wollen allen Menschen
eine Hirtenschaft im Namen Gottes gewähren, aber

kaniſche Partei ſpricht allen Menſchen das gleiche
Recht der Freiheit zu, ſofern ſie zugleich alle fuͤr
ſtark genug haͤlt, auch die Pflichten derſelben tragen
zu koͤnnen. Die ſervile Partei ſpricht allen Menſchen
die gleiche Pflicht zu, ſich vom hoͤchſten Weſen ab¬
haͤngig zu fuͤhlen, und einigen ertheilt ſie das Pri¬
vilegium, im Namen jenes hoͤchſten Weſens die Ab¬
haͤngigen zu beherrſchen. Wenn die Menſchen wirklich
alle zugleich ſo ſeyn koͤnnten, wie die eine oder an¬
dre Partei ſie haben will, ſo waͤre die Anſicht und
der Staat einer jeden gleich vollkommen und es kaͤme
in der That nicht darauf an, ob dieſer Staat oder
jener beſtaͤnde, wenn er nur allen ſeinen Gliedern
vollkommen entſpraͤche. Die Menſchen ſind aber we¬
der ſo, wie jene, noch ſo, wie dieſe wollen und
werden es in alle Ewigkeit nicht ſeyn. Darum muß
auch ein ewiger Streit herrſchen. Der Streit ſelbſt
waͤre wieder ganz vernuͤnftig, wenn jede Partei ihre
Anſicht nur auf die Menſchen ausdehnen wollte, de¬
ren natuͤrliche Anlage dieſer Anſicht entgegenkommt;
er wird aber unvernuͤnftig, da jede Partei allen
Menſchen, alſo auch denen, deren natuͤrliche Anlage
ihrer Anſicht widerſpricht, dieſe aufdringen wollen.
Die Republikaner wollen alle Menſchen zur Freiheit
erheben, aber einen großen Theil derſelben koͤnnen
ſie nur dazu verdammen, weil es Menſchen gibt,
viele, die meiſten, welche keinerlei Kraft und Zeug
dazu haben. Die Servilen wollen allen Menſchen
eine Hirtenſchaft im Namen Gottes gewaͤhren, aber

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0246" n="236"/>
kani&#x017F;che Partei &#x017F;pricht allen Men&#x017F;chen das gleiche<lb/>
Recht der Freiheit zu, &#x017F;ofern &#x017F;ie zugleich alle fu&#x0364;r<lb/>
&#x017F;tark genug ha&#x0364;lt, auch die Pflichten der&#x017F;elben tragen<lb/>
zu ko&#x0364;nnen. Die &#x017F;ervile Partei &#x017F;pricht allen Men&#x017F;chen<lb/>
die gleiche Pflicht zu, &#x017F;ich vom ho&#x0364;ch&#x017F;ten We&#x017F;en ab¬<lb/>
ha&#x0364;ngig zu fu&#x0364;hlen, und einigen ertheilt &#x017F;ie das Pri¬<lb/>
vilegium, im Namen jenes ho&#x0364;ch&#x017F;ten We&#x017F;ens die Ab¬<lb/>
ha&#x0364;ngigen zu beherr&#x017F;chen. Wenn die Men&#x017F;chen wirklich<lb/>
alle zugleich &#x017F;o &#x017F;eyn ko&#x0364;nnten, wie die eine oder an¬<lb/>
dre Partei &#x017F;ie haben will, &#x017F;o wa&#x0364;re die An&#x017F;icht und<lb/>
der Staat einer jeden gleich vollkommen und es ka&#x0364;me<lb/>
in der That nicht darauf an, ob die&#x017F;er Staat oder<lb/>
jener be&#x017F;ta&#x0364;nde, wenn er nur allen &#x017F;einen Gliedern<lb/>
vollkommen ent&#x017F;pra&#x0364;che. Die Men&#x017F;chen &#x017F;ind aber we¬<lb/>
der &#x017F;o, wie jene, noch &#x017F;o, wie die&#x017F;e wollen und<lb/>
werden es in alle Ewigkeit nicht &#x017F;eyn. Darum muß<lb/>
auch ein ewiger Streit herr&#x017F;chen. Der Streit &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
wa&#x0364;re wieder ganz vernu&#x0364;nftig, wenn jede Partei ihre<lb/>
An&#x017F;icht nur auf die Men&#x017F;chen ausdehnen wollte, de¬<lb/>
ren natu&#x0364;rliche Anlage die&#x017F;er An&#x017F;icht entgegenkommt;<lb/>
er wird aber unvernu&#x0364;nftig, da jede Partei allen<lb/>
Men&#x017F;chen, al&#x017F;o auch denen, deren natu&#x0364;rliche Anlage<lb/>
ihrer An&#x017F;icht wider&#x017F;pricht, die&#x017F;e aufdringen wollen.<lb/>
Die Republikaner wollen alle Men&#x017F;chen zur Freiheit<lb/>
erheben, aber einen großen Theil der&#x017F;elben ko&#x0364;nnen<lb/>
&#x017F;ie nur dazu verdammen, weil es Men&#x017F;chen gibt,<lb/>
viele, die mei&#x017F;ten, welche keinerlei Kraft und Zeug<lb/>
dazu haben. Die Servilen wollen allen Men&#x017F;chen<lb/>
eine Hirten&#x017F;chaft im Namen Gottes gewa&#x0364;hren, aber<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[236/0246] kaniſche Partei ſpricht allen Menſchen das gleiche Recht der Freiheit zu, ſofern ſie zugleich alle fuͤr ſtark genug haͤlt, auch die Pflichten derſelben tragen zu koͤnnen. Die ſervile Partei ſpricht allen Menſchen die gleiche Pflicht zu, ſich vom hoͤchſten Weſen ab¬ haͤngig zu fuͤhlen, und einigen ertheilt ſie das Pri¬ vilegium, im Namen jenes hoͤchſten Weſens die Ab¬ haͤngigen zu beherrſchen. Wenn die Menſchen wirklich alle zugleich ſo ſeyn koͤnnten, wie die eine oder an¬ dre Partei ſie haben will, ſo waͤre die Anſicht und der Staat einer jeden gleich vollkommen und es kaͤme in der That nicht darauf an, ob dieſer Staat oder jener beſtaͤnde, wenn er nur allen ſeinen Gliedern vollkommen entſpraͤche. Die Menſchen ſind aber we¬ der ſo, wie jene, noch ſo, wie dieſe wollen und werden es in alle Ewigkeit nicht ſeyn. Darum muß auch ein ewiger Streit herrſchen. Der Streit ſelbſt waͤre wieder ganz vernuͤnftig, wenn jede Partei ihre Anſicht nur auf die Menſchen ausdehnen wollte, de¬ ren natuͤrliche Anlage dieſer Anſicht entgegenkommt; er wird aber unvernuͤnftig, da jede Partei allen Menſchen, alſo auch denen, deren natuͤrliche Anlage ihrer Anſicht widerſpricht, dieſe aufdringen wollen. Die Republikaner wollen alle Menſchen zur Freiheit erheben, aber einen großen Theil derſelben koͤnnen ſie nur dazu verdammen, weil es Menſchen gibt, viele, die meiſten, welche keinerlei Kraft und Zeug dazu haben. Die Servilen wollen allen Menſchen eine Hirtenſchaft im Namen Gottes gewaͤhren, aber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/246
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/246>, abgerufen am 22.11.2024.