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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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Verträge auch nur so lange, als sie von Furcht
und Ohnmacht unterstützt wird; so haben die
Menschen durch Verträge keinen Schritt näher
zu ihrer Sicherheit gethan, und befinden sich
noch immer in ihrem primitiven Zustande des
allgemeinen Krieges. Sollten aber Verträge
gültig seyn; so muß der Mensch von Natur,
ohne Vertrag und Verabredung, an und für
sich selbst nicht befugt seyn, wider ein Paktum
zu handeln, das er gutwillig eingegangen; das
heißt, es muß ihm nicht erlaubt seyn, wenn er
auch kann: er muß das sittliche Vermögen nicht
haben, wenn er auch das physische dazu hätte.
Macht und Recht sind also verschiedene Dinge,
und waren auch im Stande der Natur hetero-
gene Begriffe. ---- Ferner, der höchsten Ge-
walt im Staate schreibt Hobbes strenge Gesetze
vor, nichts zu befehlen, das der Wohlfarth
ihrer Unterthanen zuwider sey. Wenn sie auch
keinem Menschen Rechenschaft zu geben schuldig
seyen; so haben sie diese doch vor dem allerhöch-
sten Richter abzulegen; wenn sie auch nach seinen
Grundsätzen keine Furcht vor irgend einer mensch-
lichen Macht binde; so binde sie doch die Furcht
vor der Allmacht, die ihren Willen hierüber hin-

läng-

Vertraͤge auch nur ſo lange, als ſie von Furcht
und Ohnmacht unterſtuͤtzt wird; ſo haben die
Menſchen durch Vertraͤge keinen Schritt naͤher
zu ihrer Sicherheit gethan, und befinden ſich
noch immer in ihrem primitiven Zuſtande des
allgemeinen Krieges. Sollten aber Vertraͤge
guͤltig ſeyn; ſo muß der Menſch von Natur,
ohne Vertrag und Verabredung, an und fuͤr
ſich ſelbſt nicht befugt ſeyn, wider ein Paktum
zu handeln, das er gutwillig eingegangen; das
heißt, es muß ihm nicht erlaubt ſeyn, wenn er
auch kann: er muß das ſittliche Vermoͤgen nicht
haben, wenn er auch das phyſiſche dazu haͤtte.
Macht und Recht ſind alſo verſchiedene Dinge,
und waren auch im Stande der Natur hetero-
gene Begriffe. —— Ferner, der hoͤchſten Ge-
walt im Staate ſchreibt Hobbes ſtrenge Geſetze
vor, nichts zu befehlen, das der Wohlfarth
ihrer Unterthanen zuwider ſey. Wenn ſie auch
keinem Menſchen Rechenſchaft zu geben ſchuldig
ſeyen; ſo haben ſie dieſe doch vor dem allerhoͤch-
ſten Richter abzulegen; wenn ſie auch nach ſeinen
Grundſaͤtzen keine Furcht vor irgend einer menſch-
lichen Macht binde; ſo binde ſie doch die Furcht
vor der Allmacht, die ihren Willen hieruͤber hin-

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[11/0017] Vertraͤge auch nur ſo lange, als ſie von Furcht und Ohnmacht unterſtuͤtzt wird; ſo haben die Menſchen durch Vertraͤge keinen Schritt naͤher zu ihrer Sicherheit gethan, und befinden ſich noch immer in ihrem primitiven Zuſtande des allgemeinen Krieges. Sollten aber Vertraͤge guͤltig ſeyn; ſo muß der Menſch von Natur, ohne Vertrag und Verabredung, an und fuͤr ſich ſelbſt nicht befugt ſeyn, wider ein Paktum zu handeln, das er gutwillig eingegangen; das heißt, es muß ihm nicht erlaubt ſeyn, wenn er auch kann: er muß das ſittliche Vermoͤgen nicht haben, wenn er auch das phyſiſche dazu haͤtte. Macht und Recht ſind alſo verſchiedene Dinge, und waren auch im Stande der Natur hetero- gene Begriffe. —— Ferner, der hoͤchſten Ge- walt im Staate ſchreibt Hobbes ſtrenge Geſetze vor, nichts zu befehlen, das der Wohlfarth ihrer Unterthanen zuwider ſey. Wenn ſie auch keinem Menſchen Rechenſchaft zu geben ſchuldig ſeyen; ſo haben ſie dieſe doch vor dem allerhoͤch- ſten Richter abzulegen; wenn ſie auch nach ſeinen Grundſaͤtzen keine Furcht vor irgend einer menſch- lichen Macht binde; ſo binde ſie doch die Furcht vor der Allmacht, die ihren Willen hieruͤber hin- laͤng-

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/17>, abgerufen am 24.11.2024.