Classen abzutheilen. Mich dünkt daher, ein Volk von Taubgebornen, würde mehr Erfin- dungskraft anzustrengen haben, von der Hiero- glyphik auf die alphabetische Schrift zu kommen; weil sichs bey den Schriftzeichen nicht so leicht einsehen läßt, daß sie einen faßlichen Umfang haben, und in Classen zu bringen seyen.
Ich bediene mich des Worts Classen, so oft von den Elementen der lautbaren Sprachen die Rede ist; denn noch itzt in unsern lebendigen, ausgebildeten Sprachen, ist die Schrift bey wei- tem so mannigfaltig nicht, als die Rede, und wird dasselbe Schriftzeichen in verschiedener Verbin- dung und Stellung verschiedentlich gelesen und ausgesprochen. Gleichwohl ist es offenbar, daß wir durch den häufigen Gebrauch der Schrift unsere Redesprache eintöniger, und nach Anleitung und Bedürfniß der Schrift, elementarischer gemacht haben. Daher die Nationen, die der Schrift nicht kundig sind, eine weit größere Mannigfaltigkeit in ihrer Redesprache haben, und viele Laute in derselben so unbestimmt sind, daß wir sie durch unsere Schriftzeichen nur sehr unvollkommen an- zudeuten im Stande sind. Man wird also An-
fangs
Claſſen abzutheilen. Mich duͤnkt daher, ein Volk von Taubgebornen, wuͤrde mehr Erfin- dungskraft anzuſtrengen haben, von der Hiero- glyphik auf die alphabetiſche Schrift zu kommen; weil ſichs bey den Schriftzeichen nicht ſo leicht einſehen laͤßt, daß ſie einen faßlichen Umfang haben, und in Claſſen zu bringen ſeyen.
Ich bediene mich des Worts Claſſen, ſo oft von den Elementen der lautbaren Sprachen die Rede iſt; denn noch itzt in unſern lebendigen, ausgebildeten Sprachen, iſt die Schrift bey wei- tem ſo mannigfaltig nicht, als die Rede, und wird daſſelbe Schriftzeichen in verſchiedener Verbin- dung und Stellung verſchiedentlich geleſen und ausgeſprochen. Gleichwohl iſt es offenbar, daß wir durch den haͤufigen Gebrauch der Schrift unſere Redeſprache eintoͤniger, und nach Anleitung und Beduͤrfniß der Schrift, elementariſcher gemacht haben. Daher die Nationen, die der Schrift nicht kundig ſind, eine weit groͤßere Mannigfaltigkeit in ihrer Redeſprache haben, und viele Laute in derſelben ſo unbeſtimmt ſind, daß wir ſie durch unſere Schriftzeichen nur ſehr unvollkommen an- zudeuten im Stande ſind. Man wird alſo An-
fangs
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Claſſen abzutheilen. Mich duͤnkt daher, ein
Volk von Taubgebornen, wuͤrde mehr Erfin-
dungskraft anzuſtrengen haben, von der Hiero-
glyphik auf die alphabetiſche Schrift zu kommen;
weil ſichs bey den Schriftzeichen nicht ſo leicht
einſehen laͤßt, daß ſie einen faßlichen Umfang
haben, und in Claſſen zu bringen ſeyen.
Ich bediene mich des Worts Claſſen, ſo oft
von den Elementen der lautbaren Sprachen die
Rede iſt; denn noch itzt in unſern lebendigen,
ausgebildeten Sprachen, iſt die Schrift bey wei-
tem ſo mannigfaltig nicht, als die Rede, und wird
daſſelbe Schriftzeichen in verſchiedener Verbin-
dung und Stellung verſchiedentlich geleſen und
ausgeſprochen. Gleichwohl iſt es offenbar, daß wir
durch den haͤufigen Gebrauch der Schrift unſere
Redeſprache eintoͤniger, und nach Anleitung und
Beduͤrfniß der Schrift, elementariſcher gemacht
haben. Daher die Nationen, die der Schrift nicht
kundig ſind, eine weit groͤßere Mannigfaltigkeit
in ihrer Redeſprache haben, und viele Laute in
derſelben ſo unbeſtimmt ſind, daß wir ſie durch
unſere Schriftzeichen nur ſehr unvollkommen an-
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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/177>, abgerufen am 16.07.2024.
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