Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.einer Kürze der Sätze und Weitschweifigkeit des Sin¬ Die vergleichende Anatomie der Sprachen hat Deutsche Literatur. I. 9
einer Kuͤrze der Saͤtze und Weitſchweifigkeit des Sin¬ Die vergleichende Anatomie der Sprachen hat Deutſche Literatur. I. 9
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0203" n="193"/> einer Kuͤrze der Saͤtze und Weitſchweifigkeit des Sin¬<lb/> nes, die in Bezug auf das Volk ſehr charakteriſtiſch<lb/> iſt. Wenn wir auch durch die Nachahmung der Al¬<lb/> ten eine mehr eigenthuͤmliche Entwicklung unſrer<lb/> Sprache und ſogar eine Menge ſowohl alter Woͤrter<lb/> als Formen aufgegeben haben, ſo muͤſſen wir doch<lb/> bekennen, daß wir in demſelben Maaße alte Begriffe<lb/> und Denkweiſen abgelegt haben, und daß unſre neue<lb/> Sprache vollkommen unſrer neuen Bildung entſpro¬<lb/> chen hat, und mehr kann die Sprache nicht thun.<lb/> Die Nachahmung der Alten war unabweislich; wir<lb/> werden jetzt ſelbſtaͤndiger und in demſelben Maaße<lb/> wird es auch wieder unſre Sprache, und wir neh¬<lb/> men das Urſpruͤngliche wieder auf, weil wir es<lb/> ausbilden. Sofern jene Nachahmung mit den Faͤhig¬<lb/> keiten und dem Genius der deutſchen Sprache ver¬<lb/> traͤglich geweſen iſt, hat ſie ſehr wohlthaͤtig gewirkt.<lb/> Indeß hat ſie unſrer Sprache doch auch oft Gewalt<lb/> angethan.</p><lb/> <p>Die vergleichende Anatomie der Sprachen hat<lb/> ſchoͤne Fortſchritte gemacht, und man hat ſogar den<lb/> Gedanken an eine Urſprache, oder an eine Zuruͤck¬<lb/> fuͤhrung aller Sprachentwicklungen auf urſpruͤngliche<lb/> Urlaute gewagt. Dieß hat freilich zum Theil zu un¬<lb/> ſinnigen Hypotheſen verleitet, indeß iſt der Vortheil<lb/> nicht zu verkennen, den eine unbefangene kritiſche<lb/> Vergleichung der Sprachen gewaͤhrt. Sie hat vor¬<lb/> zuͤglich die intereſſanteſten Aufſchluͤſſe uͤber die Ver¬<lb/> zweigungen, Wanderungen und geiſtigen Entwicklun¬<lb/> <fw place="bottom" type="sig">Deutſche Literatur. <hi rendition="#aq">I</hi>. 9<lb/></fw> </p> </div> </body> </text> </TEI> [193/0203]
einer Kuͤrze der Saͤtze und Weitſchweifigkeit des Sin¬
nes, die in Bezug auf das Volk ſehr charakteriſtiſch
iſt. Wenn wir auch durch die Nachahmung der Al¬
ten eine mehr eigenthuͤmliche Entwicklung unſrer
Sprache und ſogar eine Menge ſowohl alter Woͤrter
als Formen aufgegeben haben, ſo muͤſſen wir doch
bekennen, daß wir in demſelben Maaße alte Begriffe
und Denkweiſen abgelegt haben, und daß unſre neue
Sprache vollkommen unſrer neuen Bildung entſpro¬
chen hat, und mehr kann die Sprache nicht thun.
Die Nachahmung der Alten war unabweislich; wir
werden jetzt ſelbſtaͤndiger und in demſelben Maaße
wird es auch wieder unſre Sprache, und wir neh¬
men das Urſpruͤngliche wieder auf, weil wir es
ausbilden. Sofern jene Nachahmung mit den Faͤhig¬
keiten und dem Genius der deutſchen Sprache ver¬
traͤglich geweſen iſt, hat ſie ſehr wohlthaͤtig gewirkt.
Indeß hat ſie unſrer Sprache doch auch oft Gewalt
angethan.
Die vergleichende Anatomie der Sprachen hat
ſchoͤne Fortſchritte gemacht, und man hat ſogar den
Gedanken an eine Urſprache, oder an eine Zuruͤck¬
fuͤhrung aller Sprachentwicklungen auf urſpruͤngliche
Urlaute gewagt. Dieß hat freilich zum Theil zu un¬
ſinnigen Hypotheſen verleitet, indeß iſt der Vortheil
nicht zu verkennen, den eine unbefangene kritiſche
Vergleichung der Sprachen gewaͤhrt. Sie hat vor¬
zuͤglich die intereſſanteſten Aufſchluͤſſe uͤber die Ver¬
zweigungen, Wanderungen und geiſtigen Entwicklun¬
Deutſche Literatur. I. 9
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