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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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Alle diese Staaten trugen aber auf dreifache Weise
den Keim des Verderbens und Untergangs in ihrer
Bildung. Indem sie ein Ewiges, Bleibendes dar¬
stellen wollten, widerstrebten sie der ewigen Entwick¬
lung und riefen die Natur selbst gegen sich auf. In¬
dem sie die höchste Autorität in Anspruch nahmen,
ohne noch allen Bedürfnissen der höhern Entwicklung
des Geschlechts zu entsprechen, riefen sie die Freiheit
gegen sich auf. Indem sie endlich zwar ursprünglich
natürliche Classen der Gesellschaft feststellten, aber
dabei auf die Individuen keine Rücksicht nahmen,
welche die Geburt in einer Classe festhielt, die Na¬
turanlage aber für die andre bestimmte, riefen sie
die Massen selbst gegen sich auf.

So ist es auch hier die Normalität, die in der
Abhängigkeit gesucht wird, wie dort in der Freiheit,
und der die Menschen beständig widerstrebten. Alle
können nicht auf gleiche Weise frei, aber auch nicht
auf gleiche Weise abhängig seyn.

Da beide Parteien in der Wahrheit sich nicht
vereinigen können, so ist es ziemlich natürlich, daß
sie desto mehr, ohne es zu wissen, im Irrthum über¬
einstimmen. Ihr großer gemeinschaftlicher Irrthum ist,
daß sie über die menschliche Handlungsweise streiten
und dabei von Ideen ausgehen, für welche oder in
welchen gehandelt werden soll, statt von den Kräf¬
ten
der Menschen auszugehn, durch welche wirklich
gehandelt wird und werden kann. Sie denken immer
an das Sollen und vergessen darüber das Können.

Alle dieſe Staaten trugen aber auf dreifache Weiſe
den Keim des Verderbens und Untergangs in ihrer
Bildung. Indem ſie ein Ewiges, Bleibendes dar¬
ſtellen wollten, widerſtrebten ſie der ewigen Entwick¬
lung und riefen die Natur ſelbſt gegen ſich auf. In¬
dem ſie die hoͤchſte Autoritaͤt in Anſpruch nahmen,
ohne noch allen Beduͤrfniſſen der hoͤhern Entwicklung
des Geſchlechts zu entſprechen, riefen ſie die Freiheit
gegen ſich auf. Indem ſie endlich zwar urſpruͤnglich
natuͤrliche Claſſen der Geſellſchaft feſtſtellten, aber
dabei auf die Individuen keine Ruͤckſicht nahmen,
welche die Geburt in einer Claſſe feſthielt, die Na¬
turanlage aber fuͤr die andre beſtimmte, riefen ſie
die Maſſen ſelbſt gegen ſich auf.

So iſt es auch hier die Normalitaͤt, die in der
Abhaͤngigkeit geſucht wird, wie dort in der Freiheit,
und der die Menſchen beſtaͤndig widerſtrebten. Alle
koͤnnen nicht auf gleiche Weiſe frei, aber auch nicht
auf gleiche Weiſe abhaͤngig ſeyn.

Da beide Parteien in der Wahrheit ſich nicht
vereinigen koͤnnen, ſo iſt es ziemlich natuͤrlich, daß
ſie deſto mehr, ohne es zu wiſſen, im Irrthum uͤber¬
einſtimmen. Ihr großer gemeinſchaftlicher Irrthum iſt,
daß ſie uͤber die menſchliche Handlungsweiſe ſtreiten
und dabei von Ideen ausgehen, fuͤr welche oder in
welchen gehandelt werden ſoll, ſtatt von den Kraͤf¬
ten
der Menſchen auszugehn, durch welche wirklich
gehandelt wird und werden kann. Sie denken immer
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[234/0244] Alle dieſe Staaten trugen aber auf dreifache Weiſe den Keim des Verderbens und Untergangs in ihrer Bildung. Indem ſie ein Ewiges, Bleibendes dar¬ ſtellen wollten, widerſtrebten ſie der ewigen Entwick¬ lung und riefen die Natur ſelbſt gegen ſich auf. In¬ dem ſie die hoͤchſte Autoritaͤt in Anſpruch nahmen, ohne noch allen Beduͤrfniſſen der hoͤhern Entwicklung des Geſchlechts zu entſprechen, riefen ſie die Freiheit gegen ſich auf. Indem ſie endlich zwar urſpruͤnglich natuͤrliche Claſſen der Geſellſchaft feſtſtellten, aber dabei auf die Individuen keine Ruͤckſicht nahmen, welche die Geburt in einer Claſſe feſthielt, die Na¬ turanlage aber fuͤr die andre beſtimmte, riefen ſie die Maſſen ſelbſt gegen ſich auf. So iſt es auch hier die Normalitaͤt, die in der Abhaͤngigkeit geſucht wird, wie dort in der Freiheit, und der die Menſchen beſtaͤndig widerſtrebten. Alle koͤnnen nicht auf gleiche Weiſe frei, aber auch nicht auf gleiche Weiſe abhaͤngig ſeyn. Da beide Parteien in der Wahrheit ſich nicht vereinigen koͤnnen, ſo iſt es ziemlich natuͤrlich, daß ſie deſto mehr, ohne es zu wiſſen, im Irrthum uͤber¬ einſtimmen. Ihr großer gemeinſchaftlicher Irrthum iſt, daß ſie uͤber die menſchliche Handlungsweiſe ſtreiten und dabei von Ideen ausgehen, fuͤr welche oder in welchen gehandelt werden ſoll, ſtatt von den Kraͤf¬ ten der Menſchen auszugehn, durch welche wirklich gehandelt wird und werden kann. Sie denken immer an das Sollen und vergeſſen daruͤber das Koͤnnen.

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/244>, abgerufen am 22.11.2024.