Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

ein Beispiel mehr, wie sehr sich die Begeben-
heiten unter verschiednen Himmelsstrichen, Zei-
ten und Vordersäzzen gleichen können.

Pater Raphael, Geistlicher zu C. einem klei-
nen Städtchen in der Normandie, ward eines
Tags aufs Land gerufen, um einen Straßen-
räuber zum Tode zu bereiten. Es war ein
Bursche von kaum zwei oder drei und zwanzig
Jahren, gar nicht übler Gesichtsbildung, ver-
führt durch böse Gesellschaft. Er hatte alles
rein heraus gestanden; die Ketten waren ihm
bereits,wie gewöhnlich kurz vor der Hinrichtung
geschieht, abgenommen worden, und da man im
Gefängnisse keinen bequemen Plaz hatte, so ver-
schloß man den Geistlichen und den armen
Sünder in einer kleinen Kapelle, die am Ende
des Dorfes, abgesondert von den übrigen Ge-
bäuden stand, und gewölbt nach der gewöhn-
lichen Art, ihr ganzes Licht durch eine Oef-
nung in der Mitten erhielt.

Der Seelenarzt schritt hier sogleich zu einer
ernsten Bußermahnung, machte solche so schön

ein Beiſpiel mehr, wie ſehr ſich die Begeben-
heiten unter verſchiednen Himmelsſtrichen, Zei-
ten und Vorderſaͤzzen gleichen koͤnnen.

Pater Raphael, Geiſtlicher zu C. einem klei-
nen Staͤdtchen in der Normandie, ward eines
Tags aufs Land gerufen, um einen Straßen-
raͤuber zum Tode zu bereiten. Es war ein
Burſche von kaum zwei oder drei und zwanzig
Jahren, gar nicht uͤbler Geſichtsbildung, ver-
fuͤhrt durch boͤſe Geſellſchaft. Er hatte alles
rein heraus geſtanden; die Ketten waren ihm
bereits,wie gewoͤhnlich kurz vor der Hinrichtung
geſchieht, abgenommen worden, und da man im
Gefaͤngniſſe keinen bequemen Plaz hatte, ſo ver-
ſchloß man den Geiſtlichen und den armen
Suͤnder in einer kleinen Kapelle, die am Ende
des Dorfes, abgeſondert von den uͤbrigen Ge-
baͤuden ſtand, und gewoͤlbt nach der gewoͤhn-
lichen Art, ihr ganzes Licht durch eine Oef-
nung in der Mitten erhielt.

Der Seelenarzt ſchritt hier ſogleich zu einer
ernſten Bußermahnung, machte ſolche ſo ſchoͤn

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0438" n="430"/>
ein Bei&#x017F;piel mehr, wie &#x017F;ehr &#x017F;ich die Begeben-<lb/>
heiten unter ver&#x017F;chiednen Himmels&#x017F;trichen, Zei-<lb/>
ten und Vorder&#x017F;a&#x0364;zzen gleichen ko&#x0364;nnen.</p><lb/>
          <p>Pater Raphael, Gei&#x017F;tlicher zu C. einem klei-<lb/>
nen Sta&#x0364;dtchen in der Normandie, ward eines<lb/>
Tags aufs Land gerufen, um einen Straßen-<lb/>
ra&#x0364;uber zum Tode zu bereiten. Es war ein<lb/>
Bur&#x017F;che von kaum zwei oder drei und zwanzig<lb/>
Jahren, gar nicht u&#x0364;bler Ge&#x017F;ichtsbildung, ver-<lb/>
fu&#x0364;hrt durch bo&#x0364;&#x017F;e Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft. Er hatte alles<lb/>
rein heraus ge&#x017F;tanden; die Ketten waren ihm<lb/>
bereits,wie gewo&#x0364;hnlich kurz vor der Hinrichtung<lb/>
ge&#x017F;chieht, abgenommen worden, und da man im<lb/>
Gefa&#x0364;ngni&#x017F;&#x017F;e keinen bequemen Plaz hatte, &#x017F;o ver-<lb/>
&#x017F;chloß man den Gei&#x017F;tlichen und den armen<lb/>
Su&#x0364;nder in einer kleinen Kapelle, die am Ende<lb/>
des Dorfes, abge&#x017F;ondert von den u&#x0364;brigen Ge-<lb/>
ba&#x0364;uden &#x017F;tand, und gewo&#x0364;lbt nach der gewo&#x0364;hn-<lb/>
lichen Art, ihr ganzes Licht durch eine Oef-<lb/>
nung in der Mitten erhielt.</p><lb/>
          <p>Der Seelenarzt &#x017F;chritt hier &#x017F;ogleich zu einer<lb/>
ern&#x017F;ten Bußermahnung, machte &#x017F;olche &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;n<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[430/0438] ein Beiſpiel mehr, wie ſehr ſich die Begeben- heiten unter verſchiednen Himmelsſtrichen, Zei- ten und Vorderſaͤzzen gleichen koͤnnen. Pater Raphael, Geiſtlicher zu C. einem klei- nen Staͤdtchen in der Normandie, ward eines Tags aufs Land gerufen, um einen Straßen- raͤuber zum Tode zu bereiten. Es war ein Burſche von kaum zwei oder drei und zwanzig Jahren, gar nicht uͤbler Geſichtsbildung, ver- fuͤhrt durch boͤſe Geſellſchaft. Er hatte alles rein heraus geſtanden; die Ketten waren ihm bereits,wie gewoͤhnlich kurz vor der Hinrichtung geſchieht, abgenommen worden, und da man im Gefaͤngniſſe keinen bequemen Plaz hatte, ſo ver- ſchloß man den Geiſtlichen und den armen Suͤnder in einer kleinen Kapelle, die am Ende des Dorfes, abgeſondert von den uͤbrigen Ge- baͤuden ſtand, und gewoͤlbt nach der gewoͤhn- lichen Art, ihr ganzes Licht durch eine Oef- nung in der Mitten erhielt. Der Seelenarzt ſchritt hier ſogleich zu einer ernſten Bußermahnung, machte ſolche ſo ſchoͤn

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/438
Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/438>, abgerufen am 24.11.2024.