Sie sprechen von einer absoluten Freiheit und von einer absoluten Abhängigkeit, der sich alles fügen soll, sie weisen auch wohl nach, daß die Freiheit des Willens und das Recht der Selbstbestimmung, oder aber die Abhängigkeit von einem höhern über der Gesellschaft waltenden Wesen und di Pflicht der Unterwerfung unter dasselbe allen menschlichen Hand¬ lungen zu Grunde liege, aber sie gehn immer von einem idealen Gesichtspunkt aus und wollen zu einem idealen Ziele hinführen, zu einer Anordnung der menschlichen Gesellschaft, in welcher entweder jene Freiheit oder jene Abhängigkeit allgemein anerkannt und die derselben entsprechenden politischen Formen unabänderlich festgestellt seyn müßten. Alle Menschen sollen sich der einen oder andern Ansicht fügen, und man streitet nur darüber, welcher Ansicht?
Dies ist der Grundirrthum beider Parteien. Man muß die Frage nach absoluter Freiheit und Unabhän¬ gigkeit in der weit wichtigern Frage nach dem rela¬ tiven Vermögen der Menschen, und sofern von der Gesellschaft die Rede ist, nach der Vertheilung die¬ ser Vermögen unter die Menschen zu begründen su¬ chen. Wir werden nicht mehr nöthig haben, zu fra¬ gen: soll der Mensch frei seyn? wenn erst erwiesen ist, daß sie alle die gleiche Kraft dazu besitzen. Eben so werden wir nicht mehr untersuchen dürfen, ob die Abhängigkeit der einen und andern nothwendig sey, wenn wir die Vermögen kennen, die den einen und den andern von Natur zugetheilt sind. Die republi¬
Sie ſprechen von einer abſoluten Freiheit und von einer abſoluten Abhaͤngigkeit, der ſich alles fuͤgen ſoll, ſie weiſen auch wohl nach, daß die Freiheit des Willens und das Recht der Selbſtbeſtimmung, oder aber die Abhaͤngigkeit von einem hoͤhern uͤber der Geſellſchaft waltenden Weſen und di Pflicht der Unterwerfung unter daſſelbe allen menſchlichen Hand¬ lungen zu Grunde liege, aber ſie gehn immer von einem idealen Geſichtspunkt aus und wollen zu einem idealen Ziele hinfuͤhren, zu einer Anordnung der menſchlichen Geſellſchaft, in welcher entweder jene Freiheit oder jene Abhaͤngigkeit allgemein anerkannt und die derſelben entſprechenden politiſchen Formen unabaͤnderlich feſtgeſtellt ſeyn muͤßten. Alle Menſchen ſollen ſich der einen oder andern Anſicht fuͤgen, und man ſtreitet nur daruͤber, welcher Anſicht?
Dies iſt der Grundirrthum beider Parteien. Man muß die Frage nach abſoluter Freiheit und Unabhaͤn¬ gigkeit in der weit wichtigern Frage nach dem rela¬ tiven Vermoͤgen der Menſchen, und ſofern von der Geſellſchaft die Rede iſt, nach der Vertheilung die¬ ſer Vermoͤgen unter die Menſchen zu begruͤnden ſu¬ chen. Wir werden nicht mehr noͤthig haben, zu fra¬ gen: ſoll der Menſch frei ſeyn? wenn erſt erwieſen iſt, daß ſie alle die gleiche Kraft dazu beſitzen. Eben ſo werden wir nicht mehr unterſuchen duͤrfen, ob die Abhaͤngigkeit der einen und andern nothwendig ſey, wenn wir die Vermoͤgen kennen, die den einen und den andern von Natur zugetheilt ſind. Die republi¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0245"n="235"/>
Sie ſprechen von einer abſoluten Freiheit und von<lb/>
einer abſoluten Abhaͤngigkeit, der ſich alles fuͤgen<lb/>ſoll, ſie weiſen auch wohl nach, daß die Freiheit<lb/>
