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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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Eine große Unwahrheit! Denn kaum vierzig
Meilen weit von seiner Vaterstadt lebte R.
diese ganze Zeit hindurch; war Bürger eines
andern Staats, Hausbesizzer, Ehmann, Va-
ter, Genosse einer nicht unbeträchtlichen Hand-
lung, und zwar alles dieses auf die ehrlichste
Weise von der Welt geworden. Sonderbar
genug klingt das, und ging doch sehr einfach
zu! -- Nicht nach der Schweiz, nach Paris
hatte R. sich flüchten wollen. Jn dem Ge-
tümmel dieser großen Stadt, hofte er, solte
seine Wenigkeit ganz unbemerkt sich verstecken.
Von da aus, wofern es ihm nicht gefalle,
nach England, von England nach Amerika
überzugehn, lag noch im Hintergrund seines
Herzens. Ganz ohne Anstoß war er bis
Strasburg gekommen. Jener fremde Na-
me, ein bescheidnes Reisekleid, die Sorgfalt
nirgends mit Gelde zu prahlen, ein gestuztes,
mit vieler Vorsicht geschwärztes Haar, --
mehr als alles dies eine unbefangne ruhige
Miene, und eine Gleichgültigkeit, die nirgends

Eine große Unwahrheit! Denn kaum vierzig
Meilen weit von ſeiner Vaterſtadt lebte R.
dieſe ganze Zeit hindurch; war Buͤrger eines
andern Staats, Hausbeſizzer, Ehmann, Va-
ter, Genoſſe einer nicht unbetraͤchtlichen Hand-
lung, und zwar alles dieſes auf die ehrlichſte
Weiſe von der Welt geworden. Sonderbar
genug klingt das, und ging doch ſehr einfach
zu! — Nicht nach der Schweiz, nach Paris
hatte R. ſich fluͤchten wollen. Jn dem Ge-
tuͤmmel dieſer großen Stadt, hofte er, ſolte
ſeine Wenigkeit ganz unbemerkt ſich verſtecken.
Von da aus, wofern es ihm nicht gefalle,
nach England, von England nach Amerika
uͤberzugehn, lag noch im Hintergrund ſeines
Herzens. Ganz ohne Anſtoß war er bis
Strasburg gekommen. Jener fremde Na-
me, ein beſcheidnes Reiſekleid, die Sorgfalt
nirgends mit Gelde zu prahlen, ein geſtuztes,
mit vieler Vorſicht geſchwaͤrztes Haar, —
mehr als alles dies eine unbefangne ruhige
Miene, und eine Gleichguͤltigkeit, die nirgends

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[278/0286] Eine große Unwahrheit! Denn kaum vierzig Meilen weit von ſeiner Vaterſtadt lebte R. dieſe ganze Zeit hindurch; war Buͤrger eines andern Staats, Hausbeſizzer, Ehmann, Va- ter, Genoſſe einer nicht unbetraͤchtlichen Hand- lung, und zwar alles dieſes auf die ehrlichſte Weiſe von der Welt geworden. Sonderbar genug klingt das, und ging doch ſehr einfach zu! — Nicht nach der Schweiz, nach Paris hatte R. ſich fluͤchten wollen. Jn dem Ge- tuͤmmel dieſer großen Stadt, hofte er, ſolte ſeine Wenigkeit ganz unbemerkt ſich verſtecken. Von da aus, wofern es ihm nicht gefalle, nach England, von England nach Amerika uͤberzugehn, lag noch im Hintergrund ſeines Herzens. Ganz ohne Anſtoß war er bis Strasburg gekommen. Jener fremde Na- me, ein beſcheidnes Reiſekleid, die Sorgfalt nirgends mit Gelde zu prahlen, ein geſtuztes, mit vieler Vorſicht geſchwaͤrztes Haar, — mehr als alles dies eine unbefangne ruhige Miene, und eine Gleichguͤltigkeit, die nirgends

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 278. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/286>, abgerufen am 23.11.2024.