Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

Bild:
<< vorherige Seite

schrieben und auch noch in der neuesten Zeit sich darin
gefallen, immer neue fremde Wörter zu schmieden.
Dies hat ihnen zwar in den Augen des Volks ein
ehrwürdiges Ansehen und selbst den begreiflichsten Ge¬
meinplätzen einen Anstrich von tiefer Weisheit ver¬
liehen, das größere Publikum aber der Philosophie
entfremdet, und diese zur reinen Schulsache gemacht.
Oken, eben so patriotisch als gelehrt, hat gegen die
fremde Terminologie geeifert, ohne jedoch etwas aus¬
zurichten, ja ohne selbst sie vermeiden zu können.
Die Schwierigkeiten der philosophischen Sprache wer¬
den noch verwickelter durch den eigenthümlichen und
willkürlichen Gebrauch, den jeder einzelne Philosoph
davon macht. Schlagen wir die erste beste Seite in
philosophischen Werken auf, was klingen uns für ganz
verschiedne Namen in Leibnitz, Wolf, Kant, Fichte,
Schelling, Hegel entgegen. Die fremden Wörter sind
indeß in ihrer Verschiedenheit noch die deutlichsten;
die deutschen werden bei ihrer Gleichheit durch den
verschiednen Gebrauch, je gemeinverständlicher sie an
sich sind, desto undeutlicher in der Philosophie. Man
hat daher ganze Bücher geschrieben, um nur die
wahre Bedeutung der Ausdrücke: Vernunft, Ver¬
stand, Geist, Herz, Gemüth, Gefühl u. s. w. auszu¬
mitteln. Doch ist deßfalls noch kein allgemeiner Sprach¬
gebrauch angenommen. Die Schwierigkeiten der Spra¬
che sind denen des Denkens gefolgt. Die Denkkraft
arbeitete sich mit unendlicher Anstrengung, aber nur
stufenweise, aus der alten Unklarheit heraus und