des Willens und das Recht der Selbſtbeſtimmung,<lb/>
oder aber die Abhaͤngigkeit von einem hoͤhern uͤber<lb/>
der Geſellſchaft waltenden Weſen und di Pflicht der<lb/>
Unterwerfung unter daſſelbe allen menſchlichen Hand¬<lb/>
lungen zu Grunde liege, aber ſie gehn immer von<lb/>
einem idealen Geſichtspunkt aus und wollen zu einem<lb/>
idealen Ziele hinfuͤhren, zu einer Anordnung der<lb/>
menſchlichen Geſellſchaft, in welcher entweder jene<lb/>
Freiheit oder jene Abhaͤngigkeit allgemein anerkannt<lb/>
und die derſelben entſprechenden politiſchen Formen<lb/>
unabaͤnderlich feſtgeſtellt ſeyn muͤßten. Alle Menſchen<lb/>ſollen ſich der einen oder andern Anſicht fuͤgen, und<lb/>
man ſtreitet nur daruͤber, welcher Anſicht?</p><lb/><p>Dies iſt der Grundirrthum beider Parteien. Man<lb/>
muß die Frage nach abſoluter Freiheit und Unabhaͤn¬<lb/>
gigkeit in der weit wichtigern Frage nach dem rela¬<lb/>
tiven Vermoͤgen der Menſchen, und ſofern von der<lb/>
Geſellſchaft die Rede iſt, nach der Vertheilung die¬<lb/>ſer Vermoͤgen unter die Menſchen zu begruͤnden ſu¬<lb/>
chen. Wir werden nicht mehr noͤthig haben, zu fra¬<lb/>
gen: ſoll der Menſch frei ſeyn? wenn erſt erwieſen<lb/>
iſt, daß ſie alle die gleiche Kraft dazu beſitzen. Eben<lb/>ſo werden wir nicht mehr unterſuchen duͤrfen, ob die<lb/>
Abhaͤngigkeit der einen und andern nothwendig ſey,<lb/>
wenn wir die Vermoͤgen kennen, die den einen und<lb/>
den andern von Natur zugetheilt ſind. Die republi¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[235/0245]
Sie ſprechen von einer abſoluten Freiheit und von
einer abſoluten Abhaͤngigkeit, der ſich alles fuͤgen
ſoll, ſie weiſen auch wohl nach, daß die Freiheit
des Willens und das Recht der Selbſtbeſtimmung,
oder aber die Abhaͤngigkeit von einem hoͤhern uͤber
der Geſellſchaft waltenden Weſen und di Pflicht der
Unterwerfung unter daſſelbe allen menſchlichen Hand¬
lungen zu Grunde liege, aber ſie gehn immer von
einem idealen Geſichtspunkt aus und wollen zu einem
idealen Ziele hinfuͤhren, zu einer Anordnung der
menſchlichen Geſellſchaft, in welcher entweder jene
Freiheit oder jene Abhaͤngigkeit allgemein anerkannt
und die derſelben entſprechenden politiſchen Formen
unabaͤnderlich feſtgeſtellt ſeyn muͤßten. Alle Menſchen
ſollen ſich der einen oder andern Anſicht fuͤgen, und
man ſtreitet nur daruͤber, welcher Anſicht?
Dies iſt der Grundirrthum beider Parteien. Man
muß die Frage nach abſoluter Freiheit und Unabhaͤn¬
gigkeit in der weit wichtigern Frage nach dem rela¬
tiven Vermoͤgen der Menſchen, und ſofern von der
Geſellſchaft die Rede iſt, nach der Vertheilung die¬
ſer Vermoͤgen unter die Menſchen zu begruͤnden ſu¬
chen. Wir werden nicht mehr noͤthig haben, zu fra¬
gen: ſoll der Menſch frei ſeyn? wenn erſt erwieſen
iſt, daß ſie alle die gleiche Kraft dazu beſitzen. Eben
ſo werden wir nicht mehr unterſuchen duͤrfen, ob die
Abhaͤngigkeit der einen und andern nothwendig ſey,
wenn wir die Vermoͤgen kennen, die den einen und
den andern von Natur zugetheilt ſind. Die republi¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/245>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.