stopft durch die Wassermasse selbst, die in ihn zurück¬ stürzt. Der Geist erschlafft unter den Büchern, die doch selbst nur seiner Kraft ihr Daseyn verdanken. Man lernt Worte auswendig und fühlt sich der Mühe überhoben, selbst zu denken. Nichts schadet so sehr der eignen Geistesanstrengung, als die Be¬ quemlichkeit, von dem Gewinn einer fremden zu zeh¬ ren, und durch nichts wird die Faulheit und der Dünkel der Menschen so sehr unterstützt, als durch die Bücher. Mit der Kraft aber geht die Freiheit des Geistes verloren. Man kann nicht leichter aus den freien Menschen dumme Schafherden machen, als indem man sie zu Lesern macht. Daher war es schon dem feinen Platon zweifelhaft, ob die Erfin¬ dung der Schrift die Menschen sonderlich gebessert hätte, und es wird nicht übel angebracht seyn, die denkwürdigen Worte dieses liebenswürdigen Weisen hieher zu setzen:
"Ich habe gehört, zu Naukratis in Egypten sey einer von den dortigen alten Göttern gewesen, dem auch der Vogel, welcher Ibis heißt, geheiligt war, er selbst aber, der Gott, habe Theuth geheißen. Dieser habe zuerst Zahl und Rechnung erfunden, dann die Meßkunst und die Sternkunde, ferner das Bret- und Würfelspiel, und so auch die Buchsta¬ ben. Als König von ganz Egypten habe damals Thamus geherrscht in der großen Stadt des obern Landes, welche die Hellenen das egyptische Thebe nennen, den Gott selbst aber Ammon. Zu dem sey
ſtopft durch die Waſſermaſſe ſelbſt, die in ihn zuruͤck¬ ſtuͤrzt. Der Geiſt erſchlafft unter den Buͤchern, die doch ſelbſt nur ſeiner Kraft ihr Daſeyn verdanken. Man lernt Worte auswendig und fuͤhlt ſich der Muͤhe uͤberhoben, ſelbſt zu denken. Nichts ſchadet ſo ſehr der eignen Geiſtesanſtrengung, als die Be¬ quemlichkeit, von dem Gewinn einer fremden zu zeh¬ ren, und durch nichts wird die Faulheit und der Duͤnkel der Menſchen ſo ſehr unterſtuͤtzt, als durch die Buͤcher. Mit der Kraft aber geht die Freiheit des Geiſtes verloren. Man kann nicht leichter aus den freien Menſchen dumme Schafherden machen, als indem man ſie zu Leſern macht. Daher war es ſchon dem feinen Platon zweifelhaft, ob die Erfin¬ dung der Schrift die Menſchen ſonderlich gebeſſert haͤtte, und es wird nicht uͤbel angebracht ſeyn, die denkwuͤrdigen Worte dieſes liebenswuͤrdigen Weiſen hieher zu ſetzen:
«Ich habe gehoͤrt, zu Naukratis in Egypten ſey einer von den dortigen alten Goͤttern geweſen, dem auch der Vogel, welcher Ibis heißt, geheiligt war, er ſelbſt aber, der Gott, habe Theuth geheißen. Dieſer habe zuerſt Zahl und Rechnung erfunden, dann die Meßkunſt und die Sternkunde, ferner das Bret- und Wuͤrfelſpiel, und ſo auch die Buchſta¬ ben. Als Koͤnig von ganz Egypten habe damals Thamus geherrſcht in der großen Stadt des obern Landes, welche die Hellenen das egyptiſche Thebe nennen, den Gott ſelbſt aber Ammon. Zu dem ſey
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ſtopft durch die Waſſermaſſe ſelbſt, die in ihn zuruͤck¬
ſtuͤrzt. Der Geiſt erſchlafft unter den Buͤchern, die
doch ſelbſt nur ſeiner Kraft ihr Daſeyn verdanken.
Man lernt Worte auswendig und fuͤhlt ſich der
Muͤhe uͤberhoben, ſelbſt zu denken. Nichts ſchadet
ſo ſehr der eignen Geiſtesanſtrengung, als die Be¬
quemlichkeit, von dem Gewinn einer fremden zu zeh¬
ren, und durch nichts wird die Faulheit und der
Duͤnkel der Menſchen ſo ſehr unterſtuͤtzt, als durch
die Buͤcher. Mit der Kraft aber geht die Freiheit
des Geiſtes verloren. Man kann nicht leichter aus
den freien Menſchen dumme Schafherden machen,
als indem man ſie zu Leſern macht. Daher war es
ſchon dem feinen Platon zweifelhaft, ob die Erfin¬
dung der Schrift die Menſchen ſonderlich gebeſſert
haͤtte, und es wird nicht uͤbel angebracht ſeyn, die
denkwuͤrdigen Worte dieſes liebenswuͤrdigen Weiſen
hieher zu ſetzen:
«Ich habe gehoͤrt, zu Naukratis in Egypten ſey
einer von den dortigen alten Goͤttern geweſen, dem
auch der Vogel, welcher Ibis heißt, geheiligt war,
er ſelbſt aber, der Gott, habe Theuth geheißen.
Dieſer habe zuerſt Zahl und Rechnung erfunden,
dann die Meßkunſt und die Sternkunde, ferner das
Bret- und Wuͤrfelſpiel, und ſo auch die Buchſta¬
ben. Als Koͤnig von ganz Egypten habe damals
Thamus geherrſcht in der großen Stadt des obern
Landes, welche die Hellenen das egyptiſche Thebe
nennen, den Gott ſelbſt aber Ammon. Zu dem ſey
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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/18>, abgerufen am 16.07.2024.
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