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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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Doch als gerade im lezten möglichen Au-
genblick die Rettung wirklich noch sich ein-
stelte, da ward der Hundssattler auf einmal
bleicher als eine weisgetünchte Wand, trat
ein paar Schritte zurück und rief: "Ja, es
"ist ein Gott im Himmel, und eine Vorsicht,
"an die ich bisher niemals glaubte! Dies ist die
"Probe, die ich mir sezte! Jch glaubte schon
"gewonnen zu haben, und sehe nun, daß ich
"verliere." -- Man fragte ihn: Was er
eigentlich damit meine? -- "Unschuldig,"
sprach er, "ist der Weber. Nur gezwungen
"that er jene Wache, indeß wir raubten. Selbst
"das Geld, das er bekam, wolt' er zurück-
"geben, so sehr ihn auch Mangel und Hun-
"ger drückten. Jeden Diebstahl hat er sonst,
"wie den Tod selbst, gehaßt. Alles dies wußt'
"ich, und verleumdete ihn absichtlich. Doch
"nicht etwa aus Rachbegier; sondern nur um
"zu sehn, ob es eine göttliche Gerechtigkeit gebe,
"die sich der Unschuld annehmen werde. Jezt
"erkenn' ich, es giebt eine; und ich bitte man

Doch als gerade im lezten moͤglichen Au-
genblick die Rettung wirklich noch ſich ein-
ſtelte, da ward der Hundsſattler auf einmal
bleicher als eine weisgetuͤnchte Wand, trat
ein paar Schritte zuruͤck und rief: „Ja, es
„iſt ein Gott im Himmel, und eine Vorſicht,
„an die ich bisher niemals glaubte! Dies iſt die
„Probe, die ich mir ſezte! Jch glaubte ſchon
„gewonnen zu haben, und ſehe nun, daß ich
„verliere.“ — Man fragte ihn: Was er
eigentlich damit meine? — „Unſchuldig,“
ſprach er, „iſt der Weber. Nur gezwungen
„that er jene Wache, indeß wir raubten. Selbſt
„das Geld, das er bekam, wolt' er zuruͤck-
„geben, ſo ſehr ihn auch Mangel und Hun-
„ger druͤckten. Jeden Diebſtahl hat er ſonſt,
„wie den Tod ſelbſt, gehaßt. Alles dies wußt'
„ich, und verleumdete ihn abſichtlich. Doch
„nicht etwa aus Rachbegier; ſondern nur um
„zu ſehn, ob es eine goͤttliche Gerechtigkeit gebe,
„die ſich der Unſchuld annehmen werde. Jezt
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[175/0183] Doch als gerade im lezten moͤglichen Au- genblick die Rettung wirklich noch ſich ein- ſtelte, da ward der Hundsſattler auf einmal bleicher als eine weisgetuͤnchte Wand, trat ein paar Schritte zuruͤck und rief: „Ja, es „iſt ein Gott im Himmel, und eine Vorſicht, „an die ich bisher niemals glaubte! Dies iſt die „Probe, die ich mir ſezte! Jch glaubte ſchon „gewonnen zu haben, und ſehe nun, daß ich „verliere.“ — Man fragte ihn: Was er eigentlich damit meine? — „Unſchuldig,“ ſprach er, „iſt der Weber. Nur gezwungen „that er jene Wache, indeß wir raubten. Selbſt „das Geld, das er bekam, wolt' er zuruͤck- „geben, ſo ſehr ihn auch Mangel und Hun- „ger druͤckten. Jeden Diebſtahl hat er ſonſt, „wie den Tod ſelbſt, gehaßt. Alles dies wußt' „ich, und verleumdete ihn abſichtlich. Doch „nicht etwa aus Rachbegier; ſondern nur um „zu ſehn, ob es eine goͤttliche Gerechtigkeit gebe, „die ſich der Unſchuld annehmen werde. Jezt „erkenn' ich, es giebt eine; und ich bitte man

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/183>, abgerufen am 02.05.2024.