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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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mer zu viel nachgegeben, und ihre blühenden Gärten
in Festungen verwandelt und unter das Wasser kri¬
tischer Reflexionen gesetzt, um sie gegen Angriffe zu
schützen. Görres hat seine Natur am freiesten und
kühnsten walten lassen, und steht deßhalb eben so
hoch als einsam unter den Philosophen. In Jakob
Böhme wirkte die Natur eine ähnliche Erscheinung,
doch diese wunderbare Blume blühte nur in der Nacht.
In Novalis rang die angeborne Natur gegen die
fremde Form, ohne sie ganz besiegen zu können. Son¬
dern sich die Elemente mehr und mehr, so wird der
Dogmatismus in der organischen Plastik eines Görres
die freieste, schönste und nationellste Entwicklung fin¬
den, der Kriticismus aber allerdings die platonischen
Formen ausbilden müssen, die seinem polemischen Cha¬
rakter am meisten angemessen sind.

Gehn wir zu den Wirkungen über, welche die
Philosophie in den untergeordneten Wissenschaften und
im Leben hervorgebracht, so erscheinen dieselben durch¬
aus natürlich und im Wesen der Philosophie begrün¬
det, weil diese jeder Erkenntniß, wie jedem Han¬
deln das höchste Gesetz vorschreibt. Die Philosophie
hat die gesammte Cultur unermeßlich befördert, in¬
dem sie überall centralisirt und vereinfacht hat. Sie
hat auch, in ihrer Einseitigkeit die einzelnen Seiten
der Wissenschaft und des Lebens je in das glänzendste
Licht gesetzt und für die verschiedenen Stimmen des
Zeitalters immer den Grundton angegeben. Sie hat
zwar, weil sie nur gelehrt ist, das gesammte Volk

mer zu viel nachgegeben, und ihre bluͤhenden Gaͤrten
in Feſtungen verwandelt und unter das Waſſer kri¬
tiſcher Reflexionen geſetzt, um ſie gegen Angriffe zu
ſchuͤtzen. Goͤrres hat ſeine Natur am freieſten und
kuͤhnſten walten laſſen, und ſteht deßhalb eben ſo
hoch als einſam unter den Philoſophen. In Jakob
Boͤhme wirkte die Natur eine aͤhnliche Erſcheinung,
doch dieſe wunderbare Blume bluͤhte nur in der Nacht.
In Novalis rang die angeborne Natur gegen die
fremde Form, ohne ſie ganz beſiegen zu koͤnnen. Son¬
dern ſich die Elemente mehr und mehr, ſo wird der
Dogmatismus in der organiſchen Plaſtik eines Goͤrres
die freieſte, ſchoͤnſte und nationellſte Entwicklung fin¬
den, der Kriticismus aber allerdings die platoniſchen
Formen ausbilden muͤſſen, die ſeinem polemiſchen Cha¬
rakter am meiſten angemeſſen ſind.

Gehn wir zu den Wirkungen uͤber, welche die
Philoſophie in den untergeordneten Wiſſenſchaften und
im Leben hervorgebracht, ſo erſcheinen dieſelben durch¬
aus natuͤrlich und im Weſen der Philoſophie begruͤn¬
det, weil dieſe jeder Erkenntniß, wie jedem Han¬
deln das hoͤchſte Geſetz vorſchreibt. Die Philoſophie
hat die geſammte Cultur unermeßlich befoͤrdert, in¬
dem ſie uͤberall centraliſirt und vereinfacht hat. Sie
hat auch, in ihrer Einſeitigkeit die einzelnen Seiten
der Wiſſenſchaft und des Lebens je in das glaͤnzendſte
Licht geſetzt und fuͤr die verſchiedenen Stimmen des
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[179/0189] mer zu viel nachgegeben, und ihre bluͤhenden Gaͤrten in Feſtungen verwandelt und unter das Waſſer kri¬ tiſcher Reflexionen geſetzt, um ſie gegen Angriffe zu ſchuͤtzen. Goͤrres hat ſeine Natur am freieſten und kuͤhnſten walten laſſen, und ſteht deßhalb eben ſo hoch als einſam unter den Philoſophen. In Jakob Boͤhme wirkte die Natur eine aͤhnliche Erſcheinung, doch dieſe wunderbare Blume bluͤhte nur in der Nacht. In Novalis rang die angeborne Natur gegen die fremde Form, ohne ſie ganz beſiegen zu koͤnnen. Son¬ dern ſich die Elemente mehr und mehr, ſo wird der Dogmatismus in der organiſchen Plaſtik eines Goͤrres die freieſte, ſchoͤnſte und nationellſte Entwicklung fin¬ den, der Kriticismus aber allerdings die platoniſchen Formen ausbilden muͤſſen, die ſeinem polemiſchen Cha¬ rakter am meiſten angemeſſen ſind. Gehn wir zu den Wirkungen uͤber, welche die Philoſophie in den untergeordneten Wiſſenſchaften und im Leben hervorgebracht, ſo erſcheinen dieſelben durch¬ aus natuͤrlich und im Weſen der Philoſophie begruͤn¬ det, weil dieſe jeder Erkenntniß, wie jedem Han¬ deln das hoͤchſte Geſetz vorſchreibt. Die Philoſophie hat die geſammte Cultur unermeßlich befoͤrdert, in¬ dem ſie uͤberall centraliſirt und vereinfacht hat. Sie hat auch, in ihrer Einſeitigkeit die einzelnen Seiten der Wiſſenſchaft und des Lebens je in das glaͤnzendſte Licht geſetzt und fuͤr die verſchiedenen Stimmen des Zeitalters immer den Grundton angegeben. Sie hat zwar, weil ſie nur gelehrt iſt, das geſammte Volk

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/189>, abgerufen am 27.04.2024.