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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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Grundsätzen, und das sogenannte Deutschthum muß
als der letzte einseitige Auswuchs des einseitigen Fich¬
tianismus betrachtet werden. Im ethischen Enthusias¬
mus höchst achtbar, und oft bewunderungswürdig, ist
diese Lehre in der Praxis fast immer nur zur Thor¬
heit ausgelaufen. Sie findet ihre Anhänger auf na¬
türliche Weise immer bei der Jugend und hat sie bei
den Alten eine Zeitlang finden müssen, als dieselben
wie in den letzten Zeiten der Noth und Befreiung
Deutschlands von einem jugendlichen Rausch ergrif¬
fen worden. Diese feurige, rasche Wirkung, wie
eines Meteors, das wieder schwindet, ist aber ge¬
rade das, was wir an Fichte's Lehre höchst liebens¬
würdig finden müssen. Unter den Dichtern ist in der
praktischen und ethischen Richtung Schiller ihm am
meisten geistesverwandt. Beide griffen in die stolze
Brust und riefen den männlichen Willen zum Kampf
gegen die Sinnlichkeit und Schwäche des Zeitalters;
beide fochten ritterlich für Freiheit, Ehre, Tugend,
beide sind früh in dem Strom, gegen den sie anstreb¬
ten, untergegangen. Abgesehn von dieser ethischen
Richtung aber, und rein in Bezug auf das Philoso¬
phem Fichte's ist kein Dichter ihm gefolgt, als No¬
valis, der daher auch eben so groß und einzig da¬
steht, und auch dieser Dichter büßte den allzukühnen
Göttertraum mit einem frühen Tode. Fichte's höch¬
ster Satz, "das Ich ist Gott" wurde von Nova¬
lis in jenem ungeheuern Anthropomorphismus der
Welt ausgeführt, den wir in seinen hinterlassenen

Grundſaͤtzen, und das ſogenannte Deutſchthum muß
als der letzte einſeitige Auswuchs des einſeitigen Fich¬
tianismus betrachtet werden. Im ethiſchen Enthuſias¬
mus hoͤchſt achtbar, und oft bewunderungswuͤrdig, iſt
dieſe Lehre in der Praxis faſt immer nur zur Thor¬
heit ausgelaufen. Sie findet ihre Anhaͤnger auf na¬
tuͤrliche Weiſe immer bei der Jugend und hat ſie bei
den Alten eine Zeitlang finden muͤſſen, als dieſelben
wie in den letzten Zeiten der Noth und Befreiung
Deutſchlands von einem jugendlichen Rauſch ergrif¬
fen worden. Dieſe feurige, raſche Wirkung, wie
eines Meteors, das wieder ſchwindet, iſt aber ge¬
rade das, was wir an Fichte's Lehre hoͤchſt liebens¬
wuͤrdig finden muͤſſen. Unter den Dichtern iſt in der
praktiſchen und ethiſchen Richtung Schiller ihm am
meiſten geiſtesverwandt. Beide griffen in die ſtolze
Bruſt und riefen den maͤnnlichen Willen zum Kampf
gegen die Sinnlichkeit und Schwaͤche des Zeitalters;
beide fochten ritterlich fuͤr Freiheit, Ehre, Tugend,
beide ſind fruͤh in dem Strom, gegen den ſie anſtreb¬
ten, untergegangen. Abgeſehn von dieſer ethiſchen
Richtung aber, und rein in Bezug auf das Philoſo¬
phem Fichte's iſt kein Dichter ihm gefolgt, als No¬
valis, der daher auch eben ſo groß und einzig da¬
ſteht, und auch dieſer Dichter buͤßte den allzukuͤhnen
Goͤttertraum mit einem fruͤhen Tode. Fichte's hoͤch¬
ſter Satz, «das Ich iſt Gott» wurde von Nova¬
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[185/0195] Grundſaͤtzen, und das ſogenannte Deutſchthum muß als der letzte einſeitige Auswuchs des einſeitigen Fich¬ tianismus betrachtet werden. Im ethiſchen Enthuſias¬ mus hoͤchſt achtbar, und oft bewunderungswuͤrdig, iſt dieſe Lehre in der Praxis faſt immer nur zur Thor¬ heit ausgelaufen. Sie findet ihre Anhaͤnger auf na¬ tuͤrliche Weiſe immer bei der Jugend und hat ſie bei den Alten eine Zeitlang finden muͤſſen, als dieſelben wie in den letzten Zeiten der Noth und Befreiung Deutſchlands von einem jugendlichen Rauſch ergrif¬ fen worden. Dieſe feurige, raſche Wirkung, wie eines Meteors, das wieder ſchwindet, iſt aber ge¬ rade das, was wir an Fichte's Lehre hoͤchſt liebens¬ wuͤrdig finden muͤſſen. Unter den Dichtern iſt in der praktiſchen und ethiſchen Richtung Schiller ihm am meiſten geiſtesverwandt. Beide griffen in die ſtolze Bruſt und riefen den maͤnnlichen Willen zum Kampf gegen die Sinnlichkeit und Schwaͤche des Zeitalters; beide fochten ritterlich fuͤr Freiheit, Ehre, Tugend, beide ſind fruͤh in dem Strom, gegen den ſie anſtreb¬ ten, untergegangen. Abgeſehn von dieſer ethiſchen Richtung aber, und rein in Bezug auf das Philoſo¬ phem Fichte's iſt kein Dichter ihm gefolgt, als No¬ valis, der daher auch eben ſo groß und einzig da¬ ſteht, und auch dieſer Dichter buͤßte den allzukuͤhnen Goͤttertraum mit einem fruͤhen Tode. Fichte's hoͤch¬ ſter Satz, «das Ich iſt Gott» wurde von Nova¬ lis in jenem ungeheuern Anthropomorphismus der Welt ausgefuͤhrt, den wir in ſeinen hinterlaſſenen

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/195>, abgerufen am 28.04.2024.