de schon als ein Mann, und nicht als ein al- tes Weib zu sterben wissen! "Dies war seine gewöhnliche Antwort, wenn man ihn zur Reue über seine Missethaten ermahnte. Jn den lezten drei Tagen, wo man ihm (nach einer in verschiedenen Ländern bei Verurtheilten ge- wöhnlichen Sitte) frei stelte, was er zu essen und zu trinken wünsche, hatte er sich noch so gütlich als möglich gethan; hatte am heuti- gen Tage den Richtern, als sie das weisse Stäbchen brachen, ins Auge gelacht; auch im Hinausgehn noch über den Lermen des Pöbels, über den Unwillen, den einige gegen ihn äus- serten, und über das Zittern seines Kamera- den gespottet. -- "Das soll meine lezte Freude seyn," sagte er, "zuzusehn, wie dieser fromme Dieb seine Abschiedscapriole schnei- det!" Und mit unverwandten Augen, mit immer gleichbleibender Gesichtsfarbe schaute er wirklich hin, als dieser Arme die Leiter hin- aufstieg.
de ſchon als ein Mann, und nicht als ein al- tes Weib zu ſterben wiſſen! „Dies war ſeine gewoͤhnliche Antwort, wenn man ihn zur Reue uͤber ſeine Miſſethaten ermahnte. Jn den lezten drei Tagen, wo man ihm (nach einer in verſchiedenen Laͤndern bei Verurtheilten ge- woͤhnlichen Sitte) frei ſtelte, was er zu eſſen und zu trinken wuͤnſche, hatte er ſich noch ſo guͤtlich als moͤglich gethan; hatte am heuti- gen Tage den Richtern, als ſie das weiſſe Staͤbchen brachen, ins Auge gelacht; auch im Hinausgehn noch uͤber den Lermen des Poͤbels, uͤber den Unwillen, den einige gegen ihn aͤuſ- ſerten, und uͤber das Zittern ſeines Kamera- den geſpottet. — „Das ſoll meine lezte Freude ſeyn,“ ſagte er, “zuzuſehn, wie dieſer fromme Dieb ſeine Abſchiedscapriole ſchnei- det!„ Und mit unverwandten Augen, mit immer gleichbleibender Geſichtsfarbe ſchaute er wirklich hin, als dieſer Arme die Leiter hin- aufſtieg.
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de ſchon als ein Mann, und nicht als ein al-
tes Weib zu ſterben wiſſen! „Dies war ſeine
gewoͤhnliche Antwort, wenn man ihn zur Reue
uͤber ſeine Miſſethaten ermahnte. Jn den
lezten drei Tagen, wo man ihm (nach einer
in verſchiedenen Laͤndern bei Verurtheilten ge-
woͤhnlichen Sitte) frei ſtelte, was er zu eſſen
und zu trinken wuͤnſche, hatte er ſich noch ſo
guͤtlich als moͤglich gethan; hatte am heuti-
gen Tage den Richtern, als ſie das weiſſe
Staͤbchen brachen, ins Auge gelacht; auch im
Hinausgehn noch uͤber den Lermen des Poͤbels,
uͤber den Unwillen, den einige gegen ihn aͤuſ-
ſerten, und uͤber das Zittern ſeines Kamera-
den geſpottet. — „Das ſoll meine lezte
Freude ſeyn,“ ſagte er, “zuzuſehn, wie dieſer
fromme Dieb ſeine Abſchiedscapriole ſchnei-
det!„ Und mit unverwandten Augen, mit
immer gleichbleibender Geſichtsfarbe ſchaute
er wirklich hin, als dieſer Arme die Leiter hin-
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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/182>, abgerufen am 23.11.2024.
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