Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

Theuth gegangen; habe ihm seine Künste gewiesen,
und begehrt, sie möchten den andern Egyptern mit¬
getheilt werden. Jener fragte, was doch eine jede
für Nutzen gewähre, und je nachdem ihm, was
Theuth darüber vorbrachte, richtig oder unrichtig
dünkte, tadelte er oder lobte. Vieles nun soll Tha¬
mus dem Theuth über jede Kunst dafür und dawider
gesagt haben, welches weitläuftig wäre, alles anzu¬
führen. Als er aber an die Buchstaben gekommen,
habe Theuth gesagt: Diese Kunst, o König, wird
die Egypter weiser machen und gedächtnißreicher.
Denn als ein Mittel für den Verstand und das Ge¬
dächtniß ist sie erfunden. Jener aber habe erwiedert:
O kunstreichster Theuth, Einer weis, was zu den
Künsten gehört, an's Licht zu gebären, ein Anderer
zu beurtheilen, wie viel Schaden und Vortheil sie
denen bringen, die sie gebrauchen werden. So hast
auch du jetzt, als Vater der Buchstaben, aus Liebe
das Gegentheil dessen gesagt, was sie bewirken. Denn
diese Erfindung wird den lernenden Seelen vielmehr
Vergessenheit einflößen aus Vernachläßigung des Ge¬
dächtnisses, weil sie im Vertrauen auf die Schrift
sich nur von außen, vermittelst fremder Zeichen, nicht
aber innerlich, sich selbst und unmittelbar erinnern
werden. Nicht also für das Gedächtniß, sondern
nur für die Erinnerung hast Du ein Mittel erfun¬
den, und von der Weisheit bringst du deinen Lehr¬
lingen nur den Schein bei, nicht die Sache selbst.
Denn indem sie nur Vieles gehört haben

Theuth gegangen; habe ihm ſeine Kuͤnſte gewieſen,
und begehrt, ſie moͤchten den andern Egyptern mit¬
getheilt werden. Jener fragte, was doch eine jede
fuͤr Nutzen gewaͤhre, und je nachdem ihm, was
Theuth daruͤber vorbrachte, richtig oder unrichtig
duͤnkte, tadelte er oder lobte. Vieles nun ſoll Tha¬
mus dem Theuth uͤber jede Kunſt dafuͤr und dawider
geſagt haben, welches weitlaͤuftig waͤre, alles anzu¬
fuͤhren. Als er aber an die Buchſtaben gekommen,
habe Theuth geſagt: Dieſe Kunſt, o Koͤnig, wird
die Egypter weiſer machen und gedaͤchtnißreicher.
Denn als ein Mittel fuͤr den Verſtand und das Ge¬
daͤchtniß iſt ſie erfunden. Jener aber habe erwiedert:
O kunſtreichſter Theuth, Einer weis, was zu den
Kuͤnſten gehoͤrt, an's Licht zu gebaͤren, ein Anderer
zu beurtheilen, wie viel Schaden und Vortheil ſie
denen bringen, die ſie gebrauchen werden. So haſt
auch du jetzt, als Vater der Buchſtaben, aus Liebe
das Gegentheil deſſen geſagt, was ſie bewirken. Denn
dieſe Erfindung wird den lernenden Seelen vielmehr
Vergeſſenheit einfloͤßen aus Vernachlaͤßigung des Ge¬
daͤchtniſſes, weil ſie im Vertrauen auf die Schrift
ſich nur von außen, vermittelſt fremder Zeichen, nicht
aber innerlich, ſich ſelbſt und unmittelbar erinnern
werden. Nicht alſo fuͤr das Gedaͤchtniß, ſondern
nur fuͤr die Erinnerung haſt Du ein Mittel erfun¬
den, und von der Weisheit bringſt du deinen Lehr¬
lingen nur den Schein bei, nicht die Sache ſelbſt.
Denn indem ſie nur Vieles gehoͤrt haben

