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Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783.

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die Natur giebt; hier mit dem verfeinerten
Wohlgeschmacke der Kunst, zur Verdauung
leichter, aber auch nur für Schwächliche. Das
Thun und Lassen der Menschen und die Sittlich-
keit ihres Lebenswandels hat sich von jener ro-
hen Vorstellungsart, im Ganzen genommen,
vielleicht eben so gute Folgen zu versprechen, als
von diesen verfeinerten und gereinigten Be-
griffen. Manches Volk ist von der Vorsehung
bestimmt, diesen Kreislauf der Begriffe durch zu-
wandern; ja zuweilen mehr als Einmal durch
zuwandern; aber vielleicht bleibt das Maaß und
Gewicht ihrer Sittlichkeit in allen diesen man-
nigfaltigen Epochen, im Ganzen genommen, un-
gefähr dasselbe.

Ich für meinen Theil habe keinen Begriff
von der Erziehung des Menschengeschlechts, die
sich mein verewigter Freund Lessing von, ich
weis nicht, welchem Geschichtsforscher der
Menschheit, hat einbilden lassen. Man stellet
sich das collektive Ding, das menschliche Ge-
schlecht, wie eine einzige Person vor, und glaubt,
die Vorsehung habe sie hieher gleichsam in die
Schule geschickt, um aus einem Kinde zum Man-

ne

die Natur giebt; hier mit dem verfeinerten
Wohlgeſchmacke der Kunſt, zur Verdauung
leichter, aber auch nur fuͤr Schwaͤchliche. Das
Thun und Laſſen der Menſchen und die Sittlich-
keit ihres Lebenswandels hat ſich von jener ro-
hen Vorſtellungsart, im Ganzen genommen,
vielleicht eben ſo gute Folgen zu verſprechen, als
von dieſen verfeinerten und gereinigten Be-
griffen. Manches Volk iſt von der Vorſehung
beſtimmt, dieſen Kreislauf der Begriffe durch zu-
wandern; ja zuweilen mehr als Einmal durch
zuwandern; aber vielleicht bleibt das Maaß und
Gewicht ihrer Sittlichkeit in allen dieſen man-
nigfaltigen Epochen, im Ganzen genommen, un-
gefaͤhr daſſelbe.

Ich fuͤr meinen Theil habe keinen Begriff
von der Erziehung des Menſchengeſchlechts, die
ſich mein verewigter Freund Leſſing von, ich
weis nicht, welchem Geſchichtsforſcher der
Menſchheit, hat einbilden laſſen. Man ſtellet
ſich das collektive Ding, das menſchliche Ge-
ſchlecht, wie eine einzige Perſon vor, und glaubt,
die Vorſehung habe ſie hieher gleichſam in die
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[44/0146] die Natur giebt; hier mit dem verfeinerten Wohlgeſchmacke der Kunſt, zur Verdauung leichter, aber auch nur fuͤr Schwaͤchliche. Das Thun und Laſſen der Menſchen und die Sittlich- keit ihres Lebenswandels hat ſich von jener ro- hen Vorſtellungsart, im Ganzen genommen, vielleicht eben ſo gute Folgen zu verſprechen, als von dieſen verfeinerten und gereinigten Be- griffen. Manches Volk iſt von der Vorſehung beſtimmt, dieſen Kreislauf der Begriffe durch zu- wandern; ja zuweilen mehr als Einmal durch zuwandern; aber vielleicht bleibt das Maaß und Gewicht ihrer Sittlichkeit in allen dieſen man- nigfaltigen Epochen, im Ganzen genommen, un- gefaͤhr daſſelbe. Ich fuͤr meinen Theil habe keinen Begriff von der Erziehung des Menſchengeſchlechts, die ſich mein verewigter Freund Leſſing von, ich weis nicht, welchem Geſchichtsforſcher der Menſchheit, hat einbilden laſſen. Man ſtellet ſich das collektive Ding, das menſchliche Ge- ſchlecht, wie eine einzige Perſon vor, und glaubt, die Vorſehung habe ſie hieher gleichſam in die Schule geſchickt, um aus einem Kinde zum Man- ne

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Zitationshilfe: Mendelssohn, Moses: Jerusalem oder über religiöse Macht und Judenthum. Berlin, 1783, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mendelssohn_jerusalem_1783/146>, abgerufen am 23.11.2024.