ſchrieben und auch noch in der neueſten Zeit ſich darin
gefallen, immer neue fremde Woͤrter zu ſchmieden.
Dies hat ihnen zwar in den Augen des Volks ein
ehrwuͤrdiges Anſehen und ſelbſt den begreiflichſten Ge¬
meinplaͤtzen einen Anſtrich von tiefer Weisheit ver¬
liehen, das groͤßere Publikum aber der Philoſophie
entfremdet, und dieſe zur reinen Schulſache gemacht.
Oken, eben ſo patriotiſch als gelehrt, hat gegen die
fremde Terminologie geeifert, ohne jedoch etwas aus¬
zurichten, ja ohne ſelbſt ſie vermeiden zu koͤnnen.
Die Schwierigkeiten der philoſophiſchen Sprache wer¬
den noch verwickelter durch den eigenthuͤmlichen und
willkuͤrlichen Gebrauch, den jeder einzelne Philoſoph
davon macht. Schlagen wir die erſte beſte Seite in
philoſophiſchen Werken auf, was klingen uns fuͤr ganz
verſchiedne Namen in Leibnitz, Wolf, Kant, Fichte,
Schelling, Hegel entgegen. Die fremden Woͤrter ſind
indeß in ihrer Verſchiedenheit noch die deutlichſten;
die deutſchen werden bei ihrer Gleichheit durch den
verſchiednen Gebrauch, je gemeinverſtaͤndlicher ſie an
ſich ſind, deſto undeutlicher in der Philoſophie. Man
hat daher ganze Buͤcher geſchrieben, um nur die
wahre Bedeutung der Ausdruͤcke: Vernunft, Ver¬
ſtand, Geiſt, Herz, Gemuͤth, Gefuͤhl u. ſ. w. auszu¬
mitteln. Doch iſt deßfalls noch kein allgemeiner Sprach¬
gebrauch angenommen. Die Schwierigkeiten der Spra¬
che ſind denen des Denkens gefolgt. Die Denkkraft
arbeitete ſich mit unendlicher Anſtrengung, aber nur
ſtufenweiſe, aus der alten Unklarheit heraus und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0186" n="176"/>
&#x017F;chrieben und auch noch in der neue&#x017F;ten Zeit &#x017F;ich darin<lb/>
gefallen, immer neue fremde Wo&#x0364;rter zu &#x017F;chmieden.<lb/>
Dies hat ihnen zwar in den Augen des Volks ein<lb/>
ehrwu&#x0364;rdiges An&#x017F;ehen und &#x017F;elb&#x017F;t den begreiflich&#x017F;ten Ge¬<lb/>
meinpla&#x0364;tzen einen An&#x017F;trich von tiefer Weisheit ver¬<lb/>
liehen, das gro&#x0364;ßere Publikum aber der Philo&#x017F;ophie<lb/>
entfremdet, und die&#x017F;e zur reinen Schul&#x017F;ache gemacht.<lb/>
Oken, eben &#x017F;o patrioti&#x017F;ch als gelehrt, hat gegen die<lb/>
fremde Terminologie geeifert, ohne jedoch etwas aus¬<lb/>
zurichten, ja ohne &#x017F;elb&#x017F;t &#x017F;ie vermeiden zu ko&#x0364;nnen.<lb/>
Die Schwierigkeiten der philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Sprache wer¬<lb/>
den noch verwickelter durch den eigenthu&#x0364;mlichen und<lb/>
willku&#x0364;rlichen Gebrauch, den jeder einzelne Philo&#x017F;oph<lb/>
davon macht. Schlagen wir die er&#x017F;te be&#x017F;te Seite in<lb/>
philo&#x017F;ophi&#x017F;chen Werken auf, was klingen uns fu&#x0364;r ganz<lb/>
ver&#x017F;chiedne Namen in Leibnitz, Wolf, Kant, Fichte,<lb/>
Schelling, Hegel entgegen. Die fremden Wo&#x0364;rter &#x017F;ind<lb/>
indeß in ihrer Ver&#x017F;chiedenheit noch die deutlich&#x017F;ten;<lb/>
die deut&#x017F;chen werden bei ihrer Gleichheit durch den<lb/>
ver&#x017F;chiednen Gebrauch, je gemeinver&#x017F;ta&#x0364;ndlicher &#x017F;ie an<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;ind, de&#x017F;to undeutlicher in der Philo&#x017F;ophie. Man<lb/>
hat daher ganze Bu&#x0364;cher ge&#x017F;chrieben, um nur die<lb/>
wahre Bedeutung der Ausdru&#x0364;cke: Vernunft, Ver¬<lb/>
&#x017F;tand, Gei&#x017F;t, Herz, Gemu&#x0364;th, Gefu&#x0364;hl u. &#x017F;. w. auszu¬<lb/>
mitteln. Doch i&#x017F;t deßfalls noch kein allgemeiner Sprach¬<lb/>
gebrauch angenommen. Die Schwierigkeiten der Spra¬<lb/>
che &#x017F;ind denen des Denkens gefolgt. Die Denkkraft<lb/>
arbeitete &#x017F;ich mit unendlicher An&#x017F;trengung, aber nur<lb/>
&#x017F;tufenwei&#x017F;e, aus der alten Unklarheit heraus und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[176/0186] ſchrieben und auch noch in der neueſten Zeit ſich darin gefallen, immer neue fremde Woͤrter zu ſchmieden. Dies hat ihnen zwar in den Augen des Volks ein ehrwuͤrdiges Anſehen und ſelbſt den begreiflichſten Ge¬ meinplaͤtzen einen Anſtrich von tiefer Weisheit ver¬ liehen, das groͤßere Publikum aber der Philoſophie entfremdet, und dieſe zur reinen Schulſache gemacht. Oken, eben ſo patriotiſch als gelehrt, hat gegen die fremde Terminologie geeifert, ohne jedoch etwas aus¬ zurichten, ja ohne ſelbſt ſie vermeiden zu koͤnnen. Die Schwierigkeiten der philoſophiſchen Sprache wer¬ den noch verwickelter durch den eigenthuͤmlichen und willkuͤrlichen Gebrauch, den jeder einzelne Philoſoph davon macht. Schlagen wir die erſte beſte Seite in philoſophiſchen Werken auf, was klingen uns fuͤr ganz verſchiedne Namen in Leibnitz, Wolf, Kant, Fichte, Schelling, Hegel entgegen. Die fremden Woͤrter ſind indeß in ihrer Verſchiedenheit noch die deutlichſten; die deutſchen werden bei ihrer Gleichheit durch den verſchiednen Gebrauch, je gemeinverſtaͤndlicher ſie an ſich ſind, deſto undeutlicher in der Philoſophie. Man hat daher ganze Buͤcher geſchrieben, um nur die wahre Bedeutung der Ausdruͤcke: Vernunft, Ver¬ ſtand, Geiſt, Herz, Gemuͤth, Gefuͤhl u. ſ. w. auszu¬ mitteln. Doch iſt deßfalls noch kein allgemeiner Sprach¬ gebrauch angenommen. Die Schwierigkeiten der Spra¬ che ſind denen des Denkens gefolgt. Die Denkkraft arbeitete ſich mit unendlicher Anſtrengung, aber nur ſtufenweiſe, aus der alten Unklarheit heraus und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/186
Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/186>, abgerufen am 27.04.2024.