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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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neue Meister erben das Instrument, das nie ver¬
wüstet wird. Es reihen sich Blumen an Blumen,
und Menschen an Menschen. Der Himmel ist gewölbt
aus vielen Sternen und Gottes Tempel ruht auf
vielen Säulen.

Nach diesem allgemeinen Überblick über das In¬
nere der deutschen Philophie muß es interessiren, ihr
Verhältniß zur übrigen Literatur und zum Leben zu
betrachten. Ich stehe nicht an, dieser Philosophie
den Vorrang vor allen andern unsrer literarischen
Erscheinungen zuzuerkennen. Das Zeitalter wird von
der Wissenschaft, die Wissenschaft von der Philosophie
regiert. In der neuen Hierarchie des Verstandes ist
der philosophische Stuhl der apostolische und die Phi¬
losophen sind die Kardinäle. Aus der ganzen Sphäre
unsrer Geistesthätigkeiten sammeln sich die Resultate
in die Philosophie, als in ein Centrum; alle Säfte
sublimiren sich in ihre Blüthenkrone. Die Mannig¬
faltigkeit sucht immer ihre Einheit, und je gewisser
es ist, daß die Deutschen für alle Arten von Er¬
kenntnissen Sinn haben, um so natürlicher ist es auch,
daß sie dieselben regeln und auf die einfachsten Re¬
sultate zurückführen. Ja es scheint, als ob der all¬
gemeine Wissenstrieb nur die secundäre, der philoso¬
phische Tiefsinn aber die primäre Äußerung unsrer
Natur sey, als ob wir eine Peripherie nur fänden,
nachdem ein unsichtbares Centrum sie ausspannt. Unsre
Philosophie beweist, daß Deutschland keine Polter¬
kammer für allerlei Wissen seyn soll. Es kommt nicht

neue Meiſter erben das Inſtrument, das nie ver¬
wuͤſtet wird. Es reihen ſich Blumen an Blumen,
und Menſchen an Menſchen. Der Himmel iſt gewoͤlbt
aus vielen Sternen und Gottes Tempel ruht auf
vielen Saͤulen.

Nach dieſem allgemeinen Überblick uͤber das In¬
nere der deutſchen Philophie muß es intereſſiren, ihr
Verhaͤltniß zur uͤbrigen Literatur und zum Leben zu
betrachten. Ich ſtehe nicht an, dieſer Philoſophie
den Vorrang vor allen andern unſrer literariſchen
Erſcheinungen zuzuerkennen. Das Zeitalter wird von
der Wiſſenſchaft, die Wiſſenſchaft von der Philoſophie
regiert. In der neuen Hierarchie des Verſtandes iſt
der philoſophiſche Stuhl der apoſtoliſche und die Phi¬
loſophen ſind die Kardinaͤle. Aus der ganzen Sphaͤre
unſrer Geiſtesthaͤtigkeiten ſammeln ſich die Reſultate
in die Philoſophie, als in ein Centrum; alle Saͤfte
ſublimiren ſich in ihre Bluͤthenkrone. Die Mannig¬
faltigkeit ſucht immer ihre Einheit, und je gewiſſer
es iſt, daß die Deutſchen fuͤr alle Arten von Er¬
kenntniſſen Sinn haben, um ſo natuͤrlicher iſt es auch,
daß ſie dieſelben regeln und auf die einfachſten Re¬
ſultate zuruͤckfuͤhren. Ja es ſcheint, als ob der all¬
gemeine Wiſſenstrieb nur die ſecundaͤre, der philoſo¬
phiſche Tiefſinn aber die primaͤre Äußerung unſrer
Natur ſey, als ob wir eine Peripherie nur faͤnden,
nachdem ein unſichtbares Centrum ſie ausſpannt. Unſre
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[173/0183] neue Meiſter erben das Inſtrument, das nie ver¬ wuͤſtet wird. Es reihen ſich Blumen an Blumen, und Menſchen an Menſchen. Der Himmel iſt gewoͤlbt aus vielen Sternen und Gottes Tempel ruht auf vielen Saͤulen. Nach dieſem allgemeinen Überblick uͤber das In¬ nere der deutſchen Philophie muß es intereſſiren, ihr Verhaͤltniß zur uͤbrigen Literatur und zum Leben zu betrachten. Ich ſtehe nicht an, dieſer Philoſophie den Vorrang vor allen andern unſrer literariſchen Erſcheinungen zuzuerkennen. Das Zeitalter wird von der Wiſſenſchaft, die Wiſſenſchaft von der Philoſophie regiert. In der neuen Hierarchie des Verſtandes iſt der philoſophiſche Stuhl der apoſtoliſche und die Phi¬ loſophen ſind die Kardinaͤle. Aus der ganzen Sphaͤre unſrer Geiſtesthaͤtigkeiten ſammeln ſich die Reſultate in die Philoſophie, als in ein Centrum; alle Saͤfte ſublimiren ſich in ihre Bluͤthenkrone. Die Mannig¬ faltigkeit ſucht immer ihre Einheit, und je gewiſſer es iſt, daß die Deutſchen fuͤr alle Arten von Er¬ kenntniſſen Sinn haben, um ſo natuͤrlicher iſt es auch, daß ſie dieſelben regeln und auf die einfachſten Re¬ ſultate zuruͤckfuͤhren. Ja es ſcheint, als ob der all¬ gemeine Wiſſenstrieb nur die ſecundaͤre, der philoſo¬ phiſche Tiefſinn aber die primaͤre Äußerung unſrer Natur ſey, als ob wir eine Peripherie nur faͤnden, nachdem ein unſichtbares Centrum ſie ausſpannt. Unſre Philoſophie beweiſt, daß Deutſchland keine Polter¬ kammer fuͤr allerlei Wiſſen ſeyn ſoll. Es kommt nicht

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/183>, abgerufen am 28.04.2024.