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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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ten gehabt, muß ich mir abermals eine Ab-
schweifung von meinem Wege erlauben, von der
ich aber gar bald wieder einlenken werde. Meine
Materie gränzet an so mannichfache andere
Materien an, daß ich mich nicht immer auf dem-
selben Gange erhalten kann, ohne in Nebenwege
auszuweichen.

Mich dünkt, die Veränderung, die in den
verschiedenen Zeiten der Cultur mit den Schrift-
zeichen vorgegangen, habe von jeher an den Re-
volutionen der menschlichen Erkenntnisse über-
haupt, und insbesondere an den mannigfaltigen
Abänderungen ihrer Meinungen und Begriffe in
Religionssachen sehr wichtigen Antheil, und
wenn sie dieselben nicht völlig allein verursacht,
doch wenigstens mit andern Nebensachen auf
eine merkliche Weise mitgewirkt. Kaum höret
der Mensch auf, sich mit den ersten Eindrücken
der äussern Sinne zu begnügen, und welcher
Mensch kann es lange dabey bewenden lassen?
Kaum fühlet er den seiner Seele eingesenkten
Sporn, aus diesen äussern Eindrücken sich Be-
griffe zu bilden, so wird er die Nothwendigkeit
gewahr, sie an sinnliche Zeichen zu binden;

nicht

ten gehabt, muß ich mir abermals eine Ab-
ſchweifung von meinem Wege erlauben, von der
ich aber gar bald wieder einlenken werde. Meine
Materie graͤnzet an ſo mannichfache andere
Materien an, daß ich mich nicht immer auf dem-
ſelben Gange erhalten kann, ohne in Nebenwege
auszuweichen.

Mich duͤnkt, die Veraͤnderung, die in den
verſchiedenen Zeiten der Cultur mit den Schrift-
zeichen vorgegangen, habe von jeher an den Re-
volutionen der menſchlichen Erkenntniſſe uͤber-
haupt, und insbeſondere an den mannigfaltigen
Abaͤnderungen ihrer Meinungen und Begriffe in
Religionsſachen ſehr wichtigen Antheil, und
wenn ſie dieſelben nicht voͤllig allein verurſacht,
doch wenigſtens mit andern Nebenſachen auf
eine merkliche Weiſe mitgewirkt. Kaum hoͤret
der Menſch auf, ſich mit den erſten Eindruͤcken
der aͤuſſern Sinne zu begnuͤgen, und welcher
Menſch kann es lange dabey bewenden laſſen?
Kaum fuͤhlet er den ſeiner Seele eingeſenkten
Sporn, aus dieſen aͤuſſern Eindruͤcken ſich Be-
griffe zu bilden, ſo wird er die Nothwendigkeit
gewahr, ſie an ſinnliche Zeichen zu binden;

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[64/0166] ten gehabt, muß ich mir abermals eine Ab- ſchweifung von meinem Wege erlauben, von der ich aber gar bald wieder einlenken werde. Meine Materie graͤnzet an ſo mannichfache andere Materien an, daß ich mich nicht immer auf dem- ſelben Gange erhalten kann, ohne in Nebenwege auszuweichen. Mich duͤnkt, die Veraͤnderung, die in den verſchiedenen Zeiten der Cultur mit den Schrift- zeichen vorgegangen, habe von jeher an den Re- volutionen der menſchlichen Erkenntniſſe uͤber- haupt, und insbeſondere an den mannigfaltigen Abaͤnderungen ihrer Meinungen und Begriffe in Religionsſachen ſehr wichtigen Antheil, und wenn ſie dieſelben nicht voͤllig allein verurſacht, doch wenigſtens mit andern Nebenſachen auf eine merkliche Weiſe mitgewirkt. Kaum hoͤret der Menſch auf, ſich mit den erſten Eindruͤcken der aͤuſſern Sinne zu begnuͤgen, und welcher Menſch kann es lange dabey bewenden laſſen? Kaum fuͤhlet er den ſeiner Seele eingeſenkten Sporn, aus dieſen aͤuſſern Eindruͤcken ſich Be- griffe zu bilden, ſo wird er die Nothwendigkeit gewahr, ſie an ſinnliche Zeichen zu binden; nicht

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/166>, abgerufen am 18.05.2024.