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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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Fülle von Schönheiten, weil die mystische Einheit in
einer durchgreifenden Symbolik von Geist, Natur
und Geschichte enthüllt wird. Dies gibt den Schrif¬
ten von Görres die biblische Kraft und die orienta¬
lische Pracht. Wir glauben uns, wenn wir in ihn
uns einstudiren, in einem unermeßlichen kühnen gothi¬
schen Dom, die hohen Bogen, Säulen, Wölbungen,
wunderbar verschlungen und an einfache Punkte ge¬
knüpft, und eine ganze Welt in Steinbildern darin
verbaut, und über dem Ganzen schwebend ein Aus¬
druck des Heiligen, die Majestät eines unsichtbaren
Gottes, und im Tempel brausend ein Posaunenton,
der sein Herold ist. Görres priesterliche Salbung
und prophetische Donnerstimme sind dem Dogmatis¬
mus durchaus angemessen. Dieser soll immer seyn
und ist bei Görres das Werk eines plastischen Na¬
turtriebes, unwillkürliche, unverfälschte Offenbarung
der eingebornen Idee und genau wie beim Dichter
das freie Wachsthum einer eigenthümlichen Blume
des Geistes, unter den verschiedensten Bedingungen
der Cultur doch die übermächtige Naturkraft, die sich
selbst den Charakter bestimmt. Der Dogmatiker ist
in einer beständigen begeisterten Schöpfung begriffen
und es ist kein gutes Zeichen, wenn er aus den pro¬
phetischen Visionen erwacht und sich selbst kritisirt.
Nur der Kriticismus darf und soll dieser Begeiste¬
rung entbehren und den Gedanken als objectives Pro¬
duct von der subjectiven schöpferischen Gluth trennen.
Die Dogmatiker haben aber den Kritikern noch im¬

Fuͤlle von Schoͤnheiten, weil die myſtiſche Einheit in
einer durchgreifenden Symbolik von Geiſt, Natur
und Geſchichte enthuͤllt wird. Dies gibt den Schrif¬
ten von Goͤrres die bibliſche Kraft und die orienta¬
liſche Pracht. Wir glauben uns, wenn wir in ihn
uns einſtudiren, in einem unermeßlichen kuͤhnen gothi¬
ſchen Dom, die hohen Bogen, Saͤulen, Woͤlbungen,
wunderbar verſchlungen und an einfache Punkte ge¬
knuͤpft, und eine ganze Welt in Steinbildern darin
verbaut, und uͤber dem Ganzen ſchwebend ein Aus¬
druck des Heiligen, die Majeſtaͤt eines unſichtbaren
Gottes, und im Tempel brauſend ein Poſaunenton,
der ſein Herold iſt. Goͤrres prieſterliche Salbung
und prophetiſche Donnerſtimme ſind dem Dogmatis¬
mus durchaus angemeſſen. Dieſer ſoll immer ſeyn
und iſt bei Goͤrres das Werk eines plaſtiſchen Na¬
turtriebes, unwillkuͤrliche, unverfaͤlſchte Offenbarung
der eingebornen Idee und genau wie beim Dichter
das freie Wachsthum einer eigenthuͤmlichen Blume
des Geiſtes, unter den verſchiedenſten Bedingungen
der Cultur doch die uͤbermaͤchtige Naturkraft, die ſich
ſelbſt den Charakter beſtimmt. Der Dogmatiker iſt
in einer beſtaͤndigen begeiſterten Schoͤpfung begriffen
und es iſt kein gutes Zeichen, wenn er aus den pro¬
phetiſchen Viſionen erwacht und ſich ſelbſt kritiſirt.
Nur der Kriticismus darf und ſoll dieſer Begeiſte¬
rung entbehren und den Gedanken als objectives Pro¬
duct von der ſubjectiven ſchoͤpferiſchen Gluth trennen.
Die Dogmatiker haben aber den Kritikern noch im¬

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[178/0188] Fuͤlle von Schoͤnheiten, weil die myſtiſche Einheit in einer durchgreifenden Symbolik von Geiſt, Natur und Geſchichte enthuͤllt wird. Dies gibt den Schrif¬ ten von Goͤrres die bibliſche Kraft und die orienta¬ liſche Pracht. Wir glauben uns, wenn wir in ihn uns einſtudiren, in einem unermeßlichen kuͤhnen gothi¬ ſchen Dom, die hohen Bogen, Saͤulen, Woͤlbungen, wunderbar verſchlungen und an einfache Punkte ge¬ knuͤpft, und eine ganze Welt in Steinbildern darin verbaut, und uͤber dem Ganzen ſchwebend ein Aus¬ druck des Heiligen, die Majeſtaͤt eines unſichtbaren Gottes, und im Tempel brauſend ein Poſaunenton, der ſein Herold iſt. Goͤrres prieſterliche Salbung und prophetiſche Donnerſtimme ſind dem Dogmatis¬ mus durchaus angemeſſen. Dieſer ſoll immer ſeyn und iſt bei Goͤrres das Werk eines plaſtiſchen Na¬ turtriebes, unwillkuͤrliche, unverfaͤlſchte Offenbarung der eingebornen Idee und genau wie beim Dichter das freie Wachsthum einer eigenthuͤmlichen Blume des Geiſtes, unter den verſchiedenſten Bedingungen der Cultur doch die uͤbermaͤchtige Naturkraft, die ſich ſelbſt den Charakter beſtimmt. Der Dogmatiker iſt in einer beſtaͤndigen begeiſterten Schoͤpfung begriffen und es iſt kein gutes Zeichen, wenn er aus den pro¬ phetiſchen Viſionen erwacht und ſich ſelbſt kritiſirt. Nur der Kriticismus darf und ſoll dieſer Begeiſte¬ rung entbehren und den Gedanken als objectives Pro¬ duct von der ſubjectiven ſchoͤpferiſchen Gluth trennen. Die Dogmatiker haben aber den Kritikern noch im¬

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/188>, abgerufen am 27.04.2024.