Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

man nicht schon aus andern Beispielen, wie
ungeheuer viel ein Mensch, und zumal ein
Weib, ertragen kann.

Ein einziger, aber schwacher Trost blieb ihr
noch übrig; derjenige, welcher die Unglückli-
chen so selten ganz verläßt, die Hofnung! --
Daß ihr Mann, bis auf jenes unselige Schild-
wachtstehen, von allen Verbrechen ledig sei,
das wußte sie gewiß; denn noch im Gefäng-
niß hatte er es aufs heiligste ihr zugeschwo-
ren; und sie wußte, er werde sie nicht hinter-
gehn; wußte noch aus mancherlei Umständen,
daß er unmöglich des Hundssattlers genauer
Freund gewesen seyn könne. Daher hofte sie
immer: seine Richter würden doch endlich ein-
sehn, was ihr so sonnenklar vor Augen stand;
hofte, der Himmel werde sich seiner Unschuld,
und wäre es mit Zeichen oder Wunder, anneh-
men. Aber als der zum Hochgerichte anbe-
raumte Tag nun da war; als sie das Todes-
urtheil schon öffentlich aussprechen hörte; als
sie sah, wie man den Stab brach; wie sich der

L 5

man nicht ſchon aus andern Beiſpielen, wie
ungeheuer viel ein Menſch, und zumal ein
Weib, ertragen kann.

Ein einziger, aber ſchwacher Troſt blieb ihr
noch uͤbrig; derjenige, welcher die Ungluͤckli-
chen ſo ſelten ganz verlaͤßt, die Hofnung! —
Daß ihr Mann, bis auf jenes unſelige Schild-
wachtſtehen, von allen Verbrechen ledig ſei,
das wußte ſie gewiß; denn noch im Gefaͤng-
niß hatte er es aufs heiligſte ihr zugeſchwo-
ren; und ſie wußte, er werde ſie nicht hinter-
gehn; wußte noch aus mancherlei Umſtaͤnden,
daß er unmoͤglich des Hundsſattlers genauer
Freund geweſen ſeyn koͤnne. Daher hofte ſie
immer: ſeine Richter wuͤrden doch endlich ein-
ſehn, was ihr ſo ſonnenklar vor Augen ſtand;
hofte, der Himmel werde ſich ſeiner Unſchuld,
und waͤre es mit Zeichen oder Wunder, anneh-
men. Aber als der zum Hochgerichte anbe-
raumte Tag nun da war; als ſie das Todes-
urtheil ſchon oͤffentlich ausſprechen hoͤrte; als
ſie ſah, wie man den Stab brach; wie ſich der

L 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0177" n="169"/>
man nicht &#x017F;chon aus andern Bei&#x017F;pielen, wie<lb/>
ungeheuer viel ein Men&#x017F;ch, und zumal ein<lb/>
Weib, ertragen kann.</p><lb/>
          <p>Ein einziger, aber &#x017F;chwacher Tro&#x017F;t blieb ihr<lb/>
noch u&#x0364;brig; derjenige, welcher die Unglu&#x0364;ckli-<lb/>
chen &#x017F;o &#x017F;elten ganz verla&#x0364;ßt, die Hofnung! &#x2014;<lb/>
Daß ihr Mann, bis auf jenes un&#x017F;elige Schild-<lb/>
wacht&#x017F;tehen, von allen Verbrechen ledig &#x017F;ei,<lb/>
das wußte &#x017F;ie gewiß; denn noch im Gefa&#x0364;ng-<lb/>
niß hatte er es aufs heilig&#x017F;te ihr zuge&#x017F;chwo-<lb/>
ren; und &#x017F;ie wußte, er werde &#x017F;ie nicht hinter-<lb/>
gehn; wußte noch aus mancherlei Um&#x017F;ta&#x0364;nden,<lb/>
daß er unmo&#x0364;glich des Hunds&#x017F;attlers genauer<lb/>
Freund gewe&#x017F;en &#x017F;eyn ko&#x0364;nne. Daher hofte &#x017F;ie<lb/>
immer: &#x017F;eine Richter wu&#x0364;rden doch endlich ein-<lb/>
&#x017F;ehn, was ihr &#x017F;o &#x017F;onnenklar vor Augen &#x017F;tand;<lb/>
hofte, der Himmel werde &#x017F;ich &#x017F;einer Un&#x017F;chuld,<lb/>
und wa&#x0364;re es mit Zeichen oder Wunder, anneh-<lb/>
men. Aber als der zum Hochgerichte anbe-<lb/>
raumte Tag nun da war; als &#x017F;ie das Todes-<lb/>
urtheil &#x017F;chon o&#x0364;ffentlich aus&#x017F;prechen ho&#x0364;rte; als<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ah, wie man den Stab brach; wie &#x017F;ich der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">L 5</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[169/0177] man nicht ſchon aus andern Beiſpielen, wie ungeheuer viel ein Menſch, und zumal ein Weib, ertragen kann. Ein einziger, aber ſchwacher Troſt blieb ihr noch uͤbrig; derjenige, welcher die Ungluͤckli- chen ſo ſelten ganz verlaͤßt, die Hofnung! — Daß ihr Mann, bis auf jenes unſelige Schild- wachtſtehen, von allen Verbrechen ledig ſei, das wußte ſie gewiß; denn noch im Gefaͤng- niß hatte er es aufs heiligſte ihr zugeſchwo- ren; und ſie wußte, er werde ſie nicht hinter- gehn; wußte noch aus mancherlei Umſtaͤnden, daß er unmoͤglich des Hundsſattlers genauer Freund geweſen ſeyn koͤnne. Daher hofte ſie immer: ſeine Richter wuͤrden doch endlich ein- ſehn, was ihr ſo ſonnenklar vor Augen ſtand; hofte, der Himmel werde ſich ſeiner Unſchuld, und waͤre es mit Zeichen oder Wunder, anneh- men. Aber als der zum Hochgerichte anbe- raumte Tag nun da war; als ſie das Todes- urtheil ſchon oͤffentlich ausſprechen hoͤrte; als ſie ſah, wie man den Stab brach; wie ſich der L 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/177
Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/177>, abgerufen am 03.05.2024.