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Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796.

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Gram um seine nackten Kinder, um sein hülf-
loses Weib, erwachten mit größter Stärke in
ihm. Auch war diese leztere in der That noch
bedaurungswürdiger, als er selbst. Wäh-
rend seiner Verhaftung hatte sie und ihre sechs
Waisen fast ganz von Almosen der Nachbarn
gelebt. Nur mit äusserster Mühe hatte sie
zwei oder dreimal die Erlaubnis erhalten, ih-
ren Gatten zu sprechen. Sie hatte ihn ge-
sehn, als man ihn mit noch ganz verrenkten
Gliedern aus der Folterkammer zurück im
Kerker brachte. Steine hätten damals ihren
Jammer erweichen sollen. Daß sie in gegen-
wärtigen Umständen, bei der schwersten Hand-
arbeit, beim öftern Laufen in die Stadt und
wieder zurück in ihre Heimath, bei unabläßi-
ger Angst zur Nachtzeit und am Tage, bei der
Noth, die sie drückte, bei der noch größern, die
sie bedrohte, doch nicht ganz erlag; sondern
immer noch in ihrer Schwangerschaft nach
dem gewöhnlichen Laufe der Natur fortging,
-- dies würde unbegreiflich scheinen, wüßte

Gram um ſeine nackten Kinder, um ſein huͤlf-
loſes Weib, erwachten mit groͤßter Staͤrke in
ihm. Auch war dieſe leztere in der That noch
bedaurungswuͤrdiger, als er ſelbſt. Waͤh-
rend ſeiner Verhaftung hatte ſie und ihre ſechs
Waiſen faſt ganz von Almoſen der Nachbarn
gelebt. Nur mit aͤuſſerſter Muͤhe hatte ſie
zwei oder dreimal die Erlaubnis erhalten, ih-
ren Gatten zu ſprechen. Sie hatte ihn ge-
ſehn, als man ihn mit noch ganz verrenkten
Gliedern aus der Folterkammer zuruͤck im
Kerker brachte. Steine haͤtten damals ihren
Jammer erweichen ſollen. Daß ſie in gegen-
waͤrtigen Umſtaͤnden, bei der ſchwerſten Hand-
arbeit, beim oͤftern Laufen in die Stadt und
wieder zuruͤck in ihre Heimath, bei unablaͤßi-
ger Angſt zur Nachtzeit und am Tage, bei der
Noth, die ſie druͤckte, bei der noch groͤßern, die
ſie bedrohte, doch nicht ganz erlag; ſondern
immer noch in ihrer Schwangerſchaft nach
dem gewoͤhnlichen Laufe der Natur fortging,
— dies wuͤrde unbegreiflich ſcheinen, wuͤßte

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[168/0176] Gram um ſeine nackten Kinder, um ſein huͤlf- loſes Weib, erwachten mit groͤßter Staͤrke in ihm. Auch war dieſe leztere in der That noch bedaurungswuͤrdiger, als er ſelbſt. Waͤh- rend ſeiner Verhaftung hatte ſie und ihre ſechs Waiſen faſt ganz von Almoſen der Nachbarn gelebt. Nur mit aͤuſſerſter Muͤhe hatte ſie zwei oder dreimal die Erlaubnis erhalten, ih- ren Gatten zu ſprechen. Sie hatte ihn ge- ſehn, als man ihn mit noch ganz verrenkten Gliedern aus der Folterkammer zuruͤck im Kerker brachte. Steine haͤtten damals ihren Jammer erweichen ſollen. Daß ſie in gegen- waͤrtigen Umſtaͤnden, bei der ſchwerſten Hand- arbeit, beim oͤftern Laufen in die Stadt und wieder zuruͤck in ihre Heimath, bei unablaͤßi- ger Angſt zur Nachtzeit und am Tage, bei der Noth, die ſie druͤckte, bei der noch groͤßern, die ſie bedrohte, doch nicht ganz erlag; ſondern immer noch in ihrer Schwangerſchaft nach dem gewoͤhnlichen Laufe der Natur fortging, — dies wuͤrde unbegreiflich ſcheinen, wuͤßte

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Zitationshilfe: Meißner, August Gottlieb: Kriminal Geschichten. Wien, 1796, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meissner_krimi_1796/176>, abgerufen am 02.05.2024.