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0019" n="9"/>
Theuth gegangen; habe ihm &#x017F;eine Ku&#x0364;n&#x017F;te gewie&#x017F;en,<lb/>
und begehrt, &#x017F;ie mo&#x0364;chten den andern Egyptern mit¬<lb/>
getheilt werden. Jener fragte, was doch eine jede<lb/>
fu&#x0364;r Nutzen gewa&#x0364;hre, und je nachdem ihm, was<lb/>
Theuth daru&#x0364;ber vorbrachte, richtig oder unrichtig<lb/>
du&#x0364;nkte, tadelte er oder lobte. Vieles nun &#x017F;oll Tha¬<lb/>
mus dem Theuth u&#x0364;ber jede Kun&#x017F;t dafu&#x0364;r und dawider<lb/>
ge&#x017F;agt haben, welches weitla&#x0364;uftig wa&#x0364;re, alles anzu¬<lb/>
fu&#x0364;hren. Als er aber an die Buch&#x017F;taben gekommen,<lb/>
habe Theuth ge&#x017F;agt: Die&#x017F;e Kun&#x017F;t, o Ko&#x0364;nig, wird<lb/>
die Egypter wei&#x017F;er machen und geda&#x0364;chtnißreicher.<lb/>
Denn als ein Mittel fu&#x0364;r den Ver&#x017F;tand und das Ge¬<lb/>
da&#x0364;chtniß i&#x017F;t &#x017F;ie erfunden. Jener aber habe erwiedert:<lb/>
O kun&#x017F;treich&#x017F;ter Theuth, Einer weis, was zu den<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;ten geho&#x0364;rt, an's Licht zu geba&#x0364;ren, ein Anderer<lb/>
zu beurtheilen, wie viel Schaden und Vortheil &#x017F;ie<lb/>
denen bringen, die &#x017F;ie gebrauchen werden. So ha&#x017F;t<lb/>
auch du jetzt, als Vater der Buch&#x017F;taben, aus Liebe<lb/>
das Gegentheil de&#x017F;&#x017F;en ge&#x017F;agt, was &#x017F;ie bewirken. Denn<lb/>
die&#x017F;e Erfindung wird den lernenden Seelen vielmehr<lb/>
Verge&#x017F;&#x017F;enheit einflo&#x0364;ßen aus Vernachla&#x0364;ßigung des Ge¬<lb/>
da&#x0364;chtni&#x017F;&#x017F;es, weil &#x017F;ie im Vertrauen auf die Schrift<lb/>
&#x017F;ich nur von außen, vermittel&#x017F;t fremder Zeichen, nicht<lb/>
aber innerlich, &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t und unmittelbar erinnern<lb/>
werden. Nicht al&#x017F;o fu&#x0364;r das Geda&#x0364;chtniß, &#x017F;ondern<lb/>
nur fu&#x0364;r die Erinnerung ha&#x017F;t Du ein Mittel erfun¬<lb/>
den, und von der Weisheit bring&#x017F;t du deinen Lehr¬<lb/>
lingen nur den Schein bei, nicht die Sache &#x017F;elb&#x017F;t.<lb/><hi rendition="#g">Denn indem &#x017F;ie nur Vieles geho&#x0364;rt haben<lb/></hi></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0019] Theuth gegangen; habe ihm ſeine Kuͤnſte gewieſen, und begehrt, ſie moͤchten den andern Egyptern mit¬ getheilt werden. Jener fragte, was doch eine jede fuͤr Nutzen gewaͤhre, und je nachdem ihm, was Theuth daruͤber vorbrachte, richtig oder unrichtig duͤnkte, tadelte er oder lobte. Vieles nun ſoll Tha¬ mus dem Theuth uͤber jede Kunſt dafuͤr und dawider geſagt haben, welches weitlaͤuftig waͤre, alles anzu¬ fuͤhren. Als er aber an die Buchſtaben gekommen, habe Theuth geſagt: Dieſe Kunſt, o Koͤnig, wird die Egypter weiſer machen und gedaͤchtnißreicher. Denn als ein Mittel fuͤr den Verſtand und das Ge¬ daͤchtniß iſt ſie erfunden. Jener aber habe erwiedert: O kunſtreichſter Theuth, Einer weis, was zu den Kuͤnſten gehoͤrt, an's Licht zu gebaͤren, ein Anderer zu beurtheilen, wie viel Schaden und Vortheil ſie denen bringen, die ſie gebrauchen werden. So haſt auch du jetzt, als Vater der Buchſtaben, aus Liebe das Gegentheil deſſen geſagt, was ſie bewirken. Denn dieſe Erfindung wird den lernenden Seelen vielmehr Vergeſſenheit einfloͤßen aus Vernachlaͤßigung des Ge¬ daͤchtniſſes, weil ſie im Vertrauen auf die Schrift ſich nur von außen, vermittelſt fremder Zeichen, nicht aber innerlich, ſich ſelbſt und unmittelbar erinnern werden. Nicht alſo fuͤr das Gedaͤchtniß, ſondern nur fuͤr die Erinnerung haſt Du ein Mittel erfun¬ den, und von der Weisheit bringſt du deinen Lehr¬ lingen nur den Schein bei, nicht die Sache ſelbſt. Denn indem ſie nur Vieles gehoͤrt haben

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/19
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/19>, abgerufen am 23.11.2024.