Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.mußte für jede neue Entdeckung auch eine neue Spra¬ mußte fuͤr jede neue Entdeckung auch eine neue Spra¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0187" n="177"/> mußte fuͤr jede neue Entdeckung auch eine neue Spra¬<lb/> che ſchaffen. Eine muͤhſame, umſtaͤndliche, weitlaͤu¬<lb/> fige Darſtellungsweiſe war unvermeidlich, weil erſt<lb/> durch ſie der Weg zu immer einfachern Begriffen<lb/> fuͤhrte. Nichts wird ſchwieriger errungen, als was<lb/> ſich nachher gleichſam von ſelbſt verſteht. Die mei¬<lb/> ſten Philoſophien, ja in gewiſſer Ruͤckſicht alle fruͤ¬<lb/> hern, ſind nur Studien, Vorarbeiten. Der große<lb/> Kepler mußte viele hundert Folioſeiten voll Zahlen<lb/> ſchreiben, bis jene einfachen allbekannten Geſetze, die<lb/> nun jeder ohne Muͤhe begreift, das Reſultat ſeines<lb/> eiſernen Fleißes waren. So verhaͤlt es ſich mit vie¬<lb/> len deutſchen Philoſophen, beſonders vor Kant. Wenn<lb/> wir auch nur mit einem aͤſthetiſchen Widerwillen die<lb/> duͤrren und oft taͤuſchenden Rechnungen des Verſtan¬<lb/> des verlaſſen, ſo muͤſſen wir doch geſtehn, daß ſie<lb/> nothwendig waren. Am meiſten faͤllt uns bei faſt<lb/> allen unſern Philoſophien die ſogenannte wiſſenſchaft¬<lb/> liche Form auf, die in ſyſtematiſchen Tabellen, Claſ¬<lb/> ſen und Paragraphen ſich gefaͤllt. Wie weit ſind wir<lb/> von der Majeſtaͤt orientaliſcher Dogmatik, von der<lb/> Anmuth Platoniſcher Kriticismen entfernt. Doch muß<lb/> uns auch wieder dieſes duͤrre Syſtematiſiren als noth¬<lb/> wendig erſcheinen, und gerade einige Verſuche, na¬<lb/> mentlich der Kantianer, in der Form zu platoniſiren,<lb/> ſind ſehr unreife Producte geblieben. Den wuͤrdig¬<lb/> ſten philoſophiſchen Styl hat Goͤrres; denn ſein Sy¬<lb/> ſtem hat die erhabenſte Einheit, weil es ganz myſtiſch<lb/> iſt, und in der Mannigfaltigkeit wieder die groͤßte<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [177/0187]
mußte fuͤr jede neue Entdeckung auch eine neue Spra¬
che ſchaffen. Eine muͤhſame, umſtaͤndliche, weitlaͤu¬
fige Darſtellungsweiſe war unvermeidlich, weil erſt
durch ſie der Weg zu immer einfachern Begriffen
fuͤhrte. Nichts wird ſchwieriger errungen, als was
ſich nachher gleichſam von ſelbſt verſteht. Die mei¬
ſten Philoſophien, ja in gewiſſer Ruͤckſicht alle fruͤ¬
hern, ſind nur Studien, Vorarbeiten. Der große
Kepler mußte viele hundert Folioſeiten voll Zahlen
ſchreiben, bis jene einfachen allbekannten Geſetze, die
nun jeder ohne Muͤhe begreift, das Reſultat ſeines
eiſernen Fleißes waren. So verhaͤlt es ſich mit vie¬
len deutſchen Philoſophen, beſonders vor Kant. Wenn
wir auch nur mit einem aͤſthetiſchen Widerwillen die
duͤrren und oft taͤuſchenden Rechnungen des Verſtan¬
des verlaſſen, ſo muͤſſen wir doch geſtehn, daß ſie
nothwendig waren. Am meiſten faͤllt uns bei faſt
allen unſern Philoſophien die ſogenannte wiſſenſchaft¬
liche Form auf, die in ſyſtematiſchen Tabellen, Claſ¬
ſen und Paragraphen ſich gefaͤllt. Wie weit ſind wir
von der Majeſtaͤt orientaliſcher Dogmatik, von der
Anmuth Platoniſcher Kriticismen entfernt. Doch muß
uns auch wieder dieſes duͤrre Syſtematiſiren als noth¬
wendig erſcheinen, und gerade einige Verſuche, na¬
mentlich der Kantianer, in der Form zu platoniſiren,
ſind ſehr unreife Producte geblieben. Den wuͤrdig¬
ſten philoſophiſchen Styl hat Goͤrres; denn ſein Sy¬
ſtem hat die erhabenſte Einheit, weil es ganz myſtiſch
iſt, und in der Mannigfaltigkeit wieder die groͤßte